Helga Stützenbeger

Herr Ilg, seit mehr als 20 Jahren sind Sie im Holzhausbau tätig. Wo sehen Sie das Handwerk und wie sehr haben sich Wertschätzung und Anspruchsdenken im Lauf der Zeit verändert?

Ich habe eine glasklare Struktur in dem, was ich mache. Da kann es sein, dass ich einfach glücklich darüber bin, wenn ich für mich ein Stück Zirbenholz exakt zuschneide, das ich für eine Arbeit brauche. Das verschafft mir Befriedigung. Da brauche ich keinen Kompromiss eingehen, denn bei allem, was ich mache, ist mein Qualitätsanspruch ganz oben angesetzt. Das ist heute im Beruf nicht mehr der Fall, weil die Menschen keine Qualität mehr wollen. Die Menschen wissen gar nicht mehr, was Qualität ist. Anders gesagt: Es will keiner mehr Geld für eine hohe Qualität bezahlen, aber es kommt jeder mit einem wahnsinnigen Anspruch daher. Erkläre ich aber, was dieser Anspruch kostet, dann gehen diese Menschen irgendwo anders hin, haben dort aber den Anspruch nicht mehr, weil sie jetzt ja wissen, wo der Preis liegt. Ich bekomme irgendwann als Argument zu hören: Hey, der andere war doch viel billiger. Aber irgendwann stellen die Menschen fest, dass sie nicht den Demeter-Kopfsalat gekauft haben, sondern den aus dem Penny.

Ist das ein gesellschaftliches Problem oder ein Problem des Baugewerbes?

Ich glaube, es ist ein grundsätzliches Problem und nicht nur auf dem Bau so, dass minderwertige Arbeit geleistet wird, nur um den Preis zu halten. Ich bin aber jemand, der die Dinge so machen will, wie ich sie genau so für mich selbst machen würde. Und je mehr ich weiß, desto weniger mache ich die Dinge anders. Weil ich ja weiß, was passiert, wenn ich es falsch mache. Das Paradoxe ist, wenn du nichts weißt, kannst du viel weniger falsch machen.

Wollen Sie also im Umkehrschluss behaupten, dass zu viel Wissen von Nachteil ist?

Ich möchte behaupten, es ist einfach ungünstiger, weil du ganz genau weißt, was für Folgen aus einem falschen Handeln heraus resultieren. Das mag von mir aus in 99 Fällen gut gehen, aber ich gehe jede Wette ein, würde ich das so machen, würde es in die Hose gehen.

Sie klingen, als ob Sie nach wie vor für ihren Beruf brennen, sich aber eine deutlich vernehmbare Frustration breitgemacht hat.

Wenn ich diese Begeisterung nicht hätte, dann hätte ich längst aufgehört. Ich habe die Begeisterung in vollstem Maße, so wie vor 30 Jahren. Aber es ist frustrierend, wenn du mit solchen zurückgeschraubten Qualitätsansprüchen konfrontiert wirst. Da gehe ich manchmal lieber in die Werkstatt und mache was für mich. Eigentlich wollte ich nur noch Dinge für mich machen, die mir gefallen und meinem Qualitätsanspruch genügen. Und dann stelle ich sie hin, und wenn das dann jemand haben will, dann kann er es kaufen.

Klingt nach Utopie. Oder ist das tatsächlich Ihr Ziel, so zu arbeiten?

Klar ist das Utopie. Aber dieses ständige Vergleichen mit denjenigen, die um jeden Preis Kompromisse eingehen, lässt einen irgendwann resignieren. Je mehr ich weiß, desto besser weiß ich auch, dass sich meine Arbeit abhebt von einer anderen.

Glauben Sie nicht, das geht allen Handwerkern ähnlich?

Nein, eben nicht. Weil viele sich gar nicht darüber bewusst sind, dass so viel Murks gemacht wird. Es gibt Handwerker, die machen das, was der Kunde wünscht. Leider hat der Kunde oftmals keine Ahnung. Mein Bestreben ist es also, zunächst einmal den Kunden aufzuklären. Denn ich mache nicht das, was der Kunde will, sondern das, was richtig ist.

Blöde Frage: Warum machen Sie das dann überhaupt noch?

Weil ich nichts anderes kann! (lacht)

Das nehme ich Ihnen nicht ab. Denn aus Ihren Augen sprüht geradezu die Begeisterung für Ihr Handwerk.

