Ein Mal im Herbst und ein Mal Ende Mai feiert Sabine Müller-Schlingloff aus Markdorf-Leimbach seit 20 Jahren Geburtstag. Im Herbst wird sie biologisch 57, am 31. Mai wurde sie 20 – ihr „Herzgeburtstag“, wie sie dieses Datum bezeichnet.

Sabine Müller-Schlingloff feiert mit Tochter Celine.
Sabine Müller-Schlingloff feiert mit Tochter Celine. | Bild: privat

Nachts kommt die erlösende Nachricht: Es gibt ein Spenderherz

„Ich hatte damals mein erstes Handy, als es nachts um 3.15 Uhr klingelte. Ich wusste sofort, dass es das Krankenhaus war, wer sonst hätte mich um diese Zeit angerufen? Sie hatten in München ein Herz für mich“, erzählt Müller-Schlingloff von jener Nacht vor 20 Jahren. Ein Krankenwagen wurde geschickt, Mann und Kind blieben daheim, sie fuhr allein in die Herzklinik. Denn um 8 Uhr sollte die Transplantation beginnen. „In den Stunden davor habe ich mich von meinem alten Herz verabschiedet“, erzählt sie. „Ich habe mich bei ihm bedankt, dass es so lange noch durchgehalten hat.“

Das könnte Sie auch interessieren
Das könnte Sie auch interessieren

Begonnen hat ihre Krankengeschichte schon früh. Mit 28 Jahren bekam Müller-Schlingloff wegen einer Herzerkrankung einen Herzschrittmacher. Mit 31, nach der Schwangerschaft, eine Herzmuskelentzündung und bald darauf habe man ihr im Krankenhaus gesagt, dass sie noch eine Woche zu leben habe, erzählt Müller-Schlingloff. „Ich bin dann nach München ans Deutsche Herzzentrum und kam sehr schnell auf die Warteliste für Spenderherzen“, berichtet sie. Viele Monate verbrachte sie im Klinikum Fürstenfeldbruck.

Rund zwei Jahre warten sie auf das Spenderorgan

Zwar war sie zwischendurch auch zu Hause, aber meist so geschwächt, dass alles nur im Sitzen möglich war: auch Zähne putzen oder duschen. An Toben mit ihrer Tochter Celine oder Haushalt machen war kaum zu denken. „Unsere Kleine, die damals zwischen zwei und vier Jahren alt war, konnten wir kaum erklären, warum ich immer wieder ganz schnell weg musste“, erinnert sie sich. „Ich hatte das Glück, die Patientin von zwei hervorragenden Ärzten zu sein, die beide mehrfach in den darauffolgenden Jahren mein Leben gerettet haben“ sagt sie dankbar. Und dann nach fast zwei Jahren der Anruf. Sie habe unglaubliches Glück gehabt.

„Vor der Transplantation habe ich mich im Geiste von meinen Lieben verabschiedet.“
Sabine Müller-Schlingloff

„Das Wichtigste ist die Blutgruppe, die muss passen“, erklärt Müller-Schlingloff. „Es gibt einige Kriterien die ungefähr übereinstimmen müssen, zum Beispiel das Alter, wegen der Lebenserwartung.“ Man könne auch nicht das Herz einer 50-Kilo-Frau einem 120-Kilo-Mann transplantieren, das würde das Herz nicht schaffen. Und je mehr übereinstimme, desto höher sei die Lebenserwartung, erklärt sie. Die werde nach einer Transplantation mit durchschnittlich acht bis zwölf Jahren angegeben.

Das könnte Sie auch interessieren

Auf die Frage, was sie im elften Jahr gefühlt habe, erzählt Müller-Schlinghoff: „Vor der Transplantation habe ich mich im Geiste wirklich von meinen Freunden verabschiedet, aber im elften Jahr hatte ich keine Angst. Es ist ja wirklich nur ein Durchschnittswert. Danach habe ich immer gehofft, dass ich den nächsten Geburtstag wieder feiern kann und jetzt ist es sogar mein 20. Herzgeburtstag. Mein Ziel ist der 60. biologische Geburtstag in drei Jahren“, sagt sie und lacht.

Kuchen zum Herzgeburtstag
Kuchen zum Herzgeburtstag | Bild: privat

Sie würde den Eltern des Spenders gerne danken

Zum Geburtstag darf man sich etwas wünschen – welchen Wunsch hat Sabine Müller-Schlingloff? Sie weiß, dass ihr Spenderherz einem jungen Menschen Anfang 20 gehörte, dessen Eltern sich nach dem Unfalltod ihres Kindes zur Organspende entschieden hatten. „Mein größter Wunsch wäre es, diesen Eltern zu danken und ihnen zu sagen, dass das Herz ihres Kindes in mir weiterlebt. Ich hatte dadurch die Chance, mein eigenes Kind aufwachsen zu sehen.“

Ritual an jedem „Herzgeburtstag“

Jedes Jahr, einen Tag vor ihrem Herzgeburtstag, denke sie besonders an die Eltern des Spenders. „Ich zünde dann eine Kerze an und habe die Person den ganzen Tag in meinem Kopf, an diesem Tag fühle ich mich immer sehr mit ihr verbunden“, beschreibt sie ein Ritual.

Das könnte Sie auch interessieren

Schuldgefühle empfinge sie nicht, „denn ich weiß, dass diese Person ja nicht meinetwegen gestorben ist. Die Eltern der Person haben sich dafür entschieden, dass mit den Organen ihres Kindes fünf weitere Menschen Lebenschancen bekamen, dafür bin ich einfach nur dankbar.“ Müller-Schlinghoff weiß, dass andere Menschen mit transplantierten Organen Probleme im Umgang mit dem fremden Organ haben. „Ich habe das Herz genauso willkommen geheißen, wie ich mich von meinem eigenen Herzen verabschiedet habe“, beschreibt sie.

