Wuseliges Treiben auf dem Spielplatz vor dem Max-Grünbeck-Haus in der Katharinenstraße. Die Kinder, die hier spielen, sind viel zu jung, um etwas über den Namensgeber des mehrstöckigen Hauses, in dem sich ihre Übergangs-Kita befindet, zu wissen. Max Grünbeck (1907 bis 1984) war von 1948 bis 1977 Oberbürgermeister der Stadt Friedrichshafen und am Wiederaufbau der stark zerstörten Industriestadt beteiligt.

Links, neben dem Max-Grünbeck-Haus in der Katharinenstraße gibt es einen Spielplatz für die Kinder in der provisorischen Kita im Gebäude ...
Links, neben dem Max-Grünbeck-Haus in der Katharinenstraße gibt es einen Spielplatz für die Kinder in der provisorischen Kita im Gebäude selbst. Im Gebäude sind auch die Bodenseebibliothek und das Friedrichshafener Stadtarchiv untergebracht. | Bild: Wienrich, Sabine

Doch über seine NS-Vergangenheit als Diplomat im Berliner Außenministerium und sein Wirken als SS-Mitglied ist nach wie vor wenig bekannt. Das soll, so entschied es der Gemeinderat 2013, zunächst auch so bleiben – bis es „neue Erkenntnisse“ gibt. Aber, wo sollen die herkommen, wenn niemand forscht? Der Fall Max Grünbeck – er zeigt, wie wenig tiefergehend sich diese Stadt bisher mit der möglicherweise NS-belasteten Geschichte ihrer Persönlichkeiten und Würdenträger auseinandersetzen wollte.

Max Grünbeck war 28 Jahre lang Bürgermeister in Friedrichshafen. Doch was genau er als Diplomat im Außenministerium während der NS-Zeit ...
Max Grünbeck war 28 Jahre lang Bürgermeister in Friedrichshafen. Doch was genau er als Diplomat im Außenministerium während der NS-Zeit gemacht hat, bleibt weiterhin unklar. | Bild: Archiv

Bis heute hängt sein Porträt im Rathaus

13. November 2013. Auf den Tag genau 75 Jahre nach der letzten Reichspogromnacht 1938 tagt der Häfler Kultur-und Sozialausschuss in einer nicht-öffentlichen Sitzung. Sitzungsvorlage Drucksache-Nr. 2013/V 00232 liegt auf dem Tisch. Der Titel: „Überprüfung von ‚NS-Persönlichkeiten‘ der Stadt Friedrichshafen“. Ein delikates Thema, schließlich geht es hier um Biografien von Menschen, die sich in der Stadt verdient gemacht haben. Menschen wie Max Grünbeck, der die Fasnet in der zertrümmerten Stadt wiederbelebt hat, am ersten Seehasenfest und der IBO beteiligt war und schließlich auch den Neubau des Rathauses mitgestaltet hat. Ganze 28 Jahre lang war der gebürtige Stuttgarter Oberbürgermeister, bis er 1977 zurücktrat und 1984 in Friedrichshafen verstarb. Bis heute hängt sein Portrait im Rathaus, er ist Ehrenbürger der Stadt.

Andreas Brand, Oberbürgermeister
Andreas Brand, Oberbürgermeister | Bild: Lena Reiner
„Heute fragen wir nach Grünbeck. Und morgen nach Müller, Maier, Schulze.“
Oberbürgermeister Andreas Brand, Gemeinderatsdebatte 2013

Vorangegangen war der Debatte um Grünbeck ein Antrag der damaligen grünen Gemeinderätin Monika Blank, heute Sprecherin des Oberbürgermeisters, im Februar 2013. Kurz zuvor wurde im Fischbacher Neubaugebiet Muntenried der Hermann-Schenk-Weg in die Bodanstraße umbenannt, nachdem bekannt geworden war, dass der Schnetzenhausener Schultheiß Schenk (1884 bis 1953) während der NS-Zeit unter anderem an der Deportation eines Roma beteiligt gewesen war. Blank wollte nun die Vergangenheit Grünbecks und anderen Persönlichkeiten ergebnisoffen untersuchen lassen – und erntete dafür harsche Kritik, auch von ihrem heutigen Chef. OB Andreas Brand sagte im Februar 2013 in der Gemeinderatssitzung : „Heute fragen wir nach Grünbeck. Und morgen nach Müller, Maier, Schulze.“

Jürgen Oellers, Stadtarchivar.
Jürgen Oellers, Stadtarchivar. | Bild: Stadt Friedrichshafen
„Die SS-Mitgliedschaft hat Grünbeck verschwiegen, sonst wäre er vor ein US-Militärgericht gekommen.“
Jürgen Oellers, Stadtarchivar

Schließlich sollte Stadtarchivar Jürgen Oellers auflisten, welche Häfler Persönlichkeiten möglicherweise eine NS-belastete Vergangenheit haben – und ob es Hinweise gibt, dass Max Grünbeck in Verbrechen verstrickt war.

