Die Villinger Polizeihochschule übt sich in Schadensbegrenzung. Der Aufruhr war groß, als publik wurde, dass 600 Studenten der Landespolizei aus ganz Baden-Württemberg an einem Ort zur Präsenzprüfung antreten – um ihre Ausbildung zum Polizeikommissar abzuschließen.
Doch das Hygienekonzept, das auch das Innenministerium guthieß, hat offensichtlich Lücken. Scharfe Kritik gibt es deswegen von Seiten der Polizeigewerkschaft. Wer aber trägt die Verantwortung, wenn aus den drei Prüfungstagen in dieser Woche Infektionen resultieren?
„Ausgeklügeltes Konzept“ – Prüflinge sollen Gesundheitszustand selbst im Auge behalten
Tatsächlich sieht die geltende Corona-Verordnung eine Ausnahme für die Polizei vor. Prüfungen dürfen stattfinden. Allerdings müssen Hygienevorschriften eingehalten werden. Frank Faras, Pressesprecher von der Polizeihochschule, spricht von einem „ausgeklügelten Konzept“, mit dem die Prüfungen stattfinden konnten.
Diese seien „zwingend erforderlich, um die Funktionsfähigkeit des systemrelevanten Bereichs Polizei auch weiterhin sicherzustellen“, heißt es seitens des Landesinnenministeriums.
Wie der SÜDKURIER aus Polizeikreisen erfährt, stand das Konzept intern aber durchaus zur Debatte. Die Bedenken seien aber an den entscheidenden Stellen nicht gehört worden.

Das Konzept der Hochschule: Die 600 Kommissaranwärter wurden auf zwei auseinanderliegende Hallen auf dem Messegelände der Stadt sowie die hochschuleigene Sporthalle aufgeteilt. In einem separaten kleineren Raum der Hochschule wurden schwangere Studentinnen zur Prüfung gebeten. Etwa 200 Menschen in einer Halle – gäbe es die Ausnahmeregelung nicht, wäre eine so große Zahl von Menschen an einem Ort unter den strengen Vorgaben der Corana-Verordnung undenkbar.
Doch auf Nachfrage erfährt der SÜDKURIER, dass es trotz der großen Anzahl von Menschen vor Ort keine Schnelltests oder Fiebermessungen gegeben hat. Auch vorab wurden offenbar keine Tests gemacht, eine entsprechende Nachfrage, weshalb nicht, ließ die Hochschule unbeantwortet.
Der Sprecher des Innenministeriums, Renato Gigliotti, sagt dem SÜDKURIER: „Eine Durchführung von Schnelltests wurde im vorliegenden Fall nicht für zielführend erachtet.“ Genauer begründet er dies nicht.
Stattdessen wurden die Prüflinge gebeten, „ihren Gesundheitszustand täglich eigenverantwortlich zu überprüfen“. Zudem habe man zu einer „freiwilligen Eigenquarantäne“ vorab zu den Prüfungen aufgerufen, wie der Sprecher der Hochschule, Faras, erklärte.
Fünf Mitarbeiter sollen 600 Leute geordnet in die Prüfungssäle leiten
Auch auf dem Parkplatz, auf dem zwei Drittel der Prüflinge ankommen, gab es offenbar keinen detaillierten Ablaufplan, lediglich die Pflicht, eine FFP2-Maske zu tragen. Faras sagt dagegen: Man habe sich bewusst für Gebäude mit vielen Parkplätze entschieden, um „Stauungen grundsätzlich zu vermeiden“.

