René Laglstorfer (Text) und Sabine Tesche (Fotos)

Es ist Freitagabend, kurz nach 22 Uhr im Konstanzer Stadtteil Petershausen: Ein weißer AMG-Mercedes mit Konstanzer Kennzeichen und ein dunkler BMW mit Thurgauer Kennzeichen stehen am Zähringerplatz mit brummenden Motoren nebeneinander an einer roten Ampel. Als sie auf grün springt, rasen beide mit Vollgas und quietschenden Reifen in Richtung Wollmatinger Straße los.

Nach etwa zwei Kilometern Hochgeschwindigskeitsrennen durch die Stadt versucht eine laut Polizei größere Gruppe an Fußgängern die Fürstenbergstraße beim dortigen Park zu überqueren. Um von den beiden heranrasenden Boliden nicht erfasst zu werden, retten sich die erschrockenen Fußgänger mit einem Sprung zur Seite.

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Eine zufällig vor Ort lauernde Zivilstreife nimmt mit Blaulicht und Sirene die Verfolgung der „Rennfahrer“ auf und kann den Mercedes-Fahrerstoppen. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wird dem 25-jährigen Deutschen noch an Ort und Stelle der Führerschein abgenommen.

„Es ist verrückt“

Der Thurgauer Fahrer fährt einfach weiter, doch die Beamten in Zivil können sein Kennzeichen notieren und zeigen ihn wegen der Teilnahme an dem illegalen Straßenrennen an.

Das illegale Autorennen in Konstanz dürfte laut Einschätzung der Polizei in direktem Zusammenhang mit dem Tuning- und Posertreffen am gleichen Abend in Singen stehen. Beide Fahrzeuge dürften dorthin unterwegs gewesen sein, wie viele andere schweizerische und süddeutsche in dieser Nacht auch.

Bereits am vorangegangenen langen Wochenende kamen, wie berichtet, allein am Pfingstsonntag etwa 700 Tuner, Poser und Schaulustige mit rund 300 zum Teil szenetypischen Fahrzeugen in die Singener Südstadt, um sich mit 15 Polizeistreifen ein Katz- und Mausspiel bis nach Steißlingen zu liefern. An diesem Freitagabend sollten es eben so viele werden, wie die Polizei später bekannt gibt.

Viele Verbindungs- und Zufahrtstraßen waren von der Polizei gesperrt worden, um den Zustrom zu verhindern.
Viele Verbindungs- und Zufahrtstraßen waren von der Polizei gesperrt worden, um den Zustrom zu verhindern. | Bild: Tesche, Sabine

Gut eine Stunde vor dem illegalen Autorennen in Konstanz sperrt McDonalds-Mitarbeiterin Michaela Tesic um 21 Uhr den Parkplatz der Fastfood-Kette zwischen Industrie- und Georg-Fischer-Straße in Singen. Nur ein schmaler Pfad zum Drive-In wird freigelassen. Zahlreiche aufgepimpte Autos befinden sich plötzlich hinter den Absperrbändern und werden aufgefordert, wegzufahren. „Seit Corona müssen wir die Parkplätze an Wochenenden sperren. Es ist verrückt“, sagt Tesic.

Auf Campingstühlen die Szene bestaunen

Inzwischen sind bereits zahlreiche Zufahrtsstraßen rund um die beiden Kreisverkehre an der Georg-Fischer-Straße gesperrt, um den weiteren Zustrom von hochmotorisierten Tuner- und Poserkutschen zu vermeiden. Streifenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht bewachen die Absperrgitter und Zufahrten. Vereinzelt sind aufheulende Motoren sowie Sirenen von Einsatzkräften zu hören.

