Die Kameras, das Mischpult, die Bildschirme und die Mikrofone stehen bereit, als Mike W. den Sitzungssaal betritt. Doch diese Bühne im Landgericht Konstanz ist nicht für den 49-jährigen Mann aus Nordrhein-Westfalen errichtet worden. An diesem achten Verhandlungstag sollen die verdeckten Ermittler aussagen, die diese Anklage und diesen Prozess erst möglich gemacht haben, verfremdet und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Doch es kommt anders.
Kurz nach 9 Uhr wird Mike W. sich erstmals zur Sache äußern. Er ist des Mordes an Jan Heisig angeklagt, er soll ihn am Abend des 2. Juni 2019 in seinem Schlafzimmer attackiert haben, Heisig habe nichts geahnt, als W. ihn mit „beringten Fingern“ geschlagen haben soll. Tage später soll er die Leiche in Folie verpackt und durch eine chemische Reaktion mit Thermit und Kalk vernichtet haben. Das habe er einem verdeckten Ermittler offenbart. Vor allem wegen dieser Aussage wird ihm nun, mehr als fünf Jahre nach der vermeintlichen Tat, der Prozess gemacht.
Verbrennung nur erfunden?
Am Dienstag verliest nun Pflichtverteidiger Marc Decker eine lange Einlassung seines Mandanten – und widerspricht an entscheidenden Punkten den Vorwürfen. So habe W. vergangenes Jahr sofort geahnt, dass er es mit verdeckten Ermittlern zu tun hatte, und ihnen eine erfundene Geschichte über den Verbleib des Leichnams erzählt.
Mike W. bedauere es sehr, dass die Leiche von Heisig, die er lediglich vergraben haben will, nie gefunden wurde, und dass die Angehörigen ihn nie beerdigen konnten. Er macht den Anwesenden daher am Ende ein Angebot: Sofern sein Anwalt ihn begleitet, würde er die Ermittler zu dem Ort führen, wo das geschehen sein soll. Wo genau, wird vor Gericht nicht weiter ausgeführt.
Suche soll noch einen Tag später beginnen
Nach seiner Aussage, Nachfragen wollte W. nicht beantworten, bittet die Kammer um Absprache mit Verteidiger, Nebenklagevertreter und Staatsanwalt. Die Sitzung wird unterbrochen. Nach einer einstündigen Pause ist klar: Mit der Suche nach Jan Heisigs Leichnam soll begonnen werden, so schnell es geht, wenn die erforderlichen Einsatzkräfte bereitstehen. Ob wirklich noch am Mittwoch damit begonnen werden kann, war unklar.
In den vergangenen fünf Jahren ließ die Polizei nichts unversucht, um den Leichnam von Jan Heisig zu finden. Immer wieder durchkämmten Hundertschaften die Höri und andere Gebiete, auch Leichenspürhunde waren im Einsatz. In Krefeld wurde ein ganzes Grundstück umgegraben.
Sie suchte einen „Beschützer“
In seiner Einlassung stellte Mike W. noch viele andere Punkte klar: Er wolle Verantwortung übernehmen für das, was er getan habe, verlas Anwalt Decker zu Beginn. Nach einem Brand im Frühjahr 2019 in seiner Wohnung in Krefeld sei er obdachlos gewesen, seine Ehefrau war zu der Zeit im Gefängnis, er trieb sich auf der Krefelder Platte, dem Treffpunkt der Drogenszene, herum. Hier lernte der heroinsüchtige Mann auch die Halbschwester Heisigs kennen, die ihn nach einem handfesten Streit mit ihrem Freund als „Beschützer“ zu sich geholt habe. Sie habe ihn mit Drogen versorgt und bei sich schlafen lassen, er habe auf sie aufgepasst, während sie auf der Platte dealte und sich abends noch in Düsseldorf prostituiert habe.
Später habe sich aus der Zweckverbindung eine Liebesbeziehung entwickelt. Sie erzählte ihm von ihrer Kindheit am Bodensee – und dass sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter oder ihrem adoptierten Halbbruder habe. Letzterer habe ihr die Jugend versaut, sie zur Flucht nach Nordrhein-Westfalen getrieben. Er habe ihr schreckliche Dinge angetan. Er führe dagegen auf der Höri in bester Bodensee-Lage ein Luxusleben auf Kosten der Mutter, vertrinke das Erbe und gebe es für Prostituierte aus. Er leiste sich gar einen Dienstboten, der mit ihm unter einem Dach lebe.
