Der Fall ist krass, aber keine Seltenheit. Mutter und Tochter, die aus der Ukraine geflüchtet sind, leben heute in einem 12 Quadratmeter großen Raum einer Vier-Zimmer-Wohnung – für 659 Euro kalt. Diese Summe entspricht exakt dem, was das Landratsamt pro Monat für zwei Personen in Friedrichshafen an Wohnkosten akzeptiert und für Bedürftige bezahlt. Allerdings ist diese sogenannte Mietobergrenze für eine Wohnung mit 46 bis 60 Quadratmeter ausgelegt, nicht für ein kleines Zimmer mit Bad- und Küchenbenutzung zusammen mit drei anderen Mietparteien.

Das darf ein Vermieter verlangen

„Manche Vermieter wissen genau, wie viel sie verlangen dürfen“, sagt Martin Rebmann. Der 62-Jährige ist Stadtdiakon in der Gesamtkirchengemeinde Friedrichshafen und kümmert sich um Menschen, die in ihrer Not an seine Tür klopfen. Besonders groß ist die Wohnungsnot. „Und die wird von einigen schamlos ausgenutzt“, stellt er fest.

Wie hoch darf die Miete sein, wenn sie das Landratsamt übernehmen soll? Für jede Kommune im Bodenseekreis ist eine Obergrenze definiert.
Wie hoch darf die Miete sein, wenn sie das Landratsamt übernehmen soll? Für jede Kommune im Bodenseekreis ist eine Obergrenze definiert. | Bild: Cuko, Katy

Die WG-Masche sei Trend, sagt er. Der Vermieter kassiert in diesem Fall vier Mal Miete für jeweils ein Zimmer in der 85 Quadratmeter großen Wohnung. In Summe dürften das rund 2500 Euro sein. Macht knapp 30 Euro pro Quadratmeter plus 100 Euro je Mietpartei für die Heizung. Das sind 759 Euro warm für das kleine Zimmer. „Das ist doch Wucher“, sagt Martin Rebmann, der überlegt, in diesem Fall Anzeige zu erstatten. Denn der gleiche Vermieter hat in einem anderen Haus zwei weitere Vier-Zimmer-Wohnungen, die er ebenfalls jeweils an vier Frauen aus der Ukraine vermietet hat. „Ein Mietvertrag für ein Zimmer liegt mir auch hier vor. 659 Euro Kaltmiete“, sagt er.

So funktioniert die WG-Masche

Für das Landratsamt, das für Geflüchtete, Arbeitslose oder Menschen mit Behinderung die Miete übernimmt, sind solche Verträge jedoch in Ordnung – solange die Miete eben nicht die Obergrenze reißt. Die ist für jede Kommune separat berechnet. Laut der Liste, die unserer Zeitung vorliegt, übernimmt das Amt für eine Person in Friedrichshafen 590 Euro plus angemessene Heizungskosten und Abfallgebühren. In Markdorf oder Salem beispielsweise sind es nur rund 550 Euro. Pro Person mehr im Haushalt steigt der Betrag um circa 150 Euro. Hätte der Vermieter die 85-Quadratmeter-Wohnung in Friedrichshafen an ein Ehepaar mit zwei Kindern vermietet, hätte das Amt nur 950 Euro übernommen. So kassiert er bei vier Mietverträgen fast das Dreifache.

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Dabei spielt die Wohnfläche erst einmal keine Rolle. „Das Preis-Leistungs-Verhältnis wird durch das Landratsamt nicht geprüft oder bewertet“, schreibt der Kreissprecher auf unsere Anfrage. Die Kreisbehörde sei kein Mietvertragspartner und könne deshalb bei Missverhältnissen allenfalls nur beratend aktiv werden. Dabei weiß das Landratsamt, dass es Vermieter gibt, die die Notlage vieler Wohnungssuchender ausnutzen. „Hier sind uns aber trotz entsprechender Beratung letztendlich die Hände gebunden.“

Angst vor dem Vermieter

Die Ursache ist klar. Der Wohnungsmarkt ist so eng, dass „viele Mieter aus Angst vor einer Kündigung oder weil sie sonst überhaupt keine Wohnung finden, nicht gegen die Vermieter vorgehen wollen“, erklärt Robert Schwarz. Das bestätigt Stadtdiakon Rebmann. „Die meisten sind froh, wenn sie überhaupt eine Wohnung bekommen.“

In der Paulinenstraße ist schon seit Jahren ein Neubauprojekt geplant. Doch die Stadt braucht die Abrisshäuser, um Geflüchtete ...
In der Paulinenstraße ist schon seit Jahren ein Neubauprojekt geplant. Doch die Stadt braucht die Abrisshäuser, um Geflüchtete unterzubringen. | Bild: Wieland, Fabiane

Und doch erwartet er vom Landratsamt, dass sich jemand die Wohnungen von Amts wegen anschaut, bevor die Mietkosten übernommen werden. So werde das zumindest im Kreis Böblingen gemacht, wo Rebmann bis 2021 viele Jahre tätig war. Denn sobald ein Bedürftiger arbeitet und es aus der Sozialhilfe heraus schafft, muss er auch die Miete selbst bezahlen. Dann gehe viel Geld für untragbare Wohnverhältnisse weg, meist ohne Chance auf schnelle Besserung.

Auch in der Löwentaler Straße sollten diese beiden Häuser schon lange abgerissen sein. Nach wie vor werden hier Geflüchtete untergebracht.
Auch in der Löwentaler Straße sollten diese beiden Häuser schon lange abgerissen sein. Nach wie vor werden hier Geflüchtete untergebracht. | Bild: Ambrosius, Andreas

Spenden für Wohnraumoffensive

Für Martin Rebmann offenbaren solche Fälle „skandalöse Wohn- und Mietverhältnisse“. Über weitere Problemfälle hat er kürzlich im Mitteilungsblatt der Gemeinde Oberteuringen berichtet. Denn mit der Wohnraumoffensive ‚Herein‘ versucht die Caritas schon lange, leer stehende Wohnungen anzuwerben, um für bedürftige Menschen ein neues Zuhause zu finden. Der Stadtdiakon hofft mit seinem offenen Brief auf viele Spenden bei der Caritas-Sammlung.

Doch das allein wird nicht reichen. „Wir brauchen in Friedrichshafen ganz dringend viele bezahlbare Ein-Zimmer-Wohnungen“, sagt er. Er denkt an Wohnheime mit Apartments samt Nass- und Küchenzeile. Darüber habe er zum Jahresanfang auch schon mit fast allen Fraktionen im Gemeinderat gesprochen. „Sie waren dankbar für meine Ausführungen“, sagt Martin Rebmann. Die Stadt favorisiert allerdings nach wie vor die dezentrale Unterbringung von Geflüchteten.

Dabei treffe der Mangel an Wohnraum nicht nur Migranten. Auch Menschen mit kleinem Einkommen oder kleiner Rente tun sich schwer, eine angemessene Wohnung zu finden, die sie auch bezahlen können. „Bei jeder Kündigung wegen Eigenbedarf droht heute auch langjährigen Mietern die Obdachlosigkeit.“