Gegenüber von McDonalds haben es sich auf dem geöffneten Parkplatz eines Geschäfts für Fahrzeugteile vier junge Erwachsene, darunter eine Frau, auf aufklappbaren Stühlen bequem gemacht und beobachten das Treiben auf den Straßen aufmerksam. „Autos sind das Wahre. Seit ich zehn Jahre alt bin, schaue ich hier zu“, sagt der Mittzwanziger Oliver. Sein Freund Florian erklärt: „Nicht die Einheimischen bauen Scheiße, sondern die Schweizer.“ Ihre Nachnamen möchten die beiden Jungs nicht nennen.

Die Fahrzeugliebhaber machen es sich auf Campingstühlen gemütlich und beobachten das Schauspiel.
Die Fahrzeugliebhaber machen es sich auf Campingstühlen gemütlich und beobachten das Schauspiel. | Bild: Tesche, Sabine

Bei der gegenüberliegenden Aral-Tankstelle sind der gesamte Wendeplatz und alle Zapfsäulen für Lkw mit Absperrbändern geschlossen. Auf jedem verbliebenen Fleckchen parken hochpolierte Autos, viele von ihnen mit Schweizer Kennzeichen. Plötzlich fahren zwei Streifenwagen mit Blaulicht auf das Tankstellengelände und beginnen, die Fahrer zu kontrollieren: „Zügig wegfahren“, gibt ein Polizist einem jungen Schweizer mit auf den Weg, nachdem er seine Papiere und sein Auto überprüft hat.

Der Schweizer gibt an, aus dem mehr als 100 Kilometer entfernten schweizerischen Zug hergefahren zu sein. Seinen Namen will er nicht verraten. Auf die Frage, wo es jetzt hingehe, antwortet er: „Nach Stuttgart“. „Ist dort auch ein Tuning-Treffen?“, fragen wir. „Die sind überall“, sagt der Schweizer und macht sich auf den Weg in Richtung A81.

Sorgen um das Geschäft

Direkt hinter der Tankstelle befindet sich die Fastfood-Kette „Kentucky Fried Chicken“ (KFC), deren Parkplatz aus allen Nähten platzt. Inhaber Abraham Bulun macht sich Sorgen ums Geschäft. „Wenn zu viele Leute am Parkplatz herumstehen, sperrt die Polizei die Einfahrt und es gibt keinen Drive-In mehr.“ Seit zwei Wochen sei „die Hölle los“ an den beiden Kreisverkehren, um die herum eine großzügige Tankstelle und drei Fastfoodketten zu finden sind. „Wir tun unser Bestmögliches und schicken die Leute konsequent weg.“ Fünf Polizisten und zwei Mitarbeiter der Ortspolizeibehörde der Stadt Singen beobachten das Geschehen aufmerksam.

Zwei Schweizer aus dem 100 Kilometer entfernten Zug, die auf der Aral-Tankstelle geparkt haben, um ihr Auto zu zeigen, werden ermahnt ...
Zwei Schweizer aus dem 100 Kilometer entfernten Zug, die auf der Aral-Tankstelle geparkt haben, um ihr Auto zu zeigen, werden ermahnt „zügig weiterzufahren“. Sie wollten weiter nach Stuttgart fahren. | Bild: Tesche, Sabine

Der Überlinger Mateusz Ostrozny und seine Freunde, die sich als „Fahrzeugliebhaber“ verstehen, werden zuerst von KFC-Chef Bulun von dessen Parkplatz weggebeten und dann, ein Stückchen weiter auf der Zufahrtsstraße, erneut von zwei Polizisten weggeschickt. Freundliche Worte werden unaufgeregt ausgetauscht, man merkt, beide Seiten zeigen Verständnis füreinander. Am Ende öffnen die Beamten einen abgesperrten Parkplatz für die Gruppe, wo sie in Ruhe essen und sich austauschen kann. „Ein Riesenlob an die Singener Polizei – ich finde es echt cool, wie sich die Polizei heute verhalten hat“, sagt Ostrozny später in einem Instagram-Video zu seinen 4000 Abonnenten. „Ich werde nicht aufgeben und weiterkämpfen für mein Projekt und hoffe, dass wir bald aufmachen.“

