Schafft es der Wolf, sich in Baden-Württemberg wieder anzusiedeln? Bisher waren es stets einzelne Exemplare, die gesichtet, fotografiert, vertrieben und teils geschossen wurden wie das gejagte Tier am Schluchsee (Sommer 2017). Wissenschaftler der Universität Freiburg haben sich jüngst mit dem Wolf beschäftigt und kommen zur Erkenntnis: Der Wolf wird sich behaupten, er wird leicht Rudel bilden und in diesen Verbänden leicht überleben.
„In absehbarer Zeit werden es 100 Tiere sein“, sagt Nicolas Schoof, der die Studie mit seinen Kollegen Albert Reif und Eckhard Jedicke vorlegte. Dabei verweisen sie auf die Erfahrungen in Brandenburg: Innerhalb von 18 Jahren ist dort die Population auf etwa 400 Tiere angewachsen, die sich auf stabile 50 Rudel verteilen.
Der Wolf gefährdet wertvolle Nischen
Die drei Forscher betrachten den vierfüßigen Einwanderer unter einem neuen, frischen Blickwinkel: Sie interessieren sich für den Wolf weniger als bereichernde tierische Vielfalt, sondern weil er natürliche Lebensräume bedroht. Nicht der Wolf ist gefährdet, sondern der Wolf zerstört langfristig wertvolle biologische Nischen, zum Beispiel in Urlaubsgebieten.

Die Wissenschaftler verweisen auf die bewirtschafteten Weiden. Ziegen und Schafe grasen auf den schwer zugänglichen Flächen und kargen Böden. Sie halten die Landschaft offen, indem sie auf der Weide fressen. Der Wolf gefährdet diese Herden. In der Folge würden viele Schäfer aufgeben, da der Herdenschutz zu aufwändig sei. „Es droht eine teilweise Aufgabe der Weidewirtschaft gerade auch an diesen besonders wertvollen Standorten“, warnt Schoof.
Besonders den Schwarzwald trifft es
Mit ausgesuchten Standorten sind auch Grasflächen im Schwarzwald gemeint oder auf der Schwäbischen Alb. Diese unscheinbaren Weiden sind für die Landwirtschaft kaum brauchbar und schwer zugänglich. Nur Weidetiere finden dort noch immer genug Futter. Und sie verhindern, dass die Flächen zuwachsen. Damit wirken die Schafe als Schützer einer offenen Landschaft, was wiederum im Interesse des Tourismus ist. Ein verwildertes, bewaldetes Mittelgebirge verliert an Attraktivität.

Nicolas Schoof weiß, dass er ein heißes Eisen anfasst. Denn gerade Naturschützer setzen sich energisch für eine freundliche Behandlung des wölfischen Rückkehrers ein. Die Belange der Schäfer geraten teilweise aus dem Blickfeld: Ein Nebeneffekt seiner Schafsherde ist die Landschaftspflege, zum Beispiel auf Heiden oder auf Grünland in steilen Lagen.
Darf man einzelne Tiere schießen?
„Der Wolf hat bei uns keine natürlichen Feinde“, sagt der Vegetationswissenschaftler Schoof im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Das europäische wie das deutsche Recht schützen ihn. Er ist faktisch unverwundbar, wenn er nicht in ein fahrendes Auto läuft. Die drei Wissenschaftler drängen auf die Möglichkeit, dass einzelne Tiere geschossen werden dürfen, wenn sie mehrfach reißen. Dieser Punkt ist bisher sehr umstritten. Schoof verweist aber darauf, dass der Abschuss besonders Auffälliger Wölfe bereits jetzt „ordnungsrechtlich“ möglich sei.
Der Schlüssel liege also nicht bei einer verengten Betrachtung des Wolfes, sondern bei den Haltern von Weidetieren. Um sie ist es nicht gut bestellt, sagt Nicolas Schoof: „Die Zukunft der Schäfer ist nach heutigem Stand katastrophal.“ Gemessen an ihrem Tagespensum verdienten sie etwa 6 Euro in der Stunde, das liegt deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Von Seiten der Politik wird häufig der Herdenschutzhund ins Spiel gebracht. Doch der ist teuer.
Land unterstützt Tierhalter
Die Landespolitik reagiert. Im Sommer 2020 stellte das Umweltministerium die sogenannte „Förderkulisse Wolfsprävention“ auf. Das bedeutet: Das Land übernimmt die Materialkosten für Zäune und Zubehör, und es erstattet die Arbeitskosten, wenn neue Zäune errichtet oder bestehende Gatter nachgebessert werden. Auch die teuren Schutzhunde werden inzwischen stark subventioniert: Pro Jahr steuert das Amt 1920 Euro bei, wenn ein Schäfer eines der speziellen Wachtiere anschafft.
Schäfer – Landschaftsschützer ohne Lobby
Für die Probleme der Schäferei ist der Wolf nicht die Ursache. Doch verschärft dessen Auftauchen die prekäre Situation nochmals. Viele Schäfer würden deshalb ans Aufhören denken – mit der Folge, dass die Weiden verwaisen und langsam zuwuchern.