Am Samstag ist es soweit. „Endlich wieder rauskommen, endlich wieder frei fühlen“, sagt Jona Genç. Was den Gefühlsausbruch auslöst? Die Rückkehr eines wichtigen Teils seines Lebens: Party in der Disco. „Unter Normalbedingungen fiebere ich die gesamte Woche aufs Wochenende hin“, sagt der Konstanzer Biologie-Student. Weit muss er für diese Normalität jetzt nicht mehr. Die wichtigen Voraussetzungen: ein Fahrrad und eine Corona-Impfung.

Während in seiner Heimatstadt ein aktives Disco-Leben noch vager Ferne liegt, gilt einen Steinwurf entfernt im Schweizer Nachbarort Kreuzlingen ab 26. Juni: Covid-Zertifikat vorzeigen und dann ab auf die vollbesetzte Tanzfläche. Oder wie Jona Genç sagt: „Die beste Nachricht seit Monaten.“

Soziale Kontakte waren für junge Leute Mangelware

Von der hiesigen Politik fühlen er und seine Freunde sich ignoriert. „Wirklich ernst genommen werden unsere Bedürfnisse nicht“, sagt Genç. Dabei gehe es gar nicht allein um ausgelassenes Feiern, ums Eskalieren, wie er sagt. „Ich habe Freunde, die die Uni noch nie von innen gesehen haben, eingeschrieben sind sie aber seit mehr als einem Jahr.“ Gerade der Winter sei teils eine einsame Zeit gewesen, soziale Kontakte waren Mangelware oder nur übers Internet möglich.

Disco-Betreiber aus Deutschland: „Das Virus ist hier auch nicht anders“

Inzwischen sind beidseits der deutsch-schweizerischen Grenze etwa ein Drittel der Bevölkerung vollständig geimpft. Die Corona-Neuansteckungen liegen auf ähnlich niedrigem Niveau. „Ein Stück weit unfair“ findet Dominik Dilger, Betriebsleiter der Diskothek Top 10 in Singen, dann auch, was dort möglich, hier aber unmöglich sein soll. „Das Virus ist auch kein anderes“, sagt er.

Dominik Dilger, Betriebsleiter der Diskothek Top 10 in Singen.
Dominik Dilger, Betriebsleiter der Diskothek Top 10 in Singen. | Bild: Arndt, Isabelle

Sorge vor Umkehr der Grenzströme bei Disco-Betreibern

Von den Schweizer Lockerungen hat er erfahren, auch von den Regeln: Vorzeigen eines Covid-Zertifikats, dafür keine Kontaktnachverfolgung und vor allem fallende Masken. Für „einen Feierwütigen“, als der sich Jona Genç bezeichnet, sind sie Grundvoraussetzung dafür, sich in einen Schweizer Club aufzumachen. „Man kann nicht unter einem Hygienekonzept im Club feiern“, sagt der 21-Jährige.

Dominik Dilger rechnet nicht vor September mit einer geöffneten Disco. Gerade Betreiber aus unmittelbarer Grenznähe wie ihn treibt die Sorge vor umgedrehten Verhältnissen um. Zumindest vorerst scheint sie berechtigt – dafür reicht ein Blick in die leuchtenden Augen des Konstanzer Studenten Jona Genç.

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Was, wenn es den Deutschen in der Schweiz besser gefällt?

Dominik Dilger und seine Mitarbeiter müssen nicht nur auf die vor-pandemischen 30 Prozent Schweizer Kunden verzichten. Er macht er sich auch über die jungen Leute diesseits der Grenze Gedanken: „Kommen sie noch wieder, wenn sie jetzt in die Schweiz fahren und es ihnen auch dort gefällt?“

Von der Landesregierung ist er daher enttäuscht. Zwar gäbe es finanzielle Unterstützung, „aber gefühlt traut sich einfach niemand, den nächsten Schritt zu wagen.“ Andere Bundesländer seien weiter. Niedersachsen hat zum Beispiel Discos und Clubs unter strengen Vorgaben wieder öffnen lassen. Nordrhein-Westfalen zumindest die Außenbereiche und den Normalbetrieb bei weiter niedriger Inzidenz ab 1. September angekündigt.

Im niedersächsischen Hannover wird mit dem Modellprojekt „Back to dance“, hier aufgenommen eine Veranstaltung am 18. Juni ...
Im niedersächsischen Hannover wird mit dem Modellprojekt „Back to dance“, hier aufgenommen eine Veranstaltung am 18. Juni 2021, getestet, wie ein Diskobetrieb unter Pandemiebedingungen möglich ist – notfalls auch im Freien. | Bild: Francois Klein

Die Generation U30 hat wegen Corona lange zurückgesteckt und kommt schon beim Gedanken an ausgelassenes Tanzen ins Schwitzen. Andererseits sorgen berechtigte Bedenken am maskenfreien Party-Leben in der Schweiz für Schweißperlen: Werden die Corona-Zertifikate wirklich geprüft? Welche Gefahr geht von der Delta-Variante aus? Drohen sich in den Diskos massenhaft Menschen mit dem Virus zu infizieren – und tragen sie es anschließend in ihre Heimat?

„Hundertprozentige Sicherheit kann und wird es nicht geben“

„Eine hundertprozentige Sicherheit kann und wird es nicht geben“, stellt Alexander Bücheli, Sprecher der Schweizer Bar und Club Kommission, klar.

Alexander Bücheli ist Mitgründer und Geschäftsführer der Schweizer Bar und Club Kommission und stammt aus Zürich.
Alexander Bücheli ist Mitgründer und Geschäftsführer der Schweizer Bar und Club Kommission und stammt aus Zürich. | Bild: Schweizer Bar und Club Kommission

„Wir müssen lernen, mit Covid zu leben und damit muss auch ein Leben inklusive Kultur und Nachtleben stattfinden“, ergänzt er. Die Vorlage eines Covid-Zertifikats sei das beste Schutzkonzept. Dass es auch nach einem negativen Antigentest 48 Stunden gilt und nicht nur für vollständig Geimpfte oder Genesene, werde die Akzeptanz der Vorgaben bei Gästen wie Betreibern gleichermaßen steigern.

Jede weitere Beschränkung wie eine Maskenpflicht sei damit unnötig. Das wäre für Alexander Bücheli so, als müsste man „im Auto angeschnallt auch noch einen Fahrradhelm aufsetzen“.

Richtig los geht es wohl erst kommende Woche

Dass Baden-Württemberg – um im Bild zu bleiben – darüber hinaus noch einen Knieschutz anlegt, kann der Zürcher nicht verstehen. „Die Menschen müssen ihre Bedürfnisse nach einem Sozialleben und Ausgelassenheit stillen dürfen“, sagt Bücheli. Er erlebe die Szene über die Grenze als „befruchtenden Austausch. Schade, dass er vorerst nur einseitig stattfinden wird“.

Wenn auch noch mit gebremster Handbremse. Man sei vom Bundesrat überrumpelt worden, sagt Alexander Bücheli. „Die Branche ist keine Maschine, deshalb wird am ersten Wochenende auch noch nicht viel stattfinden.“ Es fehlen bis zur Folgewoche teils noch technische Voraussetzungen für die Erstellung der Covid-Zertifikate. Wenigstens hier können Discos im deutschen Südwesten auf Fortschritte bis Herbst hoffen.

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