„Hallo, liebe Nachbarn“, beginnt ein 65-jähriger Rentner aus Laufenburg einen offenen Brief, der am Hochrhein kursiert. Darin schildert er, wie er wegen Schulterproblemen und in der „Hoffnung auf Hilfe“ einen Termin in einem neu eröffneten chinesischen Massagesalon im Stadtzentrum vereinbart hatte.

Die dort arbeitenden Frauen hätten ihm aber nicht helfen können. „Sie wollten nur sexuelle Dienstleistungen anbieten, das geht ab 100 Euro los“, schreibt der Rentner ernüchtert. Zudem würden die Masseurinnen kein Deutsch sprechen. „Ist das in Ordnung, hier an dieser Stelle ein illegales Puff zu betreiben, (…) wollen wir in unseren sauberen Stadt sowas?“, empört sich der 65-Jährige in seinem Brief.

Chinesische Mafia auch am Hochrhein aktiv?

Die Antwort ist einfach: In baden-württembergischen Gemeinden mit weniger als 35.000 Einwohnern ist Prostitution ausnahmslos verboten. Laufenburg hat rund 9000 Bewohner. Damit ist die rechtliche Lage eindeutig.

Blick auf das südbadische Städtchen Laufenburg von der Rheinbrücke, die es mit der gleichnamigen schweizerischen Stadt verbindet.
Blick auf das südbadische Städtchen Laufenburg von der Rheinbrücke, die es mit der gleichnamigen schweizerischen Stadt verbindet. | Bild: René Laglstorfer

Doch das scheint einige Akteure aus China kaum zu kümmern. Wie der SÜDKURIER exklusiv berichtete, durchsuchten Zoll und Polizei bereits im November 2023 zahlreiche illegale Massagesalons in Südbaden. Die Staatsanwaltschaft Konstanz ermittelt unter anderem wegen Zwangsprostitution und bandenmäßigen Menschenhandels gegen zehn Beschuldigte, darunter acht Chinesen und zwei Deutsche. Laut Robert Harnischmacher, einem der wenigen Experten für organisierte Kriminalität aus Asien, dürfte die chinesische Mafia hinter den Sex-Massagesalons im Südwesten stecken.

„Ich bin völlig perplex“

Deshalb ging der SÜDKURIER den Hinweisen aus dem offenen Brief des 65-jährigen Rentners vor Ort in Laufenburg nach. Dort befindet sich seit April ein auf den ersten Blick unverdächtiger chinesischer Massagesalon in einem Gebäudekomplex mitten im Zentrum des Grenzstädtchens am Hochrhein.

Professionelle Werbeplakate hängen in den Schaufenstern des chinesischen Massagesalons in Laufenburg.
Professionelle Werbeplakate hängen in den Schaufenstern des chinesischen Massagesalons in Laufenburg. | Bild: René Laglstorfer

Eine junge Frau steht verwundert vor dem Massagesalon: „Ich bin völlig perplex, dass es meinen Buchladen nicht mehr gibt“, sagt sie dem Reporter. Trotz mehrmaligen Klingelns am Vor- und Nachmittag öffnet niemand die Eingangstür des Massagesalons, auch Anrufe bleiben unbeantwortet.

„Happy End“ ist Stadtgespräch in Laufenburg

Einer Nachbarin zufolge hat die Polizei kürzlich den Massagesalon durchsucht. Dessen „dubiose Vorgänge“ sollen bei der nächsten Eigentümerversammlung diskutiert werden, wobei der Salon nur eingemietet sei, so die Nachbarin. Das zuständige Polizeipräsidium Freiburg bestätigt auf SÜDKURIER-Anfrage eine Hausdurchsuchung in Laufenburg Mitte Juni wegen des Verdachts der illegalen Prostitution.

Was unter „dubiosen Vorgängen“ zu verstehen und in Laufenburg längst Stadtgespräch ist, zeigen Einträge in einschlägigen Online-Foren: Mehrere Männer berichten darin, dass sie für eine einstündige Massage mit sogenanntem „Happy End“, also Handjob bis zum Orgasmus, 80 bis 100 Euro bezahlt haben.

Säckinger und Laufenburger Salon mit selber Chefin?

Zahlreiche Foreneinträge deuten darauf hin, dass es nicht nur in Laufenburg seit mehreren Jahren einen weiteren ähnlichen Massagesalon gibt, sondern auch im nahen Bad Säckingen mindestens zwei. In der 18.000-Einwohner-Stadt durchsuchte die Kriminalpolizei bereits 2022 einen chinesischen Massagesalon in der Innenstadt und ermittelte gegen vier Frauen im Alter zwischen 52 und 59 Jahren wegen illegaler Prostitution, wie der SÜDKURIER berichtete.

