Über Donaueschingen strahlt an diesem Tag die Sonne vom blauen Himmel. Es ist knackig kalt, aber die Soldaten des Jägerbataillons 292 schauen selten aufs Thermometer. Der Frost kommt ihnen jetzt sogar entgegen, auch wenn sie im auf drei Tage angesetzten Biwak nachts bei minus 10 Grad im Schlafsack eingerollt sind.
Denn es ist trocken, und Feuchtigkeit, die durch die Stiefel unerbittlich nach oben kriecht, fällt weg. Die Schlafzeiten im Einmannzelt zwischen den Fichtenstämmen des umzäunten Standort-Übungsplatzes sind ohnehin knapp bemessen.
Keine drei Stunden Schlaf am Stück
Länger als zweieinhalb Stunden am Stück hat heute Nacht keiner der Männer geruht. Alarme und Wachablösungen wechseln sich ab. Die Holzglut in der Feuerstelle ist fast erloschen, die Unteroffiziere und Feldwebel halten die Rekruten auf Trab.

Die haben ihre dreimonatige Grundausbildung hinter sich. Sie wurden eingekleidet, haben ärztliche Untersuchungen absolviert und gelernt, wie man im Gleichschritt marschiert; sie sind in Erster Hilfe geschult, können ihr Sturmgewehr auseinandernehmen und zusammensetzen – sprich: Sie haben die Basics gelernt – wie alle Soldaten der Bundeswehr, egal in welche Teilstreitkraft sie dienen.
Die Rekruten erwartet Härte
In der nun anschließenden Spezialgrundausbildung (SGA) lernen die angehenden Jäger das, was sie von den meisten anderen Soldaten des Heeres unterscheiden wird.
Wer sich als Soldat zum Dienst bei den Jägern meldet, weiß, dass ihn Härte erwartet. Jäger sind klassische Infanteristen. Sie kämpfen in bewaldetem Gelände, werden aber auch für den Häuserkampf und an der Panzerfaust ausgebildet.
Der Transportpanzer GTK Boxer fährt sie ins Gefechtsfeld, dann sind sie auf sich alleine gestellt. Vergleichbaren Herausforderungen sind nur noch die Gebirgs- und die Fallschirmjäger ausgesetzt.

Wer aber meint, dass die Infanterie aufgrund der hohen Belastung ein reiner Männerjob sei, irrt sich. „Gerade Frauen beweisen sich immer wieder durch Durchhaltevermögen, taktisches Geschick und eine oft hohe Stressresistenz, was sie zu wertvollen Mitgliedern jeder Einheit macht“, sagt Presseoffizier Oberleutnant Kevin Lahr.
Der Gefreite Leo W. (19) trägt die Standardwaffe der Jäger, das Sturmgewehr G36, am Gurt vor der Brust, die Mündung auf den Boden gerichtet. Grüne Tarnfarbe bedeckt sein Gesicht, eine Schutzbrille sitzt vor den Augen.

2024 hat er in Heidelberg Abitur gemacht, jetzt steht W. auf dem Standortübungsplatz zusammen mit 30 Kameraden bis zur Hüfte in einem Schützengraben, der sich durch den Tann schlängelt. Seinen Nachnamen schreibt der SÜDKURIER aus Sicherheitsgründen nicht aus.
Kleiderwechsel gibt es nicht
Gefreiter W. ist trotz wenig Schlaf, seit zwei Tagen nicht gewechselter Wäsche und vieler Platzpatronen-Schusswechsel guter Laune. Genauso hat er sich die militärische Ausbildung vorgestellt, „das Coolste, was man so erleben kann“, sagt er und lächelt.
Sein Vater, erzählt W., habe den Dienst an der Waffe als junger Mann verweigert. Der Sohn taucht ein ins Jägerleben, „eine ganz neue Erfahrung“, setzt er hinzu, „mit Kameradschaft, Erfolgserlebnissen und Stolz auf das Eingeübte und Geleistete“.
Bis man sich im Gefecht sicher bewegt, müssen die Abläufe immer wieder eingeübt werden. Auf Kommando besetzen die angehenden Jäger erneut ihre Positionen im Schützengraben.
Letztes Jahr noch Schule, heute hinter dem Maschinengewehr MG5, das bellend Mündungsfeuer aus dem Lauf spritzt und dessen 12 Kilo den Bizeps fordern.
Wamm! Ausbilder feuern mit lautem Knall eine Signalpistole ab, rufen Befehle, die Soldaten nehmen im Unterstand ihre Posten ein, üben die Zielansprache ein, klemmen ein Auge hinter das Visier, feuern auf Feind-Darsteller hinter den Bäumen 50 Meter voraus.
Die Männer wechseln leergeschossene Magazine, hasten in die Unterstände, die ins Helmnetz gesteckten Tannenzweige werden lebendig. Zwischen den Baumstämmen steigt eine Pulverwolke hoch.
An Übungsmunition herrscht kein Mangel, ein gerufenes „Peng, Peng!“ – wovon vor einigen Jahren einmal berichtet wurde – gibt es nicht, dafür aber eine heftige Ansprache des Ausbilders. Denn mit dem MG will es noch nicht ganz klappen.
Daher muss geübt und immer wieder geübt werden. Zeit zum langen Nachdenken gibt es nicht, die Rekruten müssen sich Routine erarbeiten, sich blind verstehen und vertrauen. So will es das Kriegshandwerk. Die Ausbilder schleifen niemanden – diese Zeiten sind vorbei – aber sie fordern die Männer.
Auch Nils E. (21) gehört zur Koalition der Freiwilligen im Wald. Seine Schutzbrille hat er in die Fleece-Mütze geschoben, die hier „Erbse“ heißt. Der Obergefreite kommt aus Ingolstadt und ist gerne auf der Baar. Sein Maschinenbau-Studium hat er abgebrochen und sich für vier Jahre verpflichtet.

