Von ihrer bösen Stiefmutter bekommt Schneewittchen einen lecker aussehenden Apfel, beißt hinein – und stirbt, weil das Obst vergiftet war. Ganz ähnlich wie in diesem bekannten Märchen könnte es bald Verbrauchern gehen, die in einen Bodensee-Apfel beißen – so zumindest lautete die plakative Warnung des Naturschutzbundes BUND vor einigen Wochen.

Manfred Büchele ist Geschäftsführer des Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee in Bavendorf nahe des Bodensees.
Manfred Büchele ist Geschäftsführer des Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee in Bavendorf nahe des Bodensees. | Bild: Messe Friedrichshafen

Mit ihrer Kampagne zu „Schneewittchen-Äpfeln vom Bodensee“ machten die Naturschützer bundesweit und sehr öffentlichkeitswirksam darauf aufmerksam, dass das Bundesamt für Verbraucherschutz aufgrund der feuchten Witterung in diesem Jahr eine Sonderzulassung für das Pflanzenschutzmittel Folpan gegen Pilzbefall im Apfelanbau für einen kleinen Teil der Region erteilt hat.

Die Naturschützer kritisierten vor allem, das Mittel sei wahrscheinlich krebserregend und erbgutverändernd und wirke sich negativ auf die Umwelt aus, vor allem auf Fische und Wasserorganismen.

KOB-Geschäftsführer spricht von „widerwärtiger Kampagne“ des BUND

Als „widerwärtigen Vorwurf“ bezeichnet das Manfred Büchele, Geschäftsführer des Kompetenzzentrums Obstbau Bodensee (KOB), einer Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis für die Obstwirtschaft, die BUND-Aktion. „Fungizide wirken gegen Pilze, nicht gegen Menschen. Sonst könnten wir ja auch keine Salbe gegen Fußpilz benutzen, ohne dass sie uns schadet.“ Und was am Ende, wenn er Apfel in den Verkauf komme, noch an Rückständen vorhanden sei, sei von der Konzentration her „natürlich nicht giftig“, so der Experte.

Plantagenkulturen: Sie gelten als spritzmittelintensiv. Wenn es zu nass ist, muss mehrmals nachgespritzt werden
Plantagenkulturen: Sie gelten als spritzmittelintensiv. Wenn es zu nass ist, muss mehrmals nachgespritzt werden | Bild: bellakadife - stock.adobe.com

Das umstrittene Mittel Folpan werde in dieser Saison kein Bauer am Bodensee ausbringen, sagt er. Weil es aufgrund der warmen und trockenen Witterung die letzten Wochen gar nicht nötig war. Aber auch, weil der Handel den Bauern klargemacht habe, dass er diese Äpfel nicht abnehmen werde, so Büchele.

Weinbau Spritzmittel-intensiv

Gespritzt wurde in der Region im Jahr 2024 aber dennoch – und das nicht zu knapp. Sonderkulturen wie Äpfel und Weintrauben, die am Bodensee riesige Flächen einnehmen, sind dafür bekannt, dass sie sich nur mit einem großen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im konventionellen Anbau kultivieren lassen. Im Frühjahr werden Insektizide gegen Schadinsekten ausgebracht, bei feuchtem Wetter Fungizide gegen Pilzkrankheiten.

„Aufgrund der extrem feuchten Witterung hatten wir ein besonderes Jahr, was die Pilzkrankheiten angeht und damit wurden sicherlich auch deutlich mehr Fungizide gebraucht“, sagt Stefanie Hahn vom Julius-Kühn-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen. Sie weist aber auch darauf hin, dass im verregneten Frühjahr zugleich weniger Insektizide notwendig gewesen seien, weil die Tiere die Nässe nicht mögen.

Eine Schwebfliege sitzt in einer Klatschmohnblüte. Manche Insekten vertilgen Schädlinge. Das senkt den Spritzmitteleinsatz.
Eine Schwebfliege sitzt in einer Klatschmohnblüte. Manche Insekten vertilgen Schädlinge. Das senkt den Spritzmitteleinsatz. | Bild: Silas Stein, dpa

„An der einen Stelle hat man gespart, an der anderen mehr gebraucht“, fasst es Hahn zusammen. Offizielle Zahlen über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Baden-Württemberg liegen auf Nachfrage beim Stuttgarter Landwirtschaftsministerium für das Jahr 2024 noch nicht vor. „Und ein Monitoring durch das Landwirtschaftsamt im Bodenseekreis gibt es nicht, so dass wir keine Zahlen nennen können“, sagt Robert Schwarz, Pressesprecher des Landratsamtes Bodenseekreis.

Stefanie Hahn betont, dass Jahre mit einem höheren Einsatz von Insektiziden oder Fungiziden je nach Witterung immer wieder vorkämen. „In Langzeituntersuchungen sehen wir aber, dass im Durchschnitt nicht mehr eingesetzt wird, sondern dass die Landwirte im Gegenteil ganz gut damit vorankommen, Pflanzenschutzmittel zu reduzieren“, so Hahn weiter.

Weinbauer setzen auf Pflanzenschutz

Carsten Brühl, Ökotoxikologe an der Uni Landau teilt diesen Optimismus nicht. „Wenn ich höre, dass am Bodensee trotz der feuchten Witterung eine überdurchschnittlich gute Apfelernte eingefahren wird, dann liegt das sicher auch am intensiven Einsatz von Pestiziden“, so Brühl.

Dünnschalige Traube wie Merlot sind anfällig für Sporen und Pilze. Bauern halten mit Fungiziden dagegen. Biobauern nutzen dafür ...
Dünnschalige Traube wie Merlot sind anfällig für Sporen und Pilze. Bauern halten mit Fungiziden dagegen. Biobauern nutzen dafür Kupferverbindungen. | Bild: Patrick Seeger, dpa

In der eigenen Weinbauregion rund um Landau habe er beobachtet, wie die Landwirte nach jedem Regen wieder und wieder gespritzt hätten, wobei auch große Mengen von Pestiziden in die Umwelt gespült würden. „Ich persönlich trinke vom diesjährigen Weinjahrgang hier sicherlich nichts“, sagt Carsten Brühl, der seit Jahren zur Wirkung von Pestiziden forscht.

Er habe aber auch in einem der letzten Jahre mit einer extrem trockenen Wetterlage den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Weinanbau untersucht – mit der Vermutung, dass deutlich weniger verwendet wurde. Das Ergebnis habe ihn sehr überrascht: „Der Einsatz war wie in jedem durchschnittlichen Jahr.“

Ökotoxikologe: Spritzen ist wie eine Versicherung für die Bauern

Für viele Landwirte sei der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wie eine Art Versicherung, die nicht viel koste. „Wenn ich die Mittel einsetze, weiß ich, dass es mit der Ernte auf jeden Fall gut klappt“, sagt Carsten Brühl. Für die Umwelt aber habe dieses Verhalten extrem negative Auswirkungen. So wirkten etwa die Mittel Folpan sowie Captan, welches in der Regel gegen Schorf im Apfelanbau eingesetzt wird, extrem amphibientoxisch.

Die Bevölkerung verdränge viel zu stark, welche Auswirkungen Pflanzenschutzmittel dort haben, wo sie in der sie eingesetzt würden, sagt Brühl. „Aus Südtirol gibt es Untersuchungen, wie viele Pestizide man beispielsweise auf Spielplätzen findet, denn natürlich verteilen sie sich in der Umwelt“, so der Landauer Forscher. Das zeigten auch in Deutschland Untersuchungen des Grundwassers.