Der fulminante Schlusssprint bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona machte ihn berühmt: Der Lockenschopf aus Tübingen zog damals auf der Zielgeraden aus hinterer Position noch an seinen Konkurrenten aus Äthiopien, Kenia oder Marokko vorbei – und gewann die Goldmedaille. „Dieter Baumann von der Schwäbischen Alp auf den Thron!“, riefen die TV-Kommentatoren nach dem Zieleinlauf, „was war das für ein Hitchcock!“
Die Brille mit den runden Gläsern trägt er noch immer
Rund dreißig Jahre später sitzt Baumann vor dem Klinikum Konstanz, isst einen Apfel-Mandel-Kuchen und trinkt dazu einen Cappuccino. Der Tübinger ist mittlerweile 57 Jahre alt: Seine Locken sind teilweise ergraut, sein schelmisches Grinsen hat er noch immer. Das gilt auch für die Brille mit den runden Gläsern. „Das gefällt mir, das passt zu mir“, sagt er und lacht.
An den Bodensee ist er wegen einen Vortrags im Klinikum gekommen, der im Rahmen der Konstanzer Adipositastage stattfindet. Dass man ausgerechnet Baumann für das Thema Fettleibigkeit gewählt hat, liegt wohl eher an der Prominenz als an der Betroffenheit: Der Tübinger hat kaum Fett am Körper und ist gertenschlank wie eh und je. „Mittlerweile laufe ich nur noch etwa sechs Mal mal die Woche“, sagt er. „Zur aktiven Zeit war es zwei Mal am Tag.“
Baumann: „Ich war schon immer eine Rampensau“
Seit Ende seiner Karriere ist Baumann aber nicht nur Vortrags- und Motivationsredner, sondern vor allem Kabarettist. „Ich war schon immer eine Rampensau“, sagt Baumann. „Ich geh‘ da vor, das macht mir nichts.“ Fünf Jahre nach seinem Karriereende 2003 spielte er sein erstes Programm. „Das war damals eine komplett verrückte Idee, aber eine gute!“ Seither hat er mehrere Tourneen durch Deutschland hinter sich.
Auf der Bühne tritt er gern in Joggingklamotten auf, erzählt Geschichten aus Leben und Karriere im Dialekt, läuft, tanzt und macht dazu allerlei Klamauk auf einem Laufband. Passend dazu hieß eines seiner vergangenen Bühnenprogramme: „Dieter Baumann läuft halt, weil singen kann er nicht.“
Zahnpasta-Affäre: Baumanns große Kontroverse
In seinen Shows thematisiert er auch die sogenannte Zahnpasta-Affäre. Im November 1999 fand man in Baumanns Urin bei einer Dopingprobe den Wirkstoff Nandrolon. Wie sich später herausstellte, war die Substanz seiner Zahnpasta beigemischt worden. Von wem? Das war die große Frage!
Der Athlet stritt die Doping-Vorwürfe vehement ab und sah sich als Opfer einer Intrige. Er behauptete, dass man ihm den Wirkstoff beigemischt habe und erstattete Anzeige gegen unbekannt. Damit aber nicht genug: Der Tübinger setzte 100.000 Mark Belohnung für die Ergreifung des Täters aus. Um seine Unschuld zu beweisen, unterzog er sich sogar einem Test mit einem Lügendetektor.
Skandal ändert Baumanns Karriereweg
Bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney einige Monate später durfte Baumann aber nicht starten und wurde anschließend für zwei Jahre für alle internationalen Wettbewerbe gesperrt. 2002 kehrte er vorzeitig zurück in den Profisport und gewann noch die Deutsche Meisterschaft sowie EM-Silber. Ein Jahr später beendete er seine Karriere. Bis heute ist allerdings nicht geklärt, wie das Doping in Baumann Zahnpasta gelangte.
„Ohne Zahnpasta wäre ich immer im engen Korsett des Sports geblieben“Dieter Baumann
„Durch die Zahnpasta nahm meine Karriere einen ganz anderen Lauf“, sagt Baumann. Damit habe er seinem Leben einen neuen Drall geben müssen. „Ich nehme heute für mich in Anspruch, dass mir das vollumfänglich gelungen ist“, sagt er. „Ohne Zahnpasta wäre ich immer im engen Korsett des Sports geblieben – als Sportler oder Funktionär. Dieser Albtraum ist Gott sei Dank an mir vorbeigegangen“, sagt er und lacht.
Läuterung durch Selbstironie?
Die Zahnpasta-Affäre hat es seither auch in viele seiner Bühnenprogramme geschafft, erzählt er. „Wenn ich Zahnpasta sage, lachen schon alle.“ Abseits der Bühne werde er auf das Thema vor allem bei Presseinterviews angesprochen. „Viele Journalisten können gar nicht in ihre Redaktionsstuben zurück, ohne diese Frage gestellt zu haben. Die werden dann gesteinigt“, sagt er und kichert.
Daher hat er sich entschieden: „Ich spiele das so lange, bis der letzte Journalist mich nicht mehr danach fragt. Bis zum Lebensende, da bin ich mir gegenüber knallhart.“
Baumann hat Erinnerungen vom Goldlauf 1992 vergessen
Auf der Bühne thematisiert er auch, dass er sich an sein Olympia-Rennen 1992 in Barcelona kaum erinnere. „Ich weiß, damit enttäusche ich immer viele Menschen“, sagt Baumann. „Ich habe das Rennen nämlich tausendfach gesehen und mir oft gedacht: ‚Interessant, da läuft ja tatsächlich ein Weißer mit‘.“

Wenn er aber auf seine gesamte Karriere zurückschaut, kommt er ins Schwärmen: „Ich fand die Zeit total geil“, sagt er. „Ich hatte ein total aufregendes und abwechslungsreiches Leben.“ Er sei durch die ganze Welt gejettet und sei auch mal nur für ein Rennen in die USA geflogen. „Heute hätte ich damit ein schlechtes Gewissen. Man muss nämlich auch sagen: Wir haben damals hatten wir kein Bewusstsein und haben gelebt wie die Schweine.“
„Mir geht es perfekt“
Wer Baumann bei Kuchen und Cappuccino zuhört, erlebt einen selbstironischen und ausgeglichenen Menschen. „Mir geht es perfekt“, sagt er. „Ich fühle mich wohl bei dem, was ich mache und wie ich es machen kann.“ Er genieße, dass er sein „eigenes Ein-Mann-Show-Unternehmen“ sei.
Obwohl das Karriereende lange zurückliegt, fühle er sich aber immer noch wie ein Athlet. „Ich fahre immer noch auf Tour: Da habe ich zwar keinen Wettkampf, aber an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit meinen Startschuss“, sagt er. „Dann bin ich gefordert und es ist live und dann gibt es kein Zurück.“