Es war ein sonderbares Novum, über das viele in und ausserhalb der Landespolizei den Kopf schüttelten: Ein hochrangiger Polizeibeamter, den das Innenministerium schon im September als designierten Polizeipräsidenten öffentlich präsentiert hatte, konnte wegen laufender Ermittlungen gegen ihn sein Amt nicht antreten. So geschehen in Konstanz kurz vor Weihnachten.
Damit war das Polizeipräsidium am Bodensee mit seinen rund 1500 Mitarbeitenden zumindest vorübergehend führungslos. Denn mit Ende des Jahres wurden der bisherige Konstanzer Polizeipräsident Hubert Wörner und sein Vize, Kripochef Thomas Föhr, ungewöhnlicherweise zeitgleich in den Ruhestand entlassen.
„Ein weiterer Beweis für die aberwitzige Personalpolitik des Innenministeriums“, sagt dazu ein Insider. Interimistisch muss nun der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer für mindestens drei Monate in Konstanz einspringen.
Soll ein unliebsamer Bewerber verhindert werden?
Während die Kripochef-Stelle seit Monaten ausgeschrieben ist, fehlt dies für den Konstanzer Vizepräsidenten bis heute. Der Grund ist laut Insidern, dass man im Innenministerium auf Zeit setze, um damit die Bewerbung eines unliebsamen Kandidaten zu verhindern. Deshalb werde mit der Ausschreibung solange gewartet, bis dessen Bewerbung faktisch nicht mehr möglich sei.
Das Innenministerium erklärt auf Anfrage, dass Stellen im höheren Polizeidienst in gebündelten Ausschreibungspaketen veröffentlicht würden, um eine größere Zahl geeigneter Bewerber zu erreichen. Wann es zur Ausschreibung dieser Stellen komme, konnte ein Sprecher auf Nachfrage nicht beantworten.
Auch ob und wann der designierte Konstanzer Polizeipräsident seine Stelle antreten kann, ist derzeit völlig unklar. Ein Insider sagt dazu: „Wenn er doch noch ins Amt kommt, verstehen viele die Welt nicht mehr.“
Eine Sprecherin des Innenministeriums schreibt dazu, sie könne sich aufgrund des Datenschutzes nicht zu konkreten Personalien und zeitlichen Abläufen des Besetzungsverfahrens äußern.
Kurzzeit-Chefs bei Konstanzer Polizei
Auffällig ist jedenfalls, dass es nur wenig Konstanz bei der ranghöchsten Chefposition im Konstanzer Polizeipräsidium gibt. Seit dieses nach der letzten Polizeireform 2020 neu aus der Taufe gehoben wurde, war kein Präsident drei volle Jahre im Amt: Gerold Sigg war etwas über zwei Jahre oberster Polizist in Konstanz und ging mit 63 in den Ruhestand. Sein Nachfolger Hubert Wörner kam auf knappe drei Jahre und verabschiedete sich mit 61 in die Rente.
Der designierte Polizeipräsident von Konstanz, gegen den ermittelt wird, dürfte nicht viel länger im Amt bleiben, sollte er dieses überhaupt antreten können: Er wird 60 Jahre alt. Mit Erreichen dieses Alters mussten Polizeibeamte in Baden-Württemberg jahrzehntelang in den Ruhestand gehen – ob sie wollten oder nicht. Inzwischen dürfen sie länger arbeiten, doch bis zum Maximalalter 65 hält kaum jemand durch.
Zum Vergleich: In benachbarten Polizeipräsidien sind die obersten Chefs bereits mehr als fünf Jahre im Amt. Der oberste Freiburger Polizist Franz Semling ist seit bald sechs Jahren auf seinem Posten. Der Ravensburger Präsidiumschef Uwe Stürmer, der nun als Krisenfeuerwehr nach Konstanz geholt wurde, ist bereits mehr als fünf Jahre im Dienst.
Hinter vorgehaltener Hand sagen mehrere Polizeibeamte unabhängig voneinander, dass die verhältnismäßig kurze Dienstzeit der Konstanzer Polizeipräsidenten aus Managementsicht alles andere als ideal ist: „Wenn die Mitarbeiter sehen, da kommt einer nur für zwei, drei Jahre als Polizeipräsident, dann entfalten seine Maßnahmen nicht dieselbe Wirkung“, sagt ein Insider.
