Kingsley Emeto ist am Boden zerstört. Mit Tränen in den Augen umarmt er seinen Chef Philip Blank, als er sich zum vorerst letzten Mal bei ihm verabschiedet. „Alle hier waren wie eine Familie für mich“, sagt er mit tränenverschleierten Augen. Dann macht er sich auf den Weg zum Sozialamt, denn im Hotel Rad darf er ab sofort nicht mehr als Spüler arbeiten – so wollen es die Behörden. Dabei hatte er eine 100-Prozent-Stelle und war seit vier Jahren bei Philip Blank angestellt. Der Geschäftsführer des Hotel Rads in Tettnang ist ebenso fassungslos. Er verliert nicht nur von heute auf morgen einen verlässlichen Mitarbeiter, den er sehr schätzte, er verliert auch den Glauben an die politisch Verantwortlichen. „Die ganze Geschichte ist absurd. Jetzt muss Kingsley zum Sozialamt gehen und von Steuergeldern leben, statt bei uns zu arbeiten. Und ich brauche ihn dringend – für solche Jobs finde ich auf dem Arbeitsmarkt niemanden“, empört sich Philip Blank.

Asylantrag stellte er 2014

Was war geschehen? Kingsley Emeto kam während der Flüchtlingswelle 2014 nach Deutschland. Er war aus Nigeria geflohen, weil er dort mitansehen musste, wie seine Schwester bei einem Bombenanschlag der terroristischen Gruppierung Boko Haram ums Leben kam. Er gelangte nach Serbien, reihte sich dort in den langen Strom der Flüchtlinge ein und landete irgendwann in Tettnang. Auf der Flucht verlor er seine Papiere, so berichtet er es, und beantragte in Deutschland Asyl.

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Vier Jahre Arbeit im Hotel Rad

Damals, mitten in der Zeit, als eine Welle der Hilfsbereitschaft durch Deutschland ging, forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Unternehmen dazu auf, bei der Integration der vielen Menschen behilflich zu sein. Und genau das machte Philip Blank. Er stellte Kingsley in seinem Hotel als Spüler. an. „Damals war die Politik froh darüber, dass wir uns als Unternehmer engagiert haben. Und heute lassen uns die Politiker im Stich und die Menschen, die hier zu einem Mehrwert für die Gesellschaft geworden sind, müssen gehen. Das ist eine bodenlose Frechheit“, findet der 34-jährige Hotelier. Auch menschlich ist die ganze Angelegenheit für Blank schwierig. „In den vier Jahren ist mir Kingsley natürlich ans Herz gewachsen“, sagt er verzweifelt.

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Kein Pass – keine Arbeit

Vier Jahre lang dauerte das Asylverfahren von Kingsley Emeto – das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (Bamf) war mit den vielen Anträgen aus der Flüchtlingswelle schlicht überfordert. Im August wurde sein Antrag abgelehnt, danach bekam er eine Duldung für drei Monate sowie eine Arbeitsgenehmigung. Die Duldung bedeutet, dass ein abgelehnter Asylbewerber eigentlich ausreisepflichtig wäre, aber es Gründe gibt, nicht abzuschieben, etwa wegen Krankheit oder eines fehlenden Passes. Kingsley Emeto, der seine Papiere nicht mehr hatte, wurde nach Angaben des zuständigen Landratsamtes Bodenseekreis Ende August dazu aufgefordert, bis zum 4. Oktober einen gültigen Pass vorzulegen. „Weil er aber seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkam und keinen Pass organisierte, bekam er keine neue Arbeitserlaubnis“, erklärt Robert Schwarz, Pressesprecher des Landratsamtes. „Dabei ist die Passbeschaffung in vielen Fällen gar nicht so einfach möglich“, erklärt Rechtsanwältin Tamara Haug, die Kingsley Emeto vertritt. „Wirkt der Ausländer nicht an der Identitätsklärung oder bei der Passbeschaffung mit, greift ein gesetzliches Beschäftigungsverbot. Die Verlängerung einer Beschäftigungserlaubnis ist der Ausländerbehörde dann nicht mehr möglich“, erkärt Carsten Dehner, Pressesprecher des Innenministeriums kühl.

Das sagt das Innenministerium auf Fragen des SÜDKURIER

Abschiebung droht – egal was er macht

Das Problem dabei: Legt ein abgelehnter Asylbewerber aber einen Pass vor, hat Deutschland die nötigen Dokumente, um die Abschiebung vorzunehmen. Gleichzeitig wird eine Arbeitserlaubnis nur dann verlängert, wenn der Asylbewerber einen Pass vorlegt oder nachweist, dass er sich darum kümmert. „Konsequenz unseres Asylsystems“ sei, so das Innenministerium, „dass abgelehnte Asylbewerber – trotz Ausübung einer Beschäftigung – wieder in ihre Heimatländer zurückkehren müssen.“

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Manfred Lucha, Minister für Integration, von den Grünen kritisiert diese Praxis des CDU geführten Innenministeriums scharf. „Das Bleiberecht gut integrierter, erwerbstätiger Geflüchteter muss verbessert werden, indem vorhandene Ermessensspielräume vom Land auch tatsächlich genutzt werden“, so Lucha. Andere Bundesländer wie NRW oder Rheinland-Pfalz hätten die Bleiberechte für Geduldete gestärkt, das sei in Baden-Württemberg auch möglich.

