Die Digitalisierung steckt in den deutschen Gesundheitsämtern noch in den Kinderschuhen. Die Pandemie hat die schlechte Vernetzung der Gesundheitsämter enttarnt. Die unterschiedlichen Programme, teils sogar selbst erstellten hausinternen Lösungen können schlicht nicht miteinander kommunizieren. Die Folge: Verzögerungen und mögliche neue Ansteckungen.

Ein Infektionsfall wird deswegen selbst in benachbarten Kreisen komplett unterschiedlich verwaltet: So arbeitet der Bodenseekreis noch mit einem „selbst entwickelten System“. Wie das bald vorgeschriebene zentrale Verwaltungssystem Sormas „eingebunden“ werden könne, werde derzeit geprüft. Laborbefunde gehen hier noch per Fax ein, man stelle aber aktuell um auf das digitale Meldesystem (Demis genannt), versichert Sprecher Robert Schwarz.

Anders ist der Schwarzwald-Baar-Kreis aufgestellt. Labore übermitteln über Demis, das Gesundheitsamt arbeitet schon seit dem vergangenen Sommer mit Sormas. Faxe gingen unter anderem noch von Laboren ein, „die sich in der elektronischen Umstellung befinden“, wie die Sprecherin des Kreises, Heike Frank, dem SÜDKURIER auf Anfrage sagt.

Waldshut bekommt Diagnose digital – es gibt aber Haken

Im Kreis Waldshut sagt Sprecherin Susanna Heim, die positiven Befunde gingen größtenteils über Demis ein. Handle es sich allerdings um Mutationen, müsse dies vorerst noch per Fax übermittelt werden, weil „die Labore noch in der Umstellungsphase sind“. Auch von Ärzten und sogar Krankenhäuserin kämen die Schnelltests noch per Fax, denn dafür gebe es noch keine entsprechende Schnittstelle im Demis-System. Allerdings, betont Heim, sei das Gesundheitsamt des Kreises eines der ersten in Baden-Württemberg gewesen, das Demis eingerichtet hätte.

Im Kreis Konstanz werden die Laborberichte nach Angaben von Sprecherin Marlene Pellhammer über Demis digital alle 20 Minuten abgerufen. Mit Sormas arbeitet das Gesundheitsamt aber noch nicht. Auch hier bestätigt sich: Nicht alle Befunde können in Demis bereitgestellt werden, diese gingen dann per Fax ein.

Nicht einmal die Hälfte der Ämter nutzt das System

Nicht nur die Region, die ganze Republik ist ein Flickenteppich: Nur 151 der 376 Gesundheitsämter nutzen in Deutschland derzeit Sormas, wie das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage mitteilt. Woran liegt das? Die Motivation war bislang gering, das System umzustellen. Denn die Entscheidung darüber, welche Systeme genutzt werden, liegt bislang in der Hand der Länder beziehungsweise in der Hand der einzelnen Gesundheitsämter, wie ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums dem SÜDKURIER bestätigt.

Erst am 19. Januar dieses Jahres haben die Ministerpräsidenten entschieden, die Vernetzung nun endlich voranzutreiben. Bis Ende Februar, also in weniger als drei Wochen, soll es geschafft sein. Aber wieso kommt dieser Entschluss erst knapp ein Jahr nach dem ersten Fall in Deutschland? Und warum geht es nur so schleppend voran?

Dürftige Quote in Baden-Württemberg

Auch in Baden-Württemberg verläuft die Umstellung schleppend: Nur elf der 38 Gesundheitsämter im Südwesten arbeiten derzeit mit Sormas, wie der SÜDKURIER auf Anfrage erfährt. Daran werde sich in dieser Woche auch nichts ändern, heißt es auf erneute Nachfrage aus dem Regierungspräsidium. Damit bleiben gerade einmal zwei Wochen, um die 27 verbleibenden Gesundheitsämter im Südwesten aufzurüsten.

Das könnte Sie auch interessieren

Hinzu kommt, dass Fallmeldungen aus Arztpraxen tatsächlich schriftlich ans Gesundheitsamt übermittelt werden. Das wird auch künftig erst einmal so bleiben, eine entsprechende Pflicht, über Demis zu melden gibt es für Ärzte erst ab 2023. Wie das System funktionieren soll, wenn es Ausnahmen für relevante Stellen gibt, bleibt offen.

Die Daten werden von den Gesundheitsämtern dann geprüft und dokumentiert, dann erst gehen die Fallzahlen an das Landesgesundheitsamt. Von dort werden die Zahlen schließlich über die Software Survnet an das Robert-Koch-Institut übermittelt. Schon bei der Erfassung von positiven Befunden sind damit mehrere Softwares in Verwendung. Sormas soll sie alle miteinander verbinden.

Helmholtz-Institut für Technik verantwortlich

Wieso geht das so langsam? Das Helmholtz-Institut für Infektionsforschung hat hier einen Teil der Verantwortung, scheint es. Zumindest verweist das Landesgesundheitsamt auf die Hoheit der technischen Einführung durch das Institut und dortiges knappes Personal.

Diese Schilderung kann der Leiter des Helmholtz-Institut, Gérard Krause, auf Anfrage des SÜDKURIER allerdings nicht bestätigen. Vielmehr müsse ein Gesundheitsamt „für die technische Installation von Sormas „technisch keine besonderen Maßnahmen“ ergreifen. Das Projektkonsortium habe allen Gesundheitsämtern die Informationsmaterialien und die dazugehörigen Auftragsverarbeitungsverträge vorbereitet zugeschickt. Auch der Umstieg auf das System sei seiner Erfahrung nach „intern und ohne Begleitung“ innerhalb zwei Wochen möglich.

Die Darstellung des Landesgesundheitsamts weicht hier ab. Erst wenn die bisher genutzten Meldesysteme, das vom Robert-Koch-Institut bereitgestellte Survnet und die Software OctowareTN eines Drittanbieters, zuverlässig in das neue System eingebunden werden könnten, müsse Sormas genutzt werden.

Kontaktverfolgung noch komplizierter

Bei der Kontaktverfolgung brauchen viele Ämter noch Unterstützung durch die Bundeswehr oder die „Scouts“ vom Robert-Koch-Institut. Das liegt auch am Umgang mit den Daten. Denn die werden mit wieder anderen Programmen erfasst. Das Land hat dazu die Software Octoware gestellt. Aber nicht alle nutzen sie.

Einige Gesundheitsämter nutzen dafür Surfnet, die Anwendung des RKI, wieder andere sind schon auf Sormas umgestellt, dass eben alle Systeme vereint und alle Arbeitsschritte vom positiven Befund bis zur Kontaktverfolgung. In manchen Gesundheitsämtern muss dagegen weiter die händisch befüllte Excel-Tabelle herhalten. Einheitlichkeit im Ländle gibt es also selbst bei der Kontaktverfolgung nicht.

Und auch da gibt es ein Problem: „Die digitale Übermittlung aus der Corona-App an die Gesundheitsämter ist derzeit noch nicht möglich“, erklärt ein Sprecher des Sozialministeriums. Baustellen gibt es also noch zur Genüge.