„Jedes Wochenende ein Riesentheater in Singen“

Ostrozny hat eine Idee, wie Singen die Tuner besser kanalisieren könnte. Er denkt da an einen fixen Tuning-Treffpunkt auf einem privaten Gelände außerhalb der Stadt mit klaren Regeln, Gastronomie und unter Duldung von Polizei und städtischem Ordnungsamt, damit der öffentliche Raum, die lärmgeplagten Anwohner und die Behörden entlastet werden. „Ich habe mich an Singen gewandt, weil sie damit jedes Wochenende ein Riesentheater haben und hatte auch schon ein Gespräch mit der rechten Hand des Oberbürgermeisters“, sagt Ostrozny.

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Der OB-Vertraute, der zwar mit dem SÜDKURIER spricht, aber nicht genannt werden will, soll sich laut Ostrozny zuerst positiv geäußert haben. Als der Fahrzeugliebhaber dann zwei in Frage kommende Hallen am Ende des Singener Industriegebiets nahe dem Autobahnanschluss zum Preis von zehn Millionen Euro gefunden hatte, die „Investoren“ finanzieren sollen, hätte ihm ein Vertreter der Stadt am Telefon mit Schikanen durch die Polizei und das städtische Ordnungsamt gedroht. „Das kann ich nicht verstehen. Das könnte eine Win-Win-Situation für uns Autoliebhaber und für die Stadt werden, die dann endlich ihre Ruhe hat“, sagt Ostrozny frustriert.

Mateusz Ostrozny (rechts) mit seinen Freunden vor einem Fastfoodlokal.
Mateusz Ostrozny (rechts) mit seinen Freunden vor einem Fastfoodlokal. | Bild: Tesche, Sabine

Singens OB Bernd Häusler, der sich von den Tuning-Treffen an den drei vergangenen Wochenenden in seiner Stadt selbst vor Ort ein Bild gemacht habe, verneint im SÜDKURIER-Gespräch, dass Vertreter der Stadt Ostrozny Schikanen angedroht hätten. Der Stadtchef steht dem Ansinnen des Überlingers mit polnischen Wurzeln dennoch ablehnend gegenüber, auch wegen der fehlenden Nachhaltigkeit für die Dimension von 700 geplanten Fahrzeugen. „Wenn so etwas umgesetzt würde, dann würden wir das Tuning-Mekka von ganz Süddeutschland werden, das ist sicher nicht im Sinne der Bürger und vergrößert das Problem nur.“

„Die Anwohner sind alle sauer“

Schon jetzt würden seiner Schätzung nach 80 Prozent der Teilnehmer nicht aus dem Landkreis Konstanz kommen, sondern aus vielen Schweizer Kantonen und süddeutschen Regionen extra nach Singen reisen. „Die Anwohner bei der Aral-Tankstelle sind alle sauer, weil sie quasi um ihre Nachtruhe gebracht werden. Die driften mit dem Auto um den Kreisverkehr und locken damit über die sozialen Medien noch mehr Leute an“, sagt Häusler. Außerdem würden genau jene „Problemkinder“, die Ostrozny selbst nicht auf seinem geplanten Gelände haben wolle, erneut in die Singener Südstadt ausweichen.

Singens Oberbürgermeister, Bernd Häusler, will nicht, dass die Stadt zu einem „Tuning-Mekka für ganz Süddeutschland“ wird. ...
Singens Oberbürgermeister, Bernd Häusler, will nicht, dass die Stadt zu einem „Tuning-Mekka für ganz Süddeutschland“ wird. Daher lehnt er einen möglichen festen Treffpunkt der Szene am Rande des Industriegebiets ab. | Bild: Hans Noll