Ist das Polizeipräsidium Konstanz mit seiner Lage am Bodensee nahe den Schweizer Alpen eine Art Belohnung für altgediente Spitzenpolizisten kurz vor ihrem Ruhestand?
Resterampe oder Bestenauslese?
„Ein System – so nach dem Motto: zum Schluss geht es noch an den Bodensee – gibt es nicht, weil die Präsidentenstellen im höheren Dienst alle handverlesen sind“, sagt der Stockacher Gerd Stiefel. Er war zwölf Jahre Kripochef in der Konzilsstadt und führte bis zu seinem Ruhestand die Schutzpolizei mit rund 1000 Beamten im Polizeipräsidium Konstanz an.
Ein anderer Spitzenpolizist, der wie viele andere anonym bleiben will, sagt dazu: „So schön Konstanz ist, so ist es doch weit weg von den großen Zentren.“ Fähige Toppolizisten würden daher – zugespitzt formuliert – oft „direkt vor der Haustür“ Leitungsfunktionen finden, ohne in das eher abgelegene Konstanz umziehen zu müssen.
Eine Art „Resterampe“ sei die Grenzstadt dennoch keine. „Es ist ja nicht wie im Fernsehen, wo der Polizeichef nur im Büro sitzt und sich einen Kaffee bringen lässt – die Polizeipräsidenten haben alle etwas drauf“, sagt Ex-Polizist Gerd Stiefel.
Gemäß Innenministerium gelte bei Einstellungen und Beförderungen das Prinzip der Bestenauslese ausschließlich nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. „Das Alter der Beamten, die das jeweilige Anforderungsprofil der Stelle erfüllen, spielt bei der Auswahlentscheidung keine Rolle“, schreibt eine Sprecherin.
Problemfall Konstanz?
Wie mehrere Insider berichten, sei das Konstanzer Polizeipräsidium seit seiner Gründung so etwas wie ein „zerrissenes Tischtuch“, bei dem öfter als in anderen Präsidien das Motto „einer gegen den anderen“ vorherrsche.
Gelegentlich treten die Machtkämpfe auch zu Tage: So soll einer der ranghöchsten Konstanzer Polizisten seit seinem Stellenantritt vor mehr als drei Jahren bei vollen Bezügen genau einen Tag Dienst versehen haben, wie mehrere Quellen unabhängig voneinander berichten.
Neben einer Krankheit wird als Hauptgrund für die lange Absenz hinter vorgehaltener Hand genannt, dass sich der Polizeibeamte bei der Stellenauswahl für einen Topjob übergangen fühle. Der Workaholic soll meist um 6 Uhr früh seinen Dienst angetreten haben und oft bis 22 Uhr im Büro geblieben sein.
Er soll seinen alten Dienstposten verlassen und die angehäuften Überstunden zwangsweise abbauen haben müssen. Seither erschien er nach SÜDKURIER-Informationen bis auf einen Arbeitstag nicht mehr auf seiner neuen Stelle im Konstanzer Polizeipräsidium.
Regelungen sollen lange Krankenstände verhindern
Dabei gibt es bei der Landespolizei Regelungen, die selbst im Fall einer ernsten Erkrankung eine Abwesenheit von mehr als drei Jahren eher verunmöglichen: Nach drei Monaten erhält man vom Wiedereingliederungsmanagement einen Brief, um zu besprechen, wie es weitergeht.
Kommt der Termin nicht zustande oder sagt der Betroffene ihn ab, wird er zum Polizeiarzt zitiert. „Ein Simulant ist er zwar nicht“, sagt eine gut informierte Quelle. „Würde er in einen höheren Stand berufen, gebe es wohl eine Art Wunderheilung.“
Der Polizist reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf mehrere schriftliche Anfragen.
Das Innenministerium nennt auf Anfrage erneut den Datenschutz, weshalb man sich zum konkreten Fall nicht äußern könne. Allgemein gelte: Wenn ein Beamter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist und dem betrieblichen Eingliederungsmanagement zustimmt, prüft der Dienstgeber gemeinsam mit dem zuständigen Personalrat Maßnahmen, um die Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen.
„Hat der Dienstherr berechtigte Zweifel an der Dienstfähigkeit eines Beamten, weist er diesen an, sich beim Polizeiarzt untersuchen zu lassen“, schreibt eine Sprecherin.