Heute, neun Jahre nach den Recherchen 2013, liegt ein schmaler Ordner vor Oellers. Darin befindet sich unter anderem Grünbecks Spruchkammerakte. Er erläutert: „Laut Antwort Grünbecks auf die Klageschrift der Münchener Spruchkammer bezeichnete er sich als ein NS-Gegner ‚in enger Verbindung zu Widerstandskreisen‘, wobei er 20 Persilscheine vorbrachte, darunter den von Adolf Obst, einem Kaufmann jüdischer Herkunft, dem Grünbeck 1944 für Monate gegen den Gestapo-Zugriff geholfen haben soll.“ Zunächst war Grünbeck von der Spruchkammer wie viele damals als „Mitläufer“ eingestuft worden, dank seiner Entlastungszeugen dann aber als „Nazigegner“ straflos entnazifiziert worden (Urteilsbegründung der Spruchkammer München I v. 18.06.1948).

Das grüne Schild Max-Grünbeck-Haus ist schon kaum mehr lesbar. Doch eine komplette Umbenennung des Hauses stand nie im Raum.
Das grüne Schild Max-Grünbeck-Haus ist schon kaum mehr lesbar. Doch eine komplette Umbenennung des Hauses stand nie im Raum. | Bild: Wienrich, Sabine

Ein Widerstandskämpfer, der seit 1933 Mitglied in der SS, Himmlers Schutzstaffel, und seit 1937 der NSDAP war? „Die SS-Mitgliedschaft hat Grünbeck verschwiegen, sonst wäre er vor ein US-Militärgericht gekommen“, sagt Oellers. Die historische Quelle der Spruchkammerakten ist erfahrungsgemäß mit großer Vorsicht zu genießen. So zeigt die Historikerin Hanne Leßau erst jüngst in ihrem Buch „Entnazifizierungsgeschichten“, dass die Entlastungsschreiben oft gemeinsam ausgehandelte Verfertigungen waren.

Kann ein Diplomat aus dem Auswärtigen Amt wirklich eine weiße Weste haben?

Kann es sein, dass ein Diplomat wie Grünbeck, der zwischen 1936 und 1945 als Legationsrat im Auswärtigen Amt (Handelspolitische Abteilung und Presseabteilung) gearbeitet hat – und damit bei einer Reichsbehörde Karriere gemacht hat, der Verbrechen gegen die Menschheit nachgewiesen worden waren – sich nicht mitschuldig gemacht hat? · „Wenn Sie mich als Historiker fragen, würde ich sagen: Ja, er war als jemand, der im Auswärtigen Amt Karriere bis hin zum Legationsrat gemacht hat, am Funktionieren dieses Machtapparats beteiligt“, sagt Oellers. „Aber ich konnte ihm mit dem, was ich in einer relativ kurzen Zeit recherchieren konnte, keine direkte Beteiligung an Verbrechen nachweisen.“

Max Grünbeck bei seinem 50. Geburtstag im Jahr 1957. Der beliebte Oberbürgermeister hat die Nachkriegszeit in der Zeppelinstadt ...
Max Grünbeck bei seinem 50. Geburtstag im Jahr 1957. Der beliebte Oberbürgermeister hat die Nachkriegszeit in der Zeppelinstadt wesentlich mitgeprägt. | Bild: Ernst Haller

Was klar ist: Grünbeck gehörte seit 1933 zur SS – und eine solche Mitgliedschaft – vorausgesetzt, sie war bekannt – wurde von den Alliierten streng geahndet. SS-Mitglieder landeten üblicherweise in Gruppe eins der Belastungskategorien, galten also als Hauptschuldige. „Betroffene der Gruppe eins (..) waren zu entlassen beziehungsweise nicht einzustellen. Ihr Vermögen war zu sperren, ihre Bezüge waren zu stoppen“, schreibt Historikerin Angelika Königseder dazu in ihrem Buch „Das Ende der NSDAP. Die Entnazifierung“ (2009). Dass Grünbeck mit einer öffentlich bekannten SS-Mitgliedschaft je eine Karriere als Oberbürgermeister gemacht hätte, scheint aus heutiger Sicht also eher unwahrscheinlich.

Gemeinderat zog einen Strich unter die Causa Grünbeck

Seine Spruchkammerakte – und der fehlende Nachweis von nationalsozialistischen Gräueltaten wie beispielsweise der aktiven Beteiligung an einer Deportation – reichten dem Gemeinderat 2013 aus, um kurz nach der geheimen Vorberatung des Kultur- und Sozialausschusses einen Strich unter die Causa Grünbeck zu ziehen. Max Grünbecks Vergangenheit und die weiterer Personen sollten zunächst nicht weiter beleuchtet werden, beschlossen die Räte wenige Tage später mehrheitlich. Gegenstimmen gab es lediglich von der Grünen-Fraktion und einer Rätin von Bürger Aktiv. Damit war klar: Für weitere Recherchen gibt es weder ein Mandat, noch Mittel.

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Während also in anderen Städten wie Konstanz, Radolfzell, Freiburg oder jüngst im großen Stil auch Hamburg mehrköpfige erinnerungspolitische Kommissionen eingesetzt wurden, um sich mit der NS-Vergangenheit von lokalen Persönlichkeiten auseinanderzusetzen – und in der Folge auch heute noch häufig etliche Straßen und Gebäude umbenannt werden – setzt man in Friedrichshafen auf das Vergessen. „Weitere Umbenennungen sind derzeit keine beantragt oder von Seiten der Stadtverwaltung geplant“, teilt Stadtsprecherin Andrea Kreuzer mit.

Der Versuch der Aufarbeitung 2013 blieb allerdings nicht ganz folgenlos: Damals wurden symbolisch die Häfler Ehrenbürgerschaften von Adolf Hitler und Paul von Hindenburg aberkannt.

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