Als im Januar 2020 der Freiburger Sigi Suhr zu einer Fahrradtour an den Bodensee aufbricht, hätte er sich nicht im Traum vorstellen können, was ihm auf dieser Reise passieren sollte. Bei der Fahrt durch die Schaffhauser Altstadt übersah der heute 68-jährige Musiker Suhr eine Schwelle und stürzte daraufhin schwer mit seinem Fahrrad, brach sich eine Rippe und musste im Krankenhaus behandelt werden. So weit so unglücklich, mag man denken.

Doch das war nicht das Ende der Geschichte. Denn anschließend meldete sich die Schaffhauser Staatsanwaltschaft mit einem Strafbefehl gegen Sigi Suhr wegen „Verletzung der Verkehrsregeln durch Nichtbeherrschen des Fahrzeugs“ verbunden mit einem Bußgeld von 150 Franken. Dafür hatte Suhr keinerlei Verständnis, er weigerte sich das Geld zu bezahlen und musste stattdessen für zwei Tage und zwei Nächste ins Gefängnis. Nachdem der SÜDKURIER darüber berichtete, wurde der absurde Fall bundesweit von Medien aufgegriffen.

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„Noch heute werde ich auf den Unfall angesprochen, das Internet vergisst nie“, weiß Sigi Suhr zu berichten. Unzählige Menschen hätten sich bei ihm seit seinem Unfall gemeldet, so Suhr. Ein Lehrer aus Basel habe seinen Fall in seiner Klasse behandelt und sogar eine Petition in Schaffhausen eingereicht. Auch die Satire-Sendung des NDR „extra 3“ habe großes Interesse an seinem Fall bekundet. Wenn die Macher der Sendung weiter recherchieren würden, wäre Suhr heute einem Beitrag nicht abgeneigt.

Er radelt auch heute noch in die Schweiz

Doch wie geht es Sigi Suhr heute, fast eineinhalb Jahre nach dem Unfall und seinem Gefängnisaufenthalt in Schaffhausen? Er sei noch immer Musiker, berichtet Suhr. Mit dem Fahrrad ist er nach wie vor unterwegs, regelmäßig überquert er damit auch den Rhein, um in der Schweiz seine Verwandtschaft zu besuchen. Er selbst sei in Rheinfelden aufgewachsen. Den Rhein zu überqueren sei für ihn jedes Mal eine Freude.

Sigi Suhr ist Musiker und gibt Trommel-Workshops in Freiburg. Noch heute ärgert er sich über die Verantwortlichen in Schaffhausen und ...
Sigi Suhr ist Musiker und gibt Trommel-Workshops in Freiburg. Noch heute ärgert er sich über die Verantwortlichen in Schaffhausen und ihren Umgang mit ihm nach dem Unfall. | Bild: Sigi Suhr

Die schlechte Erfahrung mit dem Radsturz und den anschließenden zwei Tagen hinter Gittern bei den Eidgenossen hindert ihn keinesfalls weiterhin mit dem Rad durch das Land zu fahren. Auch möchte er nicht schlecht über die Schweiz sprechen, es ärgert ihn vor allem die Schaffhauser Verkehrspolitik. Seiner Meinung nach ist es der Stadt Schaffhausen „offensichtlich nicht wert, etwas intensiver über Fahrradfahrer nachzudenken.“ Sigi Suhr kann bis heute den damals erhobenen Strafbefehl gegen ihn nicht nachvollziehen. „Mein Fall müsste doch für die Verantwortlichen peinlich sein.“ Auch habe sich bis heute keiner bei ihm entschuldigt.

Sigi Suhr kann den Strafbefehl gegen ihn nach dem Fahrrad-Sturz in Schaffhausen bis heute nicht nachvollziehen: „Mein Fall müsste ...
Sigi Suhr kann den Strafbefehl gegen ihn nach dem Fahrrad-Sturz in Schaffhausen bis heute nicht nachvollziehen: „Mein Fall müsste doch für die Verantwortlichen peinlich sein.“ | Bild: Sigi suhr

Als er im Januar 2020 in der Stadt unterwegs war, hatte er gerade die Produktion an einer CD beendet und wollte zur Erholung eine Fahrradtour von Freiburg zum Bodensee und zurück unternehmen, „möglicherweise war ich nicht so präsent oder erschöpft. Jedenfalls habe ich die Schwelle nicht erkannt“, erinnert er sich an den Sturz. Bis heute wurmt ihn deshalb diese ungünstige Stelle, an der er so schwer stürzte und der anschließende Ärger mit der Schweizer Justiz. Er selbst hat sogar recherchiert, ob die verhängnisvolle Schwelle noch da ist. Doch der Verein Pro Velo Schaffhausen teilte ihm mit, dass die Schwelle „ziemlich sicher nicht abgebaut wurde“. Und momentan bestehe auch keine Hoffnung, dass dies erfolge. Für Sigi Suhr ist somit klar, wer sich für die Belange von Fahrradfahrern einsetzen muss: „Ich denke die Bürger müssen das tun.“

In dieser Straße in der Schaffhauser Neustadt ist Sigi Suhr vor fast eineinhalb Jahren mit dem Fahrrad so heftig gestürzt, dass er im ...
In dieser Straße in der Schaffhauser Neustadt ist Sigi Suhr vor fast eineinhalb Jahren mit dem Fahrrad so heftig gestürzt, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste. Wegen „Nichtbeherrschung des Fahrzeugs“ wurde ihm von der Schaffhauser Staatsanwaltschaft im Nachhinein ein Strafbefehl von 150 Franken ausgestellt, den er sich weigerte zu bezahlen und dafür lieber zwei Tage zur Ersatzfreiheitsstrafe antrat. | Bild: Sigi Suhr

Doch nicht nur Sigi Suhr hat ein Fahrradsturz den der Vorwurf „Verletzung der Verkehrsregeln durch Nichtbeherrschung eines Fahrzeugs“ eingebracht, auch ein Rentner aus Basel hat es erwischt. Der TV-Sender telebasel berichtete im März 2020 von einem ähnlichen Fall. Der Rentner Hans Peter ist an einer Tram-Haltestelle in Basel mit seinem Fahrrad in die Gleise geraten und dabei so schwer gestürzt, dass er das Bewusstsein verlor und ins Krankenhaus musste. Später erhielt er ebenfalls einen Strafbefehl. Ein Bußgeld wurde zwar nicht erhoben, jedoch sollte er Gebühren von 805 Franken bezahlen. Nachdem Peter jedoch den Strafbefehl vor Gericht angefochten hatte, wurde er freigesprochen und musste nichts bezahlen – im Gegenteil, er erhielt zudem noch eine Entschädigung von 700 Franken.

Eine Empfehlung an die Schaffhauser Justiz

Nach Meinung von Suhr wäre der Unfall nur dann für etwas gut gewesen, wenn sich die Verkehrspolitik in europäischen Städten in Zukunft mehr an den Bedürfnissen der Fahrradfahrer ausrichten würde. Den Verantwortlichen in Schaffhausen empfiehlt er, die Schwelle in der abschüssigen Straße selbst einmal mit dem Rad zu überfahren – und Suhr ergänzt: „Ich bitte Sie, nehmen Sie aber besser einen Ganzkörper-Airbag mit.“