Das Telefon stand am Montag nicht mehr still. „Die Eltern rufen wie im Sturm an und überrennen uns“, sagt Frank Kirchner, Kinder- und Jugendarzt in Vogt bei Ravensburg. Kirchner ist zugleich Ansprechpartner für die Region Bodensee-Oberschwaben des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. Er findet, dass der Zeitpunkt der Freigabe des Impfstoffs durch die EMA für die Jüngsten sehr unglücklich sei. „Für Laien klingt das super, aber die Ärzte müssen den Impfstoffmangel ausbaden. Es ist eine organisatorische Katastrophe für uns“, ärgert sich Kirchner.

Frank Kirchner, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin.
Frank Kirchner, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin. | Bild: Frank Kirchner

Noch steht die endgültige Impfempfehlung der Stiko aus

Da der Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin noch keine Rückendeckung von der Ständigen Impfkommission (Stiko) hat, impft er noch keine seiner Patienten. Die Stiko ist ein unabhängiges Expertengremium des Robert Koch-Instituts, das Impfempfehlungen für Deutschland entwickelt. „Ich werde einen Teufel tun, mich gegen die Stiko zu wenden“, sagt Kirchner.

Laut einem vorläufigen Entwurf wird die Coronaschutz-Impfung nur für Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren mit bestimmten Vorerkrankungen ausgesprochen. Oder für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren, „deren Umfeld sich Angehörige oder andere Kontaktpersonen mit hoher Gefährdung für einen schweren Covid-19-Verlauf befinden, die selbst nicht geimpft werden können oder bei denen der begründete Verdacht auf einen nicht ausreichenden Schutz nach Impfung besteht, zum Beispiel Menschen unter relevanter immunsuppressiver Therapie“, heißt es in dem Entwurf. Unter Immunsuppression wird die Unterdrückung des körpereigenen Abwehrsystems verstanden.

Warum es keine generelle Impfempfehlung für Menschen ab zwölf bis 17 Jahren gibt

Eine generelle Impfempfehlung der Stiko für Zwölf- bis 17-Jährige werde aus mehreren Gründen nicht ausgesprochen. Erstens, weil es noch „große Wissenslücken“ und eine geringe Datenlage hinsichtlich der Sicherheit gebe. Ein weiterer Grund ist, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer Impfung bei jungen Menschen bisher weniger deutlich sei als bei der erwachsenen Bevölkerung. Des Weiteren wird nach Angaben der deutschen Presseagentur von einer Umverteilung der noch raren Impfstoffe an gesunde Kinder und Jugendliche abgeraten. Es seien immer noch viele ältere Erwachsene mit deutlich höherem Risiko nicht geimpft.

Wenn so viele Gründe von Seiten der Stiko gegen das Impfen von Personen ab zwölf Jahren sprechen, weshalb hat die EMA den Impfstoff dennoch freigegeben? Das liegt an den unterschiedlichen Aufgaben von Stiko und EMA. Die EMA ist für die grundsätzliche Zulassung auf dem europäischen Markt zuständig, während die Stiko den Einsatz des Impfstoffs zum besten Nutzen der Bevölkerung in Deutschland regelt.

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Ärzte wollen sich mit Empfehlung der Stiko absichern

Tritt ein Impfschaden bei einer öffentlich empfohlenen Schutzimpfung wie bei Biontech/Pfizer auf, haftet laut dem Bundesministerium für Gesundheit der Staat. Viele Ärzte wollen sich aber zusätzlich medizinisch absichern und warten daher noch auf das Urteil der Stiko, erläutert der Bundessprecher des Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske. „Wir vermissen die medizinische Freigabe der Stiko, aber die Zeit muss man ihnen geben. Ich finde es gut, dass sie sehr genau hinschauen und Hinweisen nachgehen, dass es in seltenen Fällen Herzmuskelentzündungen in zeitlich geringem Abstand zur Coronaimpfung gab.“

„Wir vermissen die medizinische Freigabe der Stiko, aber die Zeit muss man ihnen geben“, sagt Jakob Maske, Bundessprecher ...
„Wir vermissen die medizinische Freigabe der Stiko, aber die Zeit muss man ihnen geben“, sagt Jakob Maske, Bundessprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. | Bild: Jakob Maske

Die Kinderärzte Kirchner und Maske sind sich sicher, dass eine Impfempfehlung der Stiko für Kinder und Jugendliche bald kommen wird. „Ich halte den Impfstoff für sicher. Der Nutzen ist deutlich höher als das geringe Risiko einer möglichen Impfkomplikation“, ist Frank Kirchner, Kinderarzt im Landkreis Ravensburg, überzeugt.

