Im Jahr 1900 war Immenstaad ein klassisches Straßendorf. Auf einer Illustration, die Reinhard König, Ehrenvorsitzender des Heimatvereins, jüngst bei einem Bildervortrag im voll besetzten Bürgerhaus von Immenstaad zeigte, reihen sich die meisten der 80 Häuser entlang der Hauptstraße auf. Im Schnitt lebten damals in jedem der Häuser elf Menschen.
Die wenigsten Straßen trugen Namen, später, Mitte des 19. Jahrhunderts, wurden die Häuser zumindest durchnummeriert. Brannte ein Haus ab und baute der Besitzer es an anderer Stelle wieder auf, nahm er seine Hausnummer mit. So kam es im Laufe der Jahrzehnte zu einem unüberschaubaren Nummern-Chaos, dessen Regulierung man erst 1955 in Angriff nahm. Das Dorf veränderte sich.

Viele der alten Gebäude hatten da bereits unruhige Zeiten hinter sich. Schloss Helmsdorf, am östlichen Ortseingang gelegen, wartet mit einer Vielzahl von Besitzern und schillernden Persönlichkeiten auf. Im Schnitt wurde das Anwesen alle zehn Jahre verkauft. Einer der Besitzer, ein Lebemann, der sich gern auf seinem „Prachtschimmel“ präsentierte, landete aufgrund seines Engagements für die Revolution 1848 im Zuchthaus und verkaufte das Schloss 1860 an Carl Majer.
Großvater von Grace Kelly lebte zeitweise in Immenstaad
Auch Carl Majer war ein Württemberger, was damals in Baden kein Gütesiegel war, und ohne die geringste Ahnung von Landwirtschaft. Aufgrund lockeren Geldbeutels und noblen Vergnügungen musste sich Majer alsbald von seinem Anwesen trennen. Anschließend, als Weinhändler, bezahlte er die Winzer nicht und setzte sich klammheimlich nach Amerika ab.
Seine Tochter Margaret heiratete dort 1924 den Bauunternehmer John Brendan Kelly. Aus dieser Verbindung ging die Schauspielerin Grace Kelly hervor, die später als Gracia Patricia Fürstin von Monaco wurde. Eine Aufnahme von 1958 zeigt Margaret Kelly bei einem Besuch im Schloss Helmsdorf, das inzwischen Brauerei und Gasthof war.
Eine spannende Geschichte hat auch das Doppelhaus in der Hauptstraße 33 und 35 hinter sich. 1785 erbaut, erstand der Pfälzer Johann Deutsch beide Haushälften. Er wurde zum ersten Kellermeister von Immenstaad. Abwechselnd beherbergte das Haus die Bezirkssparkasse, ein Fahrradgeschäft, eine Autowerkstatt und eine Aral-Tankstelle.
Helia Deutsch betankt Dornier-Flugzeug in Highheels
Als Tochter des Hauses absolvierte Helia Deutsch in Konstanz unter lauter Männern einen Lehrgang und wurde vermutlich als eine der ersten Frauen zur Tankwartin ausgebildet. Ihren großen Auftritt hatte die junge Frau im Jahr 1960, als Mitarbeiter der Firma Dornier medienwirksam ihr neu entwickeltes Kurzstartflugzeug vorstellten. Um zu zeigen, dass es wie ein Auto aufzutanken war, wurde es zur Tankstelle Deutsch gefahren, wo Helia in Highheels, die Zapfpistole im Anschlag, ihres Amtes waltete.

Rathaus mit wechselvoller Geschichte
Auch ein Rathaus gab es in Immenstaad. Eine Aufnahme von 1900 zeigt das stattliche Gebäude, das die Gemeinde 1853 erworben hatte, mit Park und Kriegerdenkmal. Peter Daniel, Bildarchivar des Heimatvereins, zeigte im zweiten Teil des Abends die Entwicklung des 1716 vom Deutschen Orden erbauten Verwaltungsgebäudes zur Ruine und zum heutigen Bürgerhaus.
Fotos von Bittstellerbank und Abort werfen Fragen auf

Präsentierte sich das Gebäude im Lauf der Jahrzehnte entlang der Hauptstraße noch einigermaßen repräsentativ, so boten die Ostseite – hier war der Kindergarten untergebracht – und der Zustand der Nordseite – dort führte eine Treppe zum Armenhaus – einen katastrophalen Anblick. Fotos vom Vorzimmer mit seiner spartanischen Wartebank für Bittsteller und vom Abort warfen Fragen beim Referenten auf. Warum hing die Klobürste an der Wand, tropfte auf den Deckel und dem nächsten Besucher vermutlich ins Kreuz? Und was hatte der Teppichklopfer dort zu suchen? Einzig das Amtszimmer mit Stuckdecke und Leuchter gab sich den Anstrich wohlanständiger Bürgerlichkeit.
Großzügige Spende von Fritz Kopp löst Probleme
Doch die Gemeinde war klamm. Und wohin mit dem Kindergarten, wenn sie das gesamte Gebäude nutzen wollte? Der Unternehmer und spätere Ehrenbürger Fritz Kopp löste das Problem mit einer großzügigen Spende und 1953 wurde das Rathaus entkernt. Auf dem Gewölbekeller entstand ein komplett neues Innenleben.
1982 musste trotzdem neu gebaut werden. Das alte Privathaus nordwestlich davon – der Gewölbekeller stammt von 1607 und blieb als Ratskeller erhalten – wurde abgerissen, zum Teil historisch aufgebaut. Das alte Verwaltungsgebäude überlebte und dient heute als Bürgerhaus und Familientreff.
Ein glückliches Ende nahm auch die Alte Vogtei, deren kunstvolles Fachwerk von 1732 auseinanderzubrechen drohte. 1980 wurde das Gebäude wieder hergestellt und um Anbauten erweitert.
Aus einem Schandfleck wird ein Kulturdenkmal
Dem ältesten Wohnhaus Immenstaads, dem Haus Michael, drohte derweil der Tod durch Verwahrlosung. Als sogenanntes Einhaus, in dem Menschen und Tiere unter einem Dach lebten, wurde es 1461 gebaut und verkam nach und nach zum größten Schandfleck des Ortes. Zwischen 1977 und 1997 wechselten sich Unstimmigkeiten, Anträge und Ablehnungen ab, während das Gebäude vor aller Augen zerfiel. 1990 stimmte das Denkmalamt schließlich einem Abriss zu.

Bedingung: Das Gebäude sollte im Bauernhausmuseum Wolfegg wieder aufgebaut werden. Finanziell ein Ding der Unmöglichkeit. 1999 beschlossen die Brüder Edmund und Rolf Kammerer, obwohl die Gemeinde sie explizit davor warnte, das Gebäude zu kaufen und zu sanieren. Heute stellt es ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung dar.