„Die Situation am Samstag hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Es versuchen einige über soziale Medien möglichst viele Fahrzeuge in die Stadt zu bekommen. Aber wir lassen uns nicht unter Druck setzen“, sagt Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler im Gespräch mit dem SÜDKURIER.

Aus diesem Grund hat Häusler, der durch sein Amt Chef der zuständigen Ortspolizeibehörde ist, am Mittwoch eine ab Freitag bis 31. Oktober geltende Allgemeinverfügung erlassen. Sie untersagt die Treffen von mehr als fünf Fahrzeugen von Tunern und Posern an Wochenenden von Freitag, 20 Uhr, bis Montag, 2 Uhr früh, im gesamten Stadtgebiet auf öffentlichen wie auch privaten Flächen. „Aufgrund der massiven Ansammlung an Delikten über Monate und Jahre sind wir rechtlich dazu in der Lage“, sagt der Oberbürgermeister, der sich in rund vier Wochen bei der OB-Wahl in seinem Amt bestätigen lassen möchte.

Bis zu 350 Euro Geldstrafe

Tuner und Poser, die sich nicht an das Verbot halten, müssen mit einer Geldstrafe in Höhe von 150 Euro rechnen. Wer sich daraufhin nicht innerhalb von 10 Minuten entfernt, dem droht, dass sein Fahrzeug abgeschleppt und anschließend beschlagnahmt wird. Dadurch entstehen Kosten in Höhe von 350 Euro zuzüglich der Gebühren für die Verwahrung des Fahrzeugs.

Auf die Frage, ob deeskalierende Maßnahmen seitens der Stadt nicht zielführender wären, als die gesamte Szene kollektiv abzustrafen, antworte OB Häusler: „Wir kriminalisieren nicht, sind aber gegen die Auswüchse der Szene. Was am Samstag passiert ist, zeigt, dass die Szene auf Konfrontation aus ist.“

Doch wer zählt für die Stadt Singen zur Szene? Sie listet Personen auf, „deren Fahrzeuge gegenüber der Serienproduktion an Karosserie, Fahrwerk, Motorleistung, Auspuff oder Bereifung technisch verändert wurden“. Zur Autoposer-Szene gehören für die Stadt Lenker, die ihre Fahrzeuge „zur Selbstdarstellung in verkehrswidriger Weise“ führen.

Demonstration gegen Diskriminierung?

Enttäuscht zeigt sich das Überlinger Szenemitglied Mateusz Ostrozny, der mit einem geregelten, privaten Tuner-Gelände eine Alternative zu den Treffen in Singen aufbauen möchte. Die Anordnung der Stadt löse die Problematik nicht, sondern heize sie nur an und mache Singen zu einem „noch interessanteren Ort“, sein Fahrzeug zu präsentieren. „Ich habe bereits jetzt gemerkt, dass viele Menschen auf dem Standpunkt stehen, eine Demonstration zu veranstalten gegen diese Diskriminierung. Wenn ein ruhiges Treffen ohne Ausschreitungen verboten ist, wird die Szene gezwungen, als geschlossene Kolonne durch die Stadt zu fahren“, sagt der gebürtige Pole.

Mateusz Ostrozny
Mateusz Ostrozny | Bild: Tesche, Sabine

Dennoch wolle Ostrozny „alles in seiner Macht Stehende“ tun, um die Szene zu beruhigen sowie Ausschreitungen zu vermeiden und spricht von einer „Sturheit der Stadt“, die viele Menschen und Kfz-Liebhaber sehr negativ stimmen würde. „Das Verbot der Stadt zeigt, wie sehr die Szene einen eigenen Platz braucht, ohne die Lärmbelästigung der Bewohner“, sagt Ostrozny und hofft, weiter auf einen runden Tisch mit den Oberbürgermeistern der umliegenden Städte.