„Ich halte den Impfstoff für sicher. Der Nutzen ist deutlich höher als das geringe Risiko einer möglichen Impfkomplikation.“
Frank Kirchner, Kinderarzt mit eigener Praxis in Vogt bei Ravensburg

Eltern können sich beim Kinderarzt impfen lassen

Wenn Kirchner genügend Impfstoff und die Stiko eine Empfehlung getroffen hätte, würde der Kinderarzt sofort mit Impfen in seiner Praxis loslegen. Es scheitert jedoch an den geringen Impfdosen. Nächste Woche bekomme er maximal 24 Impfdosen geliefert – das sei viel zu wenig. Immerhin habe er schon viele chronisch kranke Eltern in seiner Praxis impfen können und Eltern mit besonders hohem Schutzbedarf, weil sie beispielsweise mit einem Frühchen mit Lungenerkrankung in einem Haushalt leben. Er bezeichnet sich selbst als überzeugter Impfarzt. Kinder würden zwar seltener erkranken als Erwachsene, geben das Virus aber trotzdem weiter.

Ein zwölfjähriges Mädchen wird in einer Arztpraxis von ihrem Hausarzt mit dem Serum von Biontech/Pfizer geimpft. Hausärzte haben ...
Ein zwölfjähriges Mädchen wird in einer Arztpraxis von ihrem Hausarzt mit dem Serum von Biontech/Pfizer geimpft. Hausärzte haben begonnen, Kinder und Jugendliche gegen das Coronavirus zu impfen. | Bild: Oliver Berg/dpa

Wirkung des Impfstoffs bei Kindern wird derzeit erforscht

Doch wie wirkt eigentlich ein Impfstoff im kindlichen Organismus im Vergleich zum erwachsenen Körper? Das sei noch nicht eindeutig erforscht, erklärt Kirchner: „Das Problem ist, dass bei Studien mit Kindern die Fallzahlen nicht hoch sind. Aber amerikanische Studien laufen und man sieht bereits, dass die Impfungen wirken. Aller Voraussicht nach ist er gleich gut verträglich wie bei Erwachsenen.“

Immunantwort bei Kindern ist sehr hoch

Dass Erfahrungen bei Corona-Impfungen von Kindern fehlen, bestätigt Till Reckert, Pressesprecher des Landesverbands Baden-Württemberg des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. Reckert ist in einer Gemeinschaftspraxis in Reutlingen tätig. Er schätzt, dass das Immunsystem bei Kindern stärker auf die Impfung reagiert, vergleichbar mit jungen Erwachsenen, bei denen häufiger kurzzeitig Kopfschmerzen, Fieber oder Schüttelfrost nach einer Covid-Impfung auftreten als bei Älteren. Diese Einschätzung bestätigt die kanadische Zulassungsbehörde. Impfreaktionen unter Jüngeren seien laut deren Daten etwa um ein Fünftel häufiger im Vergleich zu Erwachsenen. Daher gehe man davon aus: Je jünger, desto stärker die Immunreaktion. Studien dazu laufen. Bis dahin heißt es abwarten.

Ein Stethoskop und Kinderspielzeug liegen in einer Kinderarztpraxis auf einem Tisch. Noch ist nicht genau erforscht, wie der ...
Ein Stethoskop und Kinderspielzeug liegen in einer Kinderarztpraxis auf einem Tisch. Noch ist nicht genau erforscht, wie der Corona-Impfstoff bei Kindern wirkt. | Bild: Britta Pedersen/dpa

Im Gegensatz zu Kirchner würde Reckert – selbst wenn genügend Impfstoff vorhanden sei – noch nicht mit Impfen beginnen. Das hat einen einfachen Grund: „Wir haben noch eine richtig lange Warteliste mit Eltern, die geimpft werden möchten. Da Erwachsene im Schnitt mehr Probleme mit Corona haben, müssen wir erst diese Liste abarbeiten. Wenn dies geschafft ist und ausreichend Impfstoff vorhanden ist, können wir auch Kinder impfen. Richtig krank war bisher nur eine Minderheit bei den Jugendlichen.“ Er rät Familien, ruhig zu bleiben und sich nicht zu stressen.

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