Bis heute bietet ein chinesischer Massagesalon an derselben Adresse seine Dienste an. Selbst die Preistafel am Eingang ist noch die gleiche wie damals, allerdings mit handschriftlich geändertem Namen der neuen Betreiberin: Statt Frau L. ist nun Frau C. zuständig (Namen der Redaktion bekannt). Derselbe Name C. steht auch am Briefkasten und auf den Plakaten in den Schaufenstern des 15 Minuten entfernten Sex-Massagesalons im Zentrum von Laufenburg.

„Viele rückenleidende Männer“

Als der Reporter an der Tür des chinesischen Massagesalons von Frau C. in Bad Säckingen klingelt, ist das Schmunzeln von mehreren Mitarbeiterinnen eines nahen Geschäfts unübersehbar. Darauf angesprochen, erzählen sie, dass der Massagesalon recht gut besucht sei – selbst sonntags.

„Manchmal ist es ganz lustig, wie viele rückenleidende Männer hier ein- und ausgehen. Frauen hingegen machen schnell wieder kehrt“, sagt eine Mitarbeiterin augenzwinkernd. Sechs bis zwölf Männer seien es täglich, einige davon aus der nahen Schweiz. Daneben gebe es sogar Stammkunden, die teilweise dreimal die Wochen kämen.

Den Weg über die längste überdachte Holzbrücke Europas in Bad Säckingen treten auch viele Schweizer an, um im Stadtzentrum illegale ...
Den Weg über die längste überdachte Holzbrücke Europas in Bad Säckingen treten auch viele Schweizer an, um im Stadtzentrum illegale Sexdienstleistungen in Anspruch zu nehmen. | Bild: René Laglstorfer

Wie mehrere Augenzeugen berichten, hätten erst kürzlich rund zehn Polizeibeamte den Massagesalon ungefähr vier Stunden lang durchsucht, zum zweiten Mal seit 2022. Eine Frau – die Chefin Frau C. – sei für etwa eine halbe Stunde auf die nahe Polizeiwache gebracht und viele Gegenstände seien aus dem Haus getragen worden, darunter Abfalleimer und Unterlagen. Frau C. hat laut SÜDKURIER-Informationen bereits zum Zeitpunkt der ersten Hausdurchsuchung 2022 für die damalige Chefin Frau L. gearbeitet.

Polizei registriert bundesweit teilweise gleiche Verdächtige

Das zuständige Polizeipräsidium in Freiburg bestätigt auf Anfrage die Hausdurchsuchung in Bad Säckingen, die zeitgleich mit jener im Laufenburger Sex-Massagesalon Mitte Juni durchgeführt wurde. „Gegen eine 60 Jahre alte chinesische Staatsangehörige läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Ausübung der verbotenen Prostitution“, erklärt der Polizeisprecher. Umfangreiches Beweismaterial sei beschlagnahmt worden und gegen zwei angetroffene Frauen wurden Ermittlungen wegen ausländerrechtlichen Verstößen eingeleitet.

„Auffallend ist, dass bundesweit bei ähnlichen Maßnahmen in Einzelfällen die gleichen Personen festgestellt wurden“, schreibt die Polizei. Das deutet auf organisierte Strukturen im Hintergrund hin, wie sie auch die Konstanzer Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen bestätigt hat. Festnahmen oder Verhaftungen gab es laut Polizei keine.

„Business as usual“ trotz Razzia und neuer Masseurin

Das eher zaghafte Vorgehen der Strafverfolger spielt der Betreiberin des illegalen Sex-Massagesalons in Bad Säckingen sichtlich in die Hände. Bereits kurz nachdem die Polizeibeamten wieder abrückten, ging das Geschäft mit regem Kundenverkehr weiter. „Business as usual“, berichten Augenzeugen, die Geschäfte nehmen ihren gewohnten Gang.

In chinesischen Massagesalons in Laufenburg und Bad Säckingen stehen nicht die Füße im Fokus.
In chinesischen Massagesalons in Laufenburg und Bad Säckingen stehen nicht die Füße im Fokus. | Bild: Fabian Albrecht - stock.adobe.com

Sogar eine weitere Chinesin soll ihre Arbeit in dem Sex-Massagesalon kurz nach der Razzia aufgenommen haben. Schon nach der ersten Hausdurchsuchung vor zwei Jahren sei das Geschäft weitergelaufen, als ob nichts geschehen wäre. „Geschlossen war das nie, es gab immer Kundenfrequenz“, sagt eine Nachbarin.

Davon konnte sich auch der SÜDKURIER bei einer verdeckten Recherche überzeugen. Wer dort klingelt, wird sofort eingelassen und von der 60-jährigen Frau C. in einen abgedunkelten Massageraum mit einem Bett geführt, wo eine weitere, etwas jüngere Frau wartet. Auf die Nachfrage, was genau angeboten werde, erklärt Frau C.: eine einstündige „Body To Body“-Massage (bei der die Masseurin den Kunden mit ihrem meist nackten Körper massiert, Anmerkung der Redaktion) inklusive „Happy End“ und Küssen zum Preis von 120 Euro.