Ostrozny sieht das anders. Kein Tuner und Poser würde sich das Sehen und Gesehenwerden auf einem geschützten Treffpunkt entgehen lassen. Der Druck, dabei zu sein, wäre groß und sich deshalb alle an die Regeln halten. Schon einmal habe er bewiesen, dass ein großes Tunertreffen sowie Ruhe und Ordnung kein Widerspruch sein müssten. „Vor einem Jahr habe ich außerhalb von Überlingen ein Treffen mit 670 Fahrzeugen organisiert und es war laut Bewohnern so ruhig wie noch nie in der Stadt“, sagt Ostrozny. Allerdings musste er sich als Veranstalter für die nicht eingehaltenen Corona-Regeln einiger Teilnehmer verantworten. „Da habe ich einen Fehler gemacht und die Strafe bezahlt.“ Aus Singen wolle der Überlinger jedenfalls kein Tuning-Mekka machen, sondern ein Modell verwirklichen, das für viele andere Städte in Deutschland interessant sein könnte.

Die Polizei versucht Ruhe zu bewahren.
Die Polizei versucht Ruhe zu bewahren. | Bild: Tesche, Sabine

Doch welche Lösung für das Tuner- und Poser-Problem plant die Stadt dann? „Wir müssen weiter mit polizeilichen Maßnahmen gucken, dass es einigermaßen im Rahmen bleibt. Wenn ein gescheiter, lösungsorientierter Vorschlag kommt, der die Autos in der Stadt verringert, dann sind wir gerne bereit“, sagt OB Häusler.

Die Polizei zieht Bilanz

Am Ende des erneuten Tuning-Wochenendes in Singen hat die Polizei 36 Anzeigen gegen die Teilnehmer ausgestellt. Die meisten wegen Lärms, Überholmanövern und hoher Geschwindigkeit, aber auch wegen Manipulationen am Fahrzeug, fehlenden Führerscheinen und Versicherungen. „Das ist ein permanentes Katz- und Mausspiel. Solange die Polizei nicht stringentere Bußen erlassen kann, scheinen diese Herrschaften unbelehrbar zu sein“, sagt Polizeisprecher Dieter Popp.

Aus Sigmaringen kam ein Mercedes-Benz SLS AMG mit Flügeltüren nach Singen und erregte Aufsehen.
Aus Sigmaringen kam ein Mercedes-Benz SLS AMG mit Flügeltüren nach Singen und erregte Aufsehen. | Bild: Tesche, Sabine

Er verweist dabei auf die Schweiz, wo die Behörden bei ähnlichen Verstößen das Fahrzeug einziehen können. „Wenn Sie den Leuten das Spielzeug wegnehmen, dann haben die keine Möglichkeit mehr, solche Verstöße zu begehen. Hier wird das Fahrzeug eindeutig als Spielgerät und die Straße als Spielplatz missbraucht“, sagt Popp und hofft, dass die permanenten Verstöße zu einer Gesetzesänderung führen.

„Seit letzter Woche hat es überhand genommen. Wir wollen vermeiden, dass die Fahrzeuge auf unserem Parkplatz gefährdet ...
„Seit letzter Woche hat es überhand genommen. Wir wollen vermeiden, dass die Fahrzeuge auf unserem Parkplatz gefährdet werden“, sagt Sven Gebhard, Werksfeuermann bei Fondium. Er hat das Blaulicht eingeschaltet, damit es die Tuner es von der Ferne sehen. „Ich habe kein Verständnis für die Szene. Diese Leute legen alles lahm. Aber wir sind freundlich zueinander.“ | Bild: Tesche, Sabine

Gegen einen geordneten, privaten Treffpunkt für die Szene, sofern er die Voraussetzungen für eine behördliche Genehmigung erfüllt, habe die Polizei grundsätzlich nichts einzuwenden, „wenn alles geregelt ablaufe und gut organisiert wird“, heißt es aus dem Polizeipräsidium Konstanz. Aber man werde weiterhin konsequent gegen jene Tuner und Poser vorgehen, die Ordnungsstörungen und Straftaten begehen.