Die Lage in Rottweil am Donnerstagabend war angespannt: 600 Gegendemonstranten trafen auf 1000 AfD-Interessierte und eine Polizistenzahl im niedrigen dreistelligen Bereich. Doch die AfD-Veranstaltung in und um die Rottweiler Stadthalle ist am Ende weitgehend friedlich über die Bühne gegangen. Laut Polizei kam es zwar zu verbalen Auseinandersetzungen, aber nicht zu körperlicher Gewalt.

Das Anti-Konflikt-Team sei hier und da eingeschritten, wenn sich die gegnerischen Parteien provoziert hätten und das habe sich ausgezahlt, so Marcel Ferraro, Sprecher beim Konstanzer Polizeipräsidium. Nur ein AfD-Gegner hat einen kurzen Auftritt in der Stadthalle: Mit „Nazis raus“-Rufen sorgte er während der Rede von Thüringens Rechtsaußen Björn Höcke kurz für Tumult. Die Polizei erteilte dem 17-Jährigen einen Platzverweis.

Mit dem thüringischen AfD-Chef Höcke und Bundessprecher Tino Chrupalla bot der vom örtlichen AfD-Landtagsabgeordneten Emil Sänze organisierte „Rottweiler Dialog“ zwei Spitzenpolitiker auf. Gesetzes Thema der Veranstaltung sollte „Der Nationalstaat zwischen Föderalismus und Europäischer Union“ sein, doch der aktuelle Höhenflug der Partei in den Umfragen, vor allem aber die erfolgreiche Landratswahl im thüringischen Sonneberg dominierte den Abend und verschaffte den Rednern hörbar Rückenwind.
Die AfD hält im Moment viel für möglich
„Der Geist ist aus der Flasche und der geht nicht mehr zurück. Wir werden das Land umkrempeln“, so die Ansage von Chrupalla. Höcke wurde noch deutlicher, hält vor dem aktuellen Hintergrund bei der kommenden Landtagswahl in Thüringen im nächsten Jahr einen AfD-Sieg für möglich: „Da sind 40, 42 Prozent drin – damit hat die CDU auch schon allein regiert“, so Höcke in der vollen Rottweiler Stadthalle.

Den Demokratie-Check, dem sich nun der frisch gewählte Sonneberger AfD-Landrat unterziehen muss, nannte Höcke ein Machterhaltungsinstrument der Thüringer Landesregierung, das gegen demokratische Prinzipien verstoße. Für Höcke wieder mal ein Beleg dafür, dass über die AfD Hass und Hetze „ausgekübelt“ werde.
„Davon dürfen wir uns nicht anstecken lassen. Wir werden niemals so sein“, rief Höcke in gedehnten Worten seinen Zuhörern zu. Er schwor sie auf einen beschwerlichen Weg, einen Kampf ein. Aber dann scheint vieles möglich zu sein: „Wir holen uns unser Land zurück. Seid bereit für mehr – für viel mehr.“

Mehrere Redner riefen die zahlreich erschienenen Anhänger dazu auf, sich mehr zu ihrer Partei zu bekennen. „Tragen sie Ihre Meinung in die Öffentlichkeit! Wir müssen die Stimmung im Land verändern, dann werden wir auch Wahlen gewinnen“, zeigte sich auch Christina Baum, AfD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Main-Tauber, überzeugt. Maximilian Krah, AfD-Europaabgeordneter, sagte, es sei Zeit, „die nächste Stufe zu zünden, sich nicht mehr zu verstecken“. Jeder Monat, den die Ampel-Koalition regiere, sei gut für die AfD. Das seien die besten Wahlhelfer.
Breites Bündnis organisiert Gegendemo
Ein Bündnis aus 26 Parteien, Vereine, Gewerkschaften und Kultureinrichtungen hatte schon seit dem Nachmittag gegen die AfD-Veranstaltung demonstriert.
Mit zahlreichen Reden, unter anderem von Landtags- und Bundestagsabgeordneten, künstlerischen Einlagen, aber auch mit einem lauten Pfeifkonzert brachten sie Unmut und Sorge vor allem wegen des Auftritts des rechtsextremen Höcke zum Ausdruck.
Bahnpfeifen gegen die AfD
Judith Spiller vom Deutschen Gewerkschaftsbund aus Rottweil verteilte rote Gewerkschaftspfeifen, die sonst bei Streiks zum Einsatz kommen. Wirklich ohrenbetäubend dröhnen andere Pfeifen, wie die eines ehemaligen Bahnmitarbeiters, der sie früher auf den Gleisen erklingen ließ. Jetzt gegen die AfD: „Dafür ist sie noch gut“, sagte er.
„Für mich verfolgt die AfD die Ziele ihrer Vorbilder von vor 90 Jahren“, sagt Christoph Zeitz, der mit seinen Naturfreunden ebenfalls Teil des Bündnisses ist. Es sei wichtig zu zeigen, dass dagegen Widerstand geleistet werde. Auch Wolfgang Geißler aus Fluorn macht sich Sorgen, dass sich 1933 wiederholten könnte. „Ich sage nur Sonneberg – da hat‘s auch funktioniert.“
Die einfachen Antworten, die die AfD auf die komplexen Probleme der heutigen Zeit gebe, seien nicht die richtigen, sagte Bianca Schweitzer aus Schramberg. Auch wenn ihnen Pfiffe entgegengellen, werden die AfD-Wähler von den Rednern nicht verteufelt.
Die örtliche CDU-Bundestagsabgeordnete Maria-Lena Weiss sagte in ihrer Rede, dass viele Bürger auch aus Frust zur AfD wandern. Luigi Pantisano, vom Vorstand der Linken, sieht aber auch die andere Seite: „Migranten, People of Colour, Geflüchtete – es gibt viele Menschen, die sich bedroht fühlen angesichts der AfD-Erfolge“, sagte er.
„Dass Ihr Euch nicht schämt“
Auf 1200 Leute schätzte Mitorganisator Thomas Busch von den Grünen in Rottweil die unübersichtliche Demonstrantenschar, die Polizei geht nur von der Hälfte aus. Separat davon, näher beim Halleneingang, hat sich eine weitere Gruppe von Protestierern versammelt: Die Antifaschistische Aktion und ein paar Sympathisanten, allesamt junge Leute, gaben den eintreffenden AfD-Gästen ziemlich deutlich zu verstehen, was sie von ihnen halten. „Dass Ihr Euch nicht schämt“ war einer von den harmlosen Rufen.