Unternehmer fordern Bleiberecht

Hotelier Philip Blank steht mit seinen Problemen nicht alleine da. Viele andere Unternehmen in Baden-Württemberg, darunter Vaude, die Brauerei Härle oder der Energieriese ENBW, haben sich der Unternehmerinitiative Bleiberecht angeschlossen. Viele dieser Firmen stellten während der Flüchtlingskrise 2014/2015 Asylbewerber ein. Und sie alle fordern von der Politik, diesen Menschen nun ein Bleiberecht zu gewähren.

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Doch in letzter Zeit häufen sich die Abschiebungen von Menschen, die jahrelang mit viel Engagement und Mühe in den Unternehmen integriert wurden. Die Jobs können in den meisten Fällen wegen des flächendeckenden Mangels an Arbeitskräften nicht besetzt werden. Die Initiative führte viele Gespräche, auch mit Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU). „Ich fühle mich mittlerweile im Stich gelassen“, sag Philip Blank. Er glaubt, dass es zu wenig Politiker gibt, die sich deutlich positionieren. „Keiner traut sich, klare Kante zu zeigen“, so Blank. „Und über Menschen und deren Schicksale sprechen die Beamten, als ginge es um Schrauben“, empört er sich.

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Rechtsanwältin Tamara Haug hat beim Innenministerium in Sachen Kingsley Emeto einen Härtefallantrag gestellt. Dieser wird derzeit bearbeitet. Während der Dauer der Prüfung wird der Nigerianer nicht abgeschoben – darf aber auch nicht weiter arbeiten. „Das Problem an der Sache ist, dass der Antrag mit der Tatsache begründet ist, dass er eine Arbeit hat. Wenn er jetzt aber keinen mehr hat, wird das natürlich schwierig“, erklärt sie.

August Schuler, CDU-Landtagsabgeordneter für den Wahllkreis Ravensburg und damit auch für Tettang zuständig, sieht die Probleme der Unternehmerinitiative. Auch er fordert eine Gesetzesänderung. „Es zeigt sich, dass die derzeitige Gesetzeslage wohl nicht ausreicht, denn derzeit sind Fälle wie die von Kingsley Emeto für alle unbefriedigend – für die Betroffenen, für die Unternehmer. Wir müssen eine neue Lösung finden“, sagt er auf Nachfrage dieser Zeitung.

Grüne wollen mehr Ermessungsduldungen

Martin Hahn, Landtagsabgeordneter der Grünen für den Wahlkreis Bodensee, setzt sich für weitergehende Möglichkeiten von Bleiberechten für gut integrierte Geduldete ein. „Geduldete Menschen, die gut integriert und in Ausbildung oder Arbeit sind, sollten unter festgelegten Voraussetzungen einen Aufenthaltstitel bekommen. Das schafft Rechtssicherheit und eine Perspektive für die Geduldeten und ihre Familien. Und für die Unternehmen, die händeringend Fachkräfte suchen“, so Hahn. Er bedauert es sehr, dass sich die CDU im Land bisher nicht zu einer großzügigeren Regelung durchringen konnte.

Erst im Oktober hatte Annette Widmann-Mauz (CDU), Staatsministerin für Integration im Bundeskanzleramt, Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl dazu aufgefordert, Ermessensspielräume bei geduldeten Migranten in Arbeit großzügiger zu nutzen. „Es ist integrations- und arbeitspolitisch kaum vermittelbar, warum gerade Personen, die sich gut integriert haben und ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sichern, abgeschoben werden sollen.“ Doch der Innenminister lehnt das ab. Auf Nachfrage des SÜDKURIER heißt es: „Unser Handlungsrahmen ist das geltende Bundesrecht. Die gesetzliche Vorgabe darf nicht umgangen werden, indem im Ermessenswege davon abgesehen wird.“

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Benjamin Strasser, FDP-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Ravensburg, hat eine klare Meinung: „Der Fall von Kingsley Emeto zeigt wieder, dass in Deutschland zu oft die Falschen abgeschoben werden. Die mittelständische Wirtschaft hätte dringend ein Einwanderungsgesetz aus einem Guss gebraucht und nicht das Stückwerk „Asylpaket“, das die Bundesregierung in diesem Jahr vorgelegt und beschlossen hat. Gut integrierte und fleißige Arbeitskräfte wie Herr Emeto bräuchten die Möglichkeit eines ‚Spurwechsels‘ aus dem Asylverfahren oder dem vorübergehenden humanitären Schutz, um sich zeitnah und rechtssicher um einen dauerhaften Aufenthaltstitel inklusive Arbeitserlaubnis bewerben zu können.“

Für Kingsley Emeto sind die Aussichten mehr als schlecht. Denn wenn er nun doch seine Papiere vorlegt, droht ihm die Abschiebung. Legt er sie nicht vor, wird er zum Dauer-Sozialfall, finanziert vom Steuerzahler, der er selbst gerade noch war. Sein Arbeitgeber Philip Blank muss nun schauen, wie er eine neue Spülhilfe für sein Hotel bekommt. Die einzige Hoffnung ist nun, dass die Härtefallkommission seinen Antrag positiv bescheidet. Doch auch diese Chancen schwinden, weil Kingsley Emeto nun ja keinen Job mehr hat.