Die Vereinigten Staaten hatten in Vietnam verstanden, dass sie nicht immer Weltpolizei sein können; Wettrüsten war keine Gemüse-Challenge des florierenden Unternehmens Tupperware; es herrschte Eiszeit im Kalten Krieg; und zwischen Ahausen und Bermatingen sollte im Zuge einer Verkehrstrasse eine Start- und Landebahn für den Starfighter gebaut werden. Grob gefasst lassen sich die wichtigen Ereignisse der 70er Jahre auf diesen Nenner bringen.

Vergleichsweise geringe Bedeutung für den Weltenlauf, dafür bis heute ein Straßenbauprojekt von großer Tragweite für Markdorf und Umgebung ist die in den 1970ern aufs Infrastruktur-Tapet gebrachte Bodensee-Autobahn. Die von Lindau nach Singen geplante A 98 gilt noch heute als Musterbeispiel von Uneinigkeit.
Trasse hätte auch für Markdorf eine Rolle gespielt
Auch für Markdorf hätte die Trasse mit zwei Autobahnzu- und -abfahrten eine bedeutende Rolle gespielt. Denn der geplante östliche Autobahnknoten war in den späten 1970er Jahren der Grund, weshalb die Firma Wagner von Fischbach an den jetzigen Standort im Gewerbegebiet Negelsee umgesiedelt ist.
Westlich von Markdorf, zwischen dem ehemaligen Haslacherhof und dem Landwirtschaftsbetrieb von Franz Josef Sprißler in Wirrensegel, war im Trassenverlauf ein weiterer Knotenpunkt als Anbindung an Markdorf vorgesehen. „Der Vater lebte damals noch, es schien ihn gar nicht zu stören, dass hier im Laufe der Zeit gar nichts geschah“, erinnert sich Franz Josef Sprißler an die Zeit der anfänglichen Autobahn-Euphorie und späteren Uneinigkeit.

„Im Prinzip war der Vater damals froh, dass hier keine Straße gebaut wurde“, ergänzt Sprißler. Viel Beton, viel Dreck und noch mehr Baulärm hätte die langjährige Bauphase mit sich gebracht. Heute schottet allerdings eine hohe Schallschutzmauer den Sprißlerhof von den ihn täglich schier überrollenden Blechlawinen der vorbeiführenden B 33 ab.
Ruf des „Autobahnmörders“
Erst in den späten 1970er und frühen 80er Jahren spielte der Naturschutzgedanke eine zunehmend größere Rolle. Als äußerst kritische Gebiete wurden nicht nur das Argental sowie die Salemer Klosterweiher eingestuft, sondern auch die Trassenführung durch das Hepbacher Ried, das von der A 98 tangiert werden sollte, war ökologisch nicht länger vertretbar.
Nicht zuletzt und aus heutiger Sicht allem Hohn zum Trotz musste sich der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete des Bodenseekreises und Mitglied des Verkehrsausschusses, Rudolf Bindig, für die Autobahn oder für den Ausbau der B-31-Umgehungsstraße entscheiden. Noch heute hängt ihm der Ruf des „Autobahnmörders“ an.

Seitdem schlummert die Akte der A 98 in den Archiven aller einst involvierten Gemeinden. Prall gefüllt mit Geschichten aus einer vergangenen Epoche, ja, einem unwiederbringlichen Jahrtausend. Verstaubt und sorgfältig zusammengebunden mit dem original badischen Aktenknoten – den übrigens schon lange kein Archivar mehr beherrscht.

Sie wurde also nie wieder geöffnet, diese Akte, die aus Sicht vieler Menschen in der Region Gutes hätte mit sich bringen können (siehe Erklärstück). Dafür werden heute ganz neue Seiten aufgeschlagen in einer schier unendlichen Straßenplanungsgeschichte, die sich freilich in ihrer Brisanz, in der gesamten Uneinigkeit und allen Zwistigkeiten in nichts von der alten unterscheidet.

Zwei Markdorfer erinnern sich
Albert Braig: „Ich kam 1975 nach meinem Studium vollkommen lärmgeschädigt von Berlin nach Markdorf“, erinnert sich Albert Braig an die Zeit, in der Naturschutz nur eine untergeordnete Rolle spielte – für ihn persönlich hingegen eine sehr bedeutende. „Gerade war das Elchinger Kreuz im Bau, die Umgebung glich einer Mondlandschaft.“
Albert Braig spricht im Zusammenhang mit diesem Autobahnbauwahn in den 70er Jahren von einer „Los Angelesierung“ in Deutschland. Damals schon in seiner Freizeit sportlich unterwegs, war es für den gebürtigen Schwaben unvorstellbar, in seiner neuen Wahlheimat Markdorf bald ähnliche Verhältnisse vorzufinden.
Heute wären wir wohl froh
„Ich war von Anfang für den Erhalt der Landschaft um Markdorf herum und strickt gegen dieses gewaltige Straßenbauprojekt“, betont Braig. Allerdings fügt er an: „Heute wären wir wohl alle froh, die Bodensee-Autobahn würde nicht nur die Seegemeinden, sondern auch Markdorf entlasten.“

Gebhard Geiger: „Von Ahausen in Richtung Bermatingen war die A 98 über eine Länge von vier Kilometern kerzengerade und topfeben geplant“, weiß Gebhard Geiger noch. Als sogenannte Infrastrukturgerade sei dieser Teilabschnitt in den Akten vermerkt gewesen. Die Bürger habe man lange Zeit über den eigentlichen Grund im Unklaren gelassen.
„Als man diesen Abschnitt in Verbindung mit einer Start- und Landebahn für den Starfighter brachte, war das Geschrei natürlich riesengroß“, erinnert er sich. Bermatingen wäre im Krisenfall zur Zielscheibe geworden, so die Befürchtungen. „Der geplante Verlauf war fast identisch mit der Markdorfer Südumfahrung“, sagt der frühere Stadtbaumeister.
Ein Sticker fürs Auto
„Als ich von Tübingen nach Markdorf kam, war man sich in der Stadt sicher, dass die Autobahn gebaut wird.“ Und wer seine Zustimmung zeigen wollte, klebte sich einen Sticker aufs Auto. „Auch ich bin mit dem Aufkleber ‚Bodensee Autobahn – ja!‘ rumgefahren“, betont Geiger.
Ihre Bilder: Wir suchen Ihre Bilder und Geschichten aus den 70er Jahren. Wie sah das Leben in den Dörfern und Städten damals aus? Schicken Sie uns Ihre Erinnerungsschätze und Fotos und wir begeben uns für Sie auf Spurensuche.
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