Das ist wohl richtig. Ich könnte heulen, wenn ich einen Holzbau sehe, der falsch gemacht ist. Wenn ich über meinen Beruf spreche, dann kommen mir wirklich die Tränen. Da steckt mein ganzes Herzblut drin. Das kann ich aber nicht mehr rüber bringen, das wird nicht mehr verlangt.

Gab es Zeiten, in denen das anders war? Und warum war es anders?

Diese Zeiten gab es. Das war vor zehn, fünfzehn Jahren noch anders. Als man früher ein Haus baute, hatte man drei Jahre auf Urlaub verzichtet und ein kleines Auto gekauft. Heute baut man ein Haus, braucht zwei Autos, am besten die größten, und in den Urlaub fährt oder fliegt man auch drei Mal im Jahr. Deshalb baut man ein billiges Haus. Das sieht niemand. Im Gegensatz zu den Statussymbolen.

Harte Worte. Finden Sie grundsätzlich, das Handwerk, oder besser gesagt der Handwerker, hat keinen Wert mehr?

Das hat sich sehr verändert: Wenn du früher mit der Zimmermannstracht auf den Wochenmarkt gegangen bist, hast du einen Apfel gekriegt, einen Wurstwecken, einen Ränkel Wurst. Du warst stolz darauf, diese Kleidung tragen zu dürfen. Weil du jemand warst. Du warst stolz darauf, auf einem Dach zu stehen. Diese Zimmermannstracht musste man sich hart verdienen. Heute gehen damit irgendwelche Hippies auf Interrail-Tour. Wenn du heute auf der Fähre sitzt mit diesen Klamotten, dann wirst du angeschaut, als ob du der letzte Penner bist. Du bist aber kein Penner! Den Handwerkern heutzutage fehlt völlig die Leidenschaft, es wird nichts mehr getan für den Ruf.

Wo sehen Sie das Handwerk in 20 Jahren? Wo kommen wir hin?

Nirgends mehr. Die Digitalisierung ist so ein krasses Thema. Das Handwerk wird es so in 20 Jahren nicht mehr geben. Aktuell wurden junge Master und Bachelors bei der Handwerkskammer eingestellt, und man will jetzt sogar den digitalen Meisterbrief einführen – und digitales Lernen. Aber im digitalen Lernen steckt keine Erfahrung drin. Ein Computer lebt einem ein "Ding" nicht vor oder zeigt eine Lösung auf, wenn es mal nicht geht. Ich sage immer, Handwerk hat etwas mit Händen zu tun. Das wird ersetzt durch Handy und CAD. Dabei geschieht es, dass das Handwerk in einen Bereich einbricht, in dem andere, Bauingenieure etwa, viel besser sind. Und das, was ein Handwerker eigentlich können sollte, kann er nicht mehr. Weil er immer mehr zum Kopfwerker wird.

Ist der Handwerker also ein Auslaufmodell?

Wir werden langfristig keine Handwerker mehr haben, weil die Generation der Eltern und der Großeltern sagt: Mach das nicht und lerne was Gescheites, mit dem sich Geld verdienen und eine Familie ernähren lässt. Früher konnte ein Handwerker sein eigenes Haus bauen. Das ist heute nicht mehr möglich, denn dieses Geld verdient ein Handwerker einfach nicht.

Zur Person:

Alexander Ilg wurde 1963 in Rottweil geboren und lebt seit 1991 im Deggenhausertal. Zusammen mit seiner Frau Karin, seinen drei Kindern, der Berner Sennenhündin "Frau Lehmann", 15 Hühnern sowie einer Schar Graugänsen bewohnt er seit 1999 den Hof der Schwiegereltern in Unterlimpach, wo sich auch der Sitz seiner Holzbaufirma "Sägezahn Architektur in Holz" befindet. Alexander Ilg begann 1982 eine Zimmermannslehre, erwarb anschließend den Meisterbrief, ist daneben Schreinermeister sowie Restaurator. Nach dem vierjährigen Studium der Architektur in Konstanz gründete Ilg 1996 sein eigenes Unternehmen. Seit 2016 leitet Alexander Ilg außerdem Meisterkurse an der Handwerkskammer Konstanz in Waldshut. (hst)

www.saegezahn.com