Faras sei selbst vor Ort gewesen, sagt er. Dort hätten fünf Mitarbeiter der Hochschule den Zugang von 600 Prüflingen vom Parkplatz zu den Messehallen organisiert.
Als der SÜDKURIER nach Ablauf der Prüfungen Fotos auf dem Parkplatz aufnimmt, sind viele Prüflinge schon abgefahren. Trotzdem ist am Eingangsbereich einer der Hallen eine Gruppe von Menschen zu sehen. Sie tragen FFP2-Masken.
Fünf Stunden mit FFP2-Maske
Diese müssen sie auch während der fünfstündigen Prüfungen tragen. Dabei heißt es in den Arbeitsschutzbestimmungen, dass die Masken nach 70 Minuten abgenommen werden sollten und eine Pause von einer halben Stunde gemacht werden sollte.
Auf Nachfrage, ob diese Pausen eingehalten wurden, erhält der SÜDKURIER keine klare Antwort. Man habe die Bestimmungen zur Tragedauer von FFP2-Masken geprüft, das entstandene Hygienekonzept sei genehmigt worden.
Hygienekonzept von Behörden und Land abgesegnet
„Es wurden alle denkbaren Möglichkeiten geprüft“, betont Faras. Verschiedene Gremien und Behörden hätten das Konzept abgesegnet, unter anderem das lokale Gesundheitsamt. Ein Einblick in das Konzept sei aber nicht möglich, es handle sich um ein innerdienstliches Dokument, hieß es.
Bislang habe es keine Infektionen gegeben, ergänzte Faras. Drei Tage hatten in dieser Woche Prüfungen stattgefunden, zuletzt am heutigen Freitag. Zudem verwies Faras auf Prüfungen vom vergangenen Sommer, die ebenfalls unter Corona-Bedingungen stattfanden und „erfolgreich“ waren. Im Sommer waren die Infektionszahlen allerdings auch deutlich geringer als derzeit.
Gewerkschaft tobt, Landeschef hat aber selbst zugestimmt
Der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, zeigte angesichts solcher Statistiken wenig Verständnis für den „Verzicht auf alles, was möglich ist“ bei der Prüfung in Villingen-Schwenningen.
Er kritisierte im Gespräch mit dem SÜDKURIER, dass keine kleineren Gruppen und entsprechend mehr Räumlichkeiten genutzt worden seien. Auch Schnelltests wie bei Pflegeheimen nun üblich, hätte es gebraucht, sagt er. Zudem hätte es ein geregeltes An- und Abfahrtskonzept gebraucht, bemängelt er.

Die Masken allein seien kein ausreichender Schutz, betont er. „Wenn nur einer die Maske nicht richtig auf hatte, haben wir ein Superspreaderevent, von dem dann auch viele Familien betroffen sind“, fürchtet er. Auch der Aufruf zur Selbstquarantäne hält er für eine Farce: „Viele unserer Studenten leben nicht alleine, sondern haben Familie“, macht er deutlich.
Pikant: Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft gehört jenem Gesamtpersonalrat an, der genau diesem nun kritisierten Konzept zugestimmt hatte. Kusterer sieht darin keinen Widerspruch. Zwar hätte der Personalrat das Konzept ablehnen können, aber schließlich habe das Gesundheitsamt keine Einwände gehabt.
Gesundheitsamt verteidigt Genehmigung des Konzepts
Wir fragen beim zuständigen Gesundheitsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises nach. Sprecherin Heike Frank sagt dem SÜDKURIER auf Anfrage: „Das Prüfungskonzept wurde durch unser Gesundheitsamt für angemessen und gut befunden.“
Demnach ginge die größte Gefahr von den ausgeatmeten Aerosolen aus: „Deshalb war es wichtig, dass bei der Prüfung FFP2-Masken getragen werden, welche die Konzentration der Aerosole um 95 Prozent im Raum reduzieren.“ Zudem seien die Prüflinge ja auf mehrere Räume aufgeteilt gewesen und „sorgfältig“ auf Abstände geachtet worden.

Frank betont auch, dass es „aus Sicht des Gesundheitsamtes wichtig“ gewesen sei, dass die Prüflinge zur selbst auferlegten Quarantäne aufgeforderten worden seien. Auch zum Verzicht auf „Fahrgemeinschaften und auf Zusammenkünfte in den Studentenwohnheimen“ sei aufgerufen worden.
Erst in 14 Tagen wird man beurteilen können, ob die von den zuständigen Behörden als ausreichend eingestuften Schutzmaßnahmen tatsächlich ausreichten.
Sollten sich Studenten bei der Prüfung infiziert haben, könnten sie Kusterers Angaben zufolge allerdings nicht einmal einen Dienstunfall geltend machen.