Konstanz denkt auch an Verbot der Szene

Nach einem ersten Aufeinandertreffen am 26. Mai vor der Aral-Tankstelle in der Singener Südstadt zwischen OB Häusler und Ostrozny wollen sich die beiden nun am 15. Juni zusammensetzen – eine Lösung der angespannten Situation ist jedoch nicht zu erwarten, da die Fronten verhärtet sind.

Das könnte Sie auch interessieren

Droht nun eine Verlagerung der Tuner- und Poserszene von Singen nach Konstanz, wie es am Samstag schon der Fall gewesen war? „Wir wollen diese Szene in Konstanz nicht haben“, teilte der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt dem SÜDKURIER auf Anfrage mit. Die Stadt wolle die ihr möglichen Spielräume ausschöpfen, „notfalls auch mit dem Erlass einer Allgemeinverfügung, die Treffen der Tuning- und Autoposerszene im Stadtgebiet verbietet“, sagt Burchardt.

„Generalverdacht ist nicht akzeptabel“

Doch wie sieht ein unabhängiger Verkehrs- und Verwaltungsrechtsexperte die Allgemeinverfügung der Stadt Singen, die Tuner und Poser ab Freitag aus dem Stadtgebiet fernhalten soll? „Wir haben erhebliche Bedenken, dass das rechtmäßig ist“, sagt der Radolfzeller Rechtsanwalt Björn Bilidt, der immer wieder mit der Thematik zu tun hat, aber auf Nachfrage betont, kein Teil der Szene zu sein.

Björn Bilidt.
Björn Bilidt. | Bild: Bilidt und Partner Rechtsanwält

Seiner Einschätzung nach habe die Stadt Singen versucht, den Bestimmtheitsgrundsatz einzuhalten, ihn aber dennoch verletzt. „Es muss klar abgrenzbar sein, wer Empfänger dieser Maßnahmen ist, was bei einem so ausufernden Betroffenenbereich nicht möglich ist – auch für die Betroffenen selber ist es schwer zu wissen, ob sie dazugehören“, sagt Bilidt. Wer einen Oldtimer oder Mercedes AMG fahre, die nicht zur Serienproduktion gehören, oder einfach nur gerne an Autos bastle, könnte schon zur Tunerszene gezählt werden.

„Ich habe größte Bedenken“

Außerdem würden mit dem Verbot die Grundrechte eingeschränkt. „Seit Corona haben wir viel darüber diskutiert, dass wir das Recht haben, uns zu treffen mit wem und wo wir wollen, solange die Gesetze eingehalten werden. Jetzt kommt die Ortspolizeibehörde und will ein Handeln sanktionieren, das rechtmäßig ist. Ich hab größte Bedenken, ob das so geschehen darf“, sagt der Rechtsexperte.

Das könnte Sie auch interessieren

Er sieht auch einen Verstoß gegen die Verhältnismäßigkeit. Schon jetzt habe die Ortspolizeibehörde Eingriffsmöglichkeiten mit Bußgeld- und Strafverfahren, die keine Allgemeinverfügung nötig mache. „Im Vorfeld einen Generalverdacht gegen jeden auszusprechen, der sein Auto tunt, ist nicht akzeptabel“, so Bilidt. Natürlich gebe es in der Szene einige schwarze Schafe. Aber wegen einiger Hooligans dürften auch nicht alle Fußballfans unter Generalverdacht gestellt und Fußballspiele verboten werden.

Darf die Allgemeinverfügung für private Flächen gelten?

Schwere Bedenken hat der Verkehrs- und Verwaltungsrechtsexperte auch, ob sich das Verbot der Stadt Singen auch auf private Flächen beziehen dürfe. „Wenn die in einem privaten Hof stehen und niemanden stören, kann eine Allgemeinverfügung nicht rechtmäßig sein“, sagt Bilidt. Er erwartet, dass bei der ersten Ahndung eines Verstoßes ein Betroffener dagegen rechtlich vorgehen wird. „Dann werden das die Gerichte klären.“