Herr Harnack, hat Sie der Fall des Blumberger Baggerfahrers überrascht, der seinen Neubau demoliert hat – angeblich aus Frust über ausstehende Zahlungen?

Diese Geschichte ist absolut außergewöhnlich. Allerdings muss man schon sagen, dass sich die Kultur im Baugeschäft stark verändert hat. Der Unterbietungswettbewerb um den billigsten Preis dominiert alles. Qualität, gute Planung, vertrauensvolle Zusammenarbeit werden dem untergeordnet.

Das heißt, es ist an der Tagesordnung, dass Bauunternehmer oder Handwerker auf ihr Geld warten?

Es hat sich schon eingebürgert, dass Auftraggeber – egal ob privat oder öffentlich – mit den Handwerkerleistungen nicht zufrieden sind und bis zur Behebung von Mängeln erst einmal nicht oder nur anteilig zahlen. Viele Betriebe sind an diesem Verhalten aber nicht unschuldig.

Warum? Weil schlampig gearbeitet wird?

Nein, das würde ich gar nicht sagen. Obwohl es natürlich Fälle gibt, wo Schnelligkeit vor Sorgfalt geht, weil ein Auftrag zeitlich knapp kalkuliert wird. Was ich meine aber ist: Viele Ausschreibungen erfolgen, ohne dass alle zu errichtenden Arbeiten erfasst sind. Oder es werden während des Bauvorgangs Änderungen vorgenommen, beispielsweise bei Eingängen. Es müssen also mehr Leistungen erbracht werden als ursprünglich kalkuliert waren und das führt dann natürlich zu finanziellen Nachforderungen der Bauunternehmen. Sogenannte Nachträge machen sehr viele Bauprojekte deutlich teurer, als ursprünglich geplant.

Und weil der Kunde nicht mehr bezahlen will, versucht er, Mängel zu finden, um dadurch seinerseits Kosten zu sparen?

Genau. Das Nachtragsmanagement wird mit einem Fehlermanagement beantwortet. Dieses Spiel bringt beiden Seiten sehr viel Arbeit und Ärger ein, den man sich eigentlich sparen könnte. Und das Schlimme ist: Es bringt die gesamte Baubranche in Verruf, auch wenn natürlich längst nicht alle so arbeiten.

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Warum wird das Spiel dennoch gespielt?

Weil Aufträge fast immer nach dem billigsten Preis vergeben werden. Dabei sieht das nicht einmal die Verdingungsordnung für Bauleistungen bei der Erstellung von Gebäuden vor. Denn darin steht, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot zu nehmen ist.

Und das bedeutet?

Es geht nicht allein um den Preis. Es geht auch darum, den Betrieb zu beauftragen, der technisch und personell in der Lage ist, eine an angemessene Qualität liefern. Der also ausreichend gutes Personal dafür hat, der genügend finanzielle Rücklagen hat, um für fünf Jahre eine Gewährleistung absichern zu können. Leider hat es sich aber so eingebürgert, dass nur noch nach dem Geld geschaut wird, auch bei Kommunen. Und kommt es dann zu erheblichen Kostensteigerungen während der Bauzeit, wie beispielsweise bei der Elbphilharmonie in Hamburg, wundern sich alle.

Das heißt es gibt heute nicht mehr Baumängel als noch vor einigen Jahren?

Ich glaube nicht, dass die Baumängel in der Zahl so zugenommen haben, wie sie reklamiert werden. Inzwischen sind beispielsweise auch die Ausbildungen im Baugewerbe viel breiter geworden, was viele Fehler aus früheren Jahren reduziert.

Haben Sie dazu ein Beispiel?

Früher kam es nicht selten vor, dass Maurer und Zimmerleute ihre Gewerke nicht gut aufeinander abgestimmt haben. Da wurden dann beispielsweise Dachsparren direkt auf die Steine gelegt und sind dadurch später gefault.

Hält die Bezahlung denn mit den verbesserten Ausbildungen Schritt?

Das ist ein weiteres großes Problem. Wer seine Mitarbeiter nur nach Mindestlohn bezahlt, bekommt vielleicht auch nur eine Mindestleistung. Früher hieß es immer: Arbeitet so, als wäre es euer eigenes Zuhause. Durch die Mindestlohn-Bezahlung haben sich viele Einstellungen von Handwerkern zum Nachteil verändert.

Welche Rolle spielen Subunternehmen, die in der Baubranche Alltag geworden sind?

Auch hier läuft definitiv etwas schief, wenn ein Maurerbetrieb das Mauern auslagert. Subunternehmen sollten aufs Minimum beschränkt werden. Denn letztlich geht es auch hier darum, den Kostendruck nach unten weiter zu geben. Werden Mängel festgestellt muss für diese oft zwar auch der Generalunternehmer grade stehen. Der zahlt aber dann eben sein Subunternehmen nur teilweise aus und das wiederum hält seinen Mitarbeitern Löhne vor.

Besonders bei größeren Bauprojekten wie diesem lässt die Zahlungsmoral der Auftragsgeber laut Harnack oft zu wünschen übrig.
Besonders bei größeren Bauprojekten wie diesem lässt die Zahlungsmoral der Auftragsgeber laut Harnack oft zu wünschen übrig. | Bild: Julian Stratenschulte

Sind es eher Privatleute oder die öffentliche Hand, welche wegen Mängeln Rechnungen nicht zahlen?

Aus dem Baugewerbe und aus den Gartenbaubetrieben habe ich die Rückmeldungen, dass Privatleute grundsätzlich eine gute Zahlungsmoral haben. Aber die Linie verläuft hier weniger zwischen privat und öffentlich, sie verläuft zwischen kleinen und großen Auftraggebern beziehungsweise Investoren. Je größer die Bauvorhaben sind, umso eher lohnt es sich auch, eine Rechnung grundsätzlich erst nach der ersten Mahnung zu zahlen. Zumindest bis vor einigen Jahren hat es sich ja durchaus gerechnet, 100.000 Euro einen Monat länger auf dem Konto zu haben und die Zinsen dafür noch einzustreichen, bevor die Rechnung bezahlt wurde.

Wie könnten die Sitten in der Baubranche wieder besser werden – für Kunden wie für Handwerksbetriebe?

Es ist nach wie vor üblich, dass ein Auftrag erst komplett abgearbeitet wird und dann kommt irgendwann die Rechnung. Viel besser für beide Seiten wäre es, wenn man den Auftrag in mehrere Abschnitte unterteilt. Nach der Fertigstellung jedes Abschnitts erfolgt die Abnahme und dann eine Zahlung. So kann sich am Ende keiner mehr über Mängel beschweren und der Betrieb bekommt laufend sein Geld.