„Für 30 Euro extra ohne Gummi“

Nur einen Steinwurf entfernt befindet sich in der Innenstadt von Bad Säckingen ein weiteres chinesisches Massagestudio von Frau M. (Name der Redaktion bekannt). Schon beim Eintreten ist das Stöhnen eines Mannes aus einer nach oben offenen Bretterverschlag-Kabine unüberhörbar. Eine Frau, vermutlich die Chefin, bietet dem Reporter eine illegale Sexmassage für 130 Euro an und deutet an, dass alles möglich sei, was gewünscht werde.

So sieht es in dem chinesischen Massagesalon von Frau M. mitten in Bad Säckingen aus.
So sieht es in dem chinesischen Massagesalon von Frau M. mitten in Bad Säckingen aus. | Bild: René Laglstorfer

Einträge in einschlägigen Online-Foren weisen daraufhin, dass in beiden Bad Säckinger Massagesalons Oralsex und Geschlechtsverkehr möglich sind. „Sie hat für 30 Euro extra ohne Gummi angeboten“, berichtet Peter von seinen Erfahrungen bei Frau C. im April, was angesichts übertragbarer Geschlechtskrankheiten sowohl für die Sexarbeiterin als auch den Freier gesundheitlich sehr bedenklich ist. Laut einem Nachbarn, der seit 2017 in einer nahe gelegenen Wohnung lebt, hat die Polizei den Massagesalon von Frau M. noch nie aufgesucht.

Warum aber greifen selbst Razzien der Polizei nicht und können jahrelang einfach ignoriert werden?

Gewerbeverfahren gegen einen Massagesalon läuft

Die Polizei teilt dazu mit, sie habe „das Phänomen der illegalen Prostitution – auch in Massagestudios – permanent im Blick“ und nehme bei Verdachtsfällen „angemessene Ermittlungen“ auf. Betriebe könne die Polizei jedoch aus gesetzlichen Gründen nicht schließen. Dafür seien die Gewerbeämter zuständig.

Dieses Symbol hängt in einem chinesischen Massagesalon im Landkreis Konstanz.
Dieses Symbol hängt in einem chinesischen Massagesalon im Landkreis Konstanz. | Bild: René Laglstorfer

Ein leitender Mitarbeiter des Gewerbeamtes Bad Säckingen bestätigt dem SÜDKURIER, dass gegen den chinesischen Massagesalon von Frau C. ein Verfahren läuft, um deren Gewerbe zu untersagen. Das Problem sei, dass die Behörde nicht einfach mit dem Finger schnippen und den Betrieb schließen könne.

„Gewerbebewilligungen laufen auf eine Person, die wechseln kann. Das ist eine Sisyphusarbeit, bei der man oft immer wieder von vorne anfangen muss“, sagt der Vertreter des Gewerbeamts. Zum Massagesalon von Frau M. könne er nichts sagen.

Milde Strafen für beharrliche illegale Prostitution

Wirklich tätig werden könne das Säckinger Gewerbeamt erst nach Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen. Diese sind im Fall der ersten Razzia 2022 seit Kurzem eingestellt, weil sich laut Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen „kein hinreichender Tatverdacht ergeben“ habe. Begründung: Die Inhaberin des Sex-Massagesalons, eine deutsche Staatsbürgerin chinesischer Herkunft, habe sich „zum Tatzeitpunkt nicht in Deutschland aufgehalten“, so eine Sprecherin.

Gegen die übrigen Chinesinnen würde „keine beharrliche Zuwiderhandlung gegen das Prostitutionsverbot“ vorliegen. Das Verfahren hat die Staatsanwaltschaft an das Ordnungs- und Gewerbeamt abgegeben. Die Katze scheint sich im Kreis zu drehen und in den Schwanz zu beißen.

Die zuständige Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen scheint die illegale Prostitution in Bad Säckingen und Laufenburg nicht ernsthaft zu ...
Die zuständige Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen scheint die illegale Prostitution in Bad Säckingen und Laufenburg nicht ernsthaft zu verfolgen. | Bild: Nico Talenta

Selbst wenn es einmal zu Strafen kommen sollte, dürften diese die chinesischen Betreiber kaum abschrecken: Wer in Deutschland nachweislich beharrlich illegale Prostitution anbietet, hat laut Strafgesetzbuch lediglich eine Geldstrafe bis zu einer maximalen Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu befürchten, wobei die Maximalstrafe selten angewandt wird.

Die Sex-Massagesalons am Hochrhein und in vielen weiteren kleineren Orten in Baden-Württemberg dürften wegen der zaghaften Behörden und milden Gesetze noch länger unangetastet im illegalen Prostitutionsgeschäft bleiben.