Erst Streit, dann zwei Schläge
Eines Tages habe seine Freundin dann beschlossen, an den Bodensee zu fahren, um etwas zu klären. Mike W. wollte zunächst in Krefeld bleiben, aber sie habe ihn eindringlich gebeten, ihn zu begleiten. Sie wolle ihrem Bruder nicht allein begegnen, er sei aggressiv und gefährlich. Also fuhren sie im Juni 2019 mit einem Mietwagen und zwei Tüten voller Kokain und Heroin von Krefeld an den Bodensee. Auf der Fahrt habe sie ihm erzählt, ihr Bruder habe die Mutter verprügelt, um sie in ein billiges Pflegeheim abzuschieben. Außerdem habe ihr Halbbruder sie sexuell missbraucht, als sie 14 Jahre alt gewesen sei.

Zunächst habe man die Mutter im kargen Pflegeheim besucht, ehe das Paar sich am Abend des 2. Juni zum Haus in Gaienhofen-Hemmenhofen auf der Halbinsel Höri begab. Mike W. sei voller Wut gewesen, während der Fahrt habe er immer wieder Drogen genommen. Die Tür öffnete der Mitbewohner, Mike W. habe den Mann noch gefragt, wo Heisig sei – und sei in dessen Schlafzimmer im Obergeschoss gegangen.
Er und Heisig, der auf dem Bett gesessen habe, hätten sich zuerst beschimpft, bis Mike W. alle „Sicherungen durchgebrannt“ seien und er Heisig dann zwei Schläge verpasst hätte: einen ins Gesicht, einen gegen den Oberkörper. Heisig sei aufs Bett gefallen. Dabei habe W. nur einen Ehering getragen.
Wer nahm Heisig das Handy ab?
Später habe Heisig noch gestammelt, dass es ihm leidtue. W. räumte auch ein, den Mitbewohner daran gehindert zu haben, das Zimmer zu betreten – es sei schließlich eine Sache zwischen Heisig und seiner Schwester. Später sei der Hausherr noch aufgestanden, ins Badezimmer gegangen, um sich zu waschen.
Mike W. und seine Freundin hätten sich danach ins Wohnzimmer begeben, dort Heroin genommen. Danach sei die Halbschwester nach oben gegangen und hätte eine weitere lautstarke Diskussion mit dem Verletzten geführt. Ob sie ihm bei dieser Gelegenheit auch das Handy wegnahm, weiß W. nicht. Er sei es jedenfalls nicht gewesen.
Schockiert nach dem Tod des Mannes
Das Paar habe die Nacht auf der Couch verbracht, ehe der Mitbewohner ihnen am Morgen Kaffee machte und auch nicht weiter nachfragte, was mit dem Mann im Obergeschoss sei. Seine Freundin erklärte ihm später, dass das Haus und alles darin nun ihr gehöre. Das habe ihn irritiert. Mike W. habe nicht geglaubt, dass Heisig so schwer verletzt sei, dass er sich davon nicht erholen würde.
W. habe Heisig noch gefragt, ob alles okay sei. Er habe ihn in den folgenden Tagen mehrmals mit Essen und Trinken versorgt, Heisig habe sich bewegen können. Später habe Heisig gezittert und sei blass gewesen. Er habe W. dann gebeten, ihm Alkohol zu bringen. W. habe ihm eine Flasche Schnaps gegeben. Später habe ihn die Halbschwester tot aufgefunden. W. sei geschockt vom Tod Heisigs gewesen. Seine Freundin habe aber nicht gewollt, dass er jemanden verständigt. Man käme sofort ins Gefängnis und in den kalten Entzug.
Nur ein „willenloses Opfer“
In seiner Aussage wird vor allem eines deutlich: Mike W. belastet die Halbschwester schwer. Sie habe ihn dazu gedrängt, die Wertsachen zu Geld zu machen und eine falsche Identität zu nutzen. W. sei nur ein „willenloses Opfer“ gewesen.
Erst als sie zurück nach Krefeld reisten und die Frau wieder Kontakt zu ihrem gewalttätigen Ex aufgenommen habe, habe er bemerkt, dass sie ihn nur benutzt und ausgenutzt hätte. Danach hätte er jeden Kontakt abgebrochen. Auch den Vorwurf, er habe auf der Platte in Krefeld nach Leuten gesucht, die ihm helfen, „jemanden verschwinden zu lassen“, versucht W. zu entkräften. Die geladenen Zeugen kenne er nicht. Ein Mann, der das behaupte, sei für seine Lügen bekannt. Er habe nie mit ihm gesprochen.
Kinder sollen Tatort gesäubert haben
Laut Mike W. hätten die Halbschwester und er zusammen das Schlafzimmer gesäubert, das Bett zerlegt, den Teppich herausgerissen und entsorgt, die Wände geschrubbt. Später habe die Frau auch ihre Kinder aus Krefeld auf die Höri geholt, die das Zimmer weiter geputzt hätten.
Gegen die Frau wird selbst in diesem Fall weiter ermittelt. Auch sie war als Zeugin geladen, erklärte aber über ihren Anwalt, dass sie als Beschuldigte nicht aussagen werde. Der Prozess wird fortgesetzt.