Statt Theorie lerne er jetzt „viele praktische Dinge fürs Überleben draußen im Feld“. In der Freizeit geht er im Gym Boxen, die körperliche Herausforderung bei den Jägern kommt ihm genau recht. Und ja, es geht auch darum, sich jetzt, in solchen Zeiten, für sein Land einzusetzen. Offizier möchte E. werden und an einer Bundeswehr-Universität studieren.
Weniger Zeitsoldaten, mehr Leute im Wehrdienst
Deutschland braucht mehr Soldaten. Die 181.150, die die Bundeswehr hat, sind zu wenig angesichts der neuen Bedrohungslage. Doch anstatt größer wird die Truppe im Moment kleiner. Einen Rückgang gab es vor allem bei den Zeitsoldaten, während bei Berufssoldaten und Wehrdienstleistenden ein leichtes Plus verzeichnet wird.
Ende 2022 hatte die Bundeswehr noch 183.050 Soldaten. Auch dies war deutlich weniger als die Zielgröße von 203.000 Mann. Diese gilt allerdings seit der militärischen Zeitenwende als überholt. Die Ziellinie liegt jetzt bei etwa 230.000 Soldaten.
Ministerium sieht „Trendumkehr“
Gelingt das? Mit Hinweis auf mehr Bewerbungen und Einstellungen spricht das Verteidigungsministerium davon, eine „Trendumkehr“ erreicht zu haben. Es habe rund 20.300 Einstellungen gegeben, rund acht Prozent mehr als 2023. Dies sei ein Zuwachs von rund 1500 Soldaten. „Das Jahr 2024 war das einstellungsstärkste Personalgewinnungsjahr der vergangenen fünf Jahre“, heißt es aus dem Verteidigungsministerium.
Das klingt ermutigend, und an Rekruten fehlt es auch beim Donaueschinger Bataillon nicht. Unbesetzte Posten gibt es dennoch, etwa bei der Instandsetzung, im Stabsdienst, bei den Fernmeldern und der Informationstechnik, dort, wo länger dienende Fachkräfte gebraucht werden, die schnell in der freien Wirtschaft einen Job bekommen.
Erst Lehre, dann zur Truppe
Bei Oberfeldwebel Florian B. (24) führte der Weg in die andere Richtung. Er hat in einem Betrieb eine Lehre als Einzelhandelskaufmann gemacht. Jetzt ist der stämmige Mann aus dem Raum Reutlingen Jäger-Ausbilder, trägt über der Feldmütze ein Paar Kopfhörer und ein Mikrofon vor dem Mund.

Moderne Kommunikationstechnik ist heutzutage auch im Wald angekommen, ein Fortschritt, der zur modernisierten Ausstattung der Soldaten passt.
An alte Zeiten erinnern nur das Alu-Feldgeschirr und die Feldflasche in der Flecktarn-Mehrzwecktasche, die in Hüfthöhe befestigt wird. Das neue „Kampfbekleidungssystem“, wie es in der Truppe heißt, beschreiben die Ausbilder als zweckmäßig und gut. So sind Ellbogen und Knie durch Protektoren geschützt, auf dem Helm können Lampen und Nachtsichtgeräte angesteckt werden.
Der Sold stimmt
Die lange Klage über Mängel der persönlichen Ausrüstung hat sich gelegt, und auch von einem monetären Anreiz für das Leben bei der Infanterie ist die Rede. So bringt es ein lediger Hauptgefreiter auf mehr als 2400 Euro netto, ein Hauptfeldwebel geht – ohne Sonderzulagen – mit mehr als 3100 Euro nach Hause.
Ausbilder Alex H. (40) hat Auslandseinsätze im Kosovo und in Afghanistan hinter sich. Jetzt motiviert ihn, seinen Rucksack voller Erfahrungen an die Rekruten weitergeben zu können. Der bärtige Veteran weiß, was es heißt, monatelang seine Familie nicht zu sehen. Aber auch als Rekrut bei den Jägern müsse man wissen, „was man alles opfern muss“, sagt der Hauptfeldwebel.
Freitags früher nach Hause
Die Familie müsse zurückstehen, am vielleicht weiter entfernten Heimatort bleibe die Freundin allein. Daher ist bei der Kompanie freitags um 10.45 Uhr Dienstschluss, damit die Heimreise früh angetreten werden kann. Bis dahin ist es noch zwei Tage hin, das Grabengefecht wird nachbereitet.

Die Ausbilder sprechen mit den Rekruten durch, was bei der Verteidigung verbessert werden muss. Dann werden die Patronenhülsen aus Messing sorgfältig in ein paar Helmen gesammelt. Recycling ist Vorschrift, nichts bleibt im Wald zurück. Erst dann dürfen die Gruppen „Alpha“, „Bravo“ und „Charlie“ in die Mittagspause wegtreten und nach Dienstschluss und drei Tagen Winterbiwak endlich unter die Dusche.