Genuss und Lebensfreude sind ihr wichtig

Lachen, Lebensfreude und Genuss scheinen ohnehin Müller-Schlingloffs Geheimrezepte zu sein. „Ich bin vom Typ schon immer eine Frohnatur, aber seit meinem zweiten Leben erlebe ich vieles bewusster. Da kann es schon sein, dass ich mitten im Autofahren rechts ran fahre und mir den Regenbogen anschaue. Den Blumenstrauß, den ich zum Geburtstag bekommen habe, begrüße ich täglich mit den Worten ‚Mein Gott bist Du schön‘.“

Aus 400 Löffeln hat Sabine Müller-Schlingloff diesen Spiegel gestaltet.
Aus 400 Löffeln hat Sabine Müller-Schlingloff diesen Spiegel gestaltet. | Bild: Heike Gumsheimer

Medikamente müssen immer wieder austariert werden

„Ich tanze, ich gehe gerne auf Konzerte, ich esse sehr gern und stochere nicht in einem Salat rum. Mir geht es zur Zeit wirklich gut, auch sind meine Werte im Moment sehr gut, aber trotzdem bin ich nicht gesund“, sagt sie. „Die Medikamente zur Immunabwehr sorgen zwar dafür, dass mein Herz nicht abgestoßen wird, aber dafür bekomme ich andere Krankheiten, gegen die mein Körper sich deshalb nicht wehren kann, auch Krebs.“ Ständige Untersuchungen, immer neues Austarieren der Medikamente, mal gute Wochen, mal schlechte Zeiten gehören zu ihrem Leben mit transplantiertem Herzen.

Arbeit als Floristin nicht mehr möglich

Umso mehr ist Ausgleich wichtig. Und Basteln – ihr größtes Hobby – hilft Müller-Schlingloff dabei. Als gelernte Floristin konnte sie mit ihrem Krankheitsbild nicht mehr arbeiten. Die vielen Bakterien im Wasser und in der Erde seien zu gefährlich gewesen. „Früher habe ich auch Schaufenster, Wohnungen, Firmen und ganze Kongresszentren dekoriert, ich war sehr traurig, dass ich das nicht mehr machen kann. Deshalb ist das Basteln so wichtig für mich, da komme ich runter.“

Sabine Müller-Schlingloff in ihrer Werkstatt.
Sabine Müller-Schlingloff in ihrer Werkstatt. | Bild: Heike Gumsheimer

Etwas morbide muten die vielen, mit zahllosen Strasssteinen beklebten Totenköpfe in der Wohnung von Müller-Schlingloff schon an. Ob die Wahl des Totenkopfs als Kunstmotiv doch etwas mit ihrem Krankheitsbild zu tun habe? Müller-Schlingloff lacht: „Wissen Sie, ich habe keine Angst vor dem Tod, ich beschäftige mich zu lange damit. Für meine Urne werde ich mir natürlich selbst einen Totenkopf basteln, mit viel Glitzer.“

Sabine Müller-Schlingloff bastelt gern und viel. Das Totenkopfmotiv habe nichts mit ihrer Geschichte zu tun, Düsteres verkaufe sich gut, ...
Sabine Müller-Schlingloff bastelt gern und viel. Das Totenkopfmotiv habe nichts mit ihrer Geschichte zu tun, Düsteres verkaufe sich gut, habe sie festgestellt. | Bild: Heike Gumsheimer

„Nein, im Ernst. Es hat eigentlich keinen Hintergrund. Irgendwie gefallen sie mir einfach und düstere Sachen verkaufen sich besser“, erklärt sie. Vor Corona habe sie viel auf Kunsthandwerkermärkten verkauft, während Corona sei sie mehr aufs Internet umgestiegen. Wenn sie nicht bastelt, engagiert sie sich sozial. Eine Zeit lang hat sie als Tagesmutter gearbeitet. Heute betreut sie ehrenamtlich behinderte und kranke Menschen und kümmert sich gerne um die, denen es schlechter geht als ihr.

Eine große Party zum Herzgeburtstag

Genüsslich gefeiert hat sie auch ihren Herzgeburtstag, den 31. Mai – tagsüber zusammen mit ihrer Tochter und abends mit ihrem Partner und Freunden beim Eisessen. Für die Party hatte sie sich am darauffolgenden Wochenende einen Saal angemietet. „Die Leute kamen von überall, meine Tochter hat gesungen und wir haben getanzt.“ Besonders habe sie sich über den Besuch ihrer beiden Ärzte gefreut, die extra aus München gekommen waren.

Sabine Müller-Schlingloff feiert ihren 20. Herzgeburtstag. Mit dabei sind die beiden Ärzte, die ihr in all den Jahren mehrfach das Leben ...
Sabine Müller-Schlingloff feiert ihren 20. Herzgeburtstag. Mit dabei sind die beiden Ärzte, die ihr in all den Jahren mehrfach das Leben gerettet haben (von links): Professor Bernhard Permanetter, Sabine Müller-Schlingloff, Dr. Matthias Overbeck. | Bild: privat

Auf die nicht ganz ernst gemeinte Frage, ob sie denn in den in vergangenen Jahren einmal Liebeskummer gehabt habe und ob sich das mit einem fremden Herzen anders anfühle, lacht Müller-Schlingloff: „Oh, eine gute Frage, aber ich kann sie leider nicht beantworten, da ich seit vielen Jahren glücklich mit meinem Lebenspartner zusammen bin.“