Der laue Frühsommerabend lädt zur Radtour ein. Um diese Zeit ist die Strecke entlang des Bodensees und der B 31-alt zwischen Sipplingen und Bodman-Ludwigshafen weitgehend frei. Der Radler aus Sipplingen schwingt sich auf sein E-Bike, doch er hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn diese ruhigeren Stunden werden gern auch von sportlichen Radlern genutzt. Zwölf Radfahrer kommen ihm im dichten Pulk und hohem Tempo im Tunnel entgegen, durch den der Bodenseeradweg ostwärts von der rechten auf die linke Fahrbahnseite der B 31-alt wechselt. Ein Schild warnt „Langsam fahren“, denn der Tunnel ist eng und dunkel, die Kurven sind steil.

Die Einfahrt in den Tunnel an der B 31-alt zwischen Sipplingen und Bodman-Ludwigshafen. Ein Schild fordert dazu auf, langsam zu ...
Die Einfahrt in den Tunnel an der B 31-alt zwischen Sipplingen und Bodman-Ludwigshafen. Ein Schild fordert dazu auf, langsam zu fahren, denn die Tunnelführung ist schmal und entgegenkommende Radler sind erst im letzten Moment zu sehen. | Bild: Michael Schnurr

In hohem Tempo durch den engen und dunklen Tunnel

Doch das kümmert die Rennradler nicht. In hohem Tempo geht es hindurch. „Achtung!“ brüllt der an der Spitze des Pulks fahrende Radler, als er in der Kurve den entgegenkommenden E-Biker sieht. Die ihm dicht folgenden Fahrer wiederholen den Warnruf. Dennoch rauschen die beiden letzten Sportler beinahe in den E-Bike-Fahrer hinein. Dieser kann nur durch starkes Abbremsen den Zusammenprall verhindern. Schon ist der Spuk vorbei, der Tross weitergerauscht, aber dem Radler aus Sipplingen ist der abendliche Ausflug verdorben.

Auf dem viel befahrenen Radnetz Bodensee sind zahlreiche Fußgänger unterwegs. Das sorgt immer wieder für Probleme im Begegnungsverkehr.
Auf dem viel befahrenen Radnetz Bodensee sind zahlreiche Fußgänger unterwegs. Das sorgt immer wieder für Probleme im Begegnungsverkehr. | Bild: Michael Schnurr

Im Sommer herrscht viel Verkehr auf dem teils weniger als zwei Meter breiten Weg

Begegnungen wie diese sind nicht selten auf der Strecke zwischen Bodman-Ludwigshafen und dem Gelände der Landesgartenschau in Überlingen. Wobei es in der Regel nicht Rennradfahrer-Pulks sind, die für Gefahr sorgen. Kritische Situationen auf der knapp acht Kilometer langen Strecke entstehen auch, weil zur Sommerzeit auf dem teils unter zwei Meter breiten Radweg viele, manchmal zu viele Radler unterwegs sind. Es tummelt sich eine bunte Mischung von E-Bikes und herkömmlichen Rädern, von Skatern und Fußgängern auf der Strecke. Vor allem dann, wenn die Räder Anhänger ziehen, wird es eng.

Der Radweg entlang der Kreisstraße zwischen Brünnensbach und Abzweigung Goldbach von der B 31-alt ist eng, sobald sich Radler ...
Der Radweg entlang der Kreisstraße zwischen Brünnensbach und Abzweigung Goldbach von der B 31-alt ist eng, sobald sich Radler begegnen. Kritisch wird es, wenn die Räder noch Radanhänger ziehen. Außerdem drücken auf dem Radwegstück mehrfach Wurzeln den Asphalt hoch. | Bild: Michael Schnurr

Zahl der Radler hat im Sommer 2020 rasant zugenommen

Auf dem Radweg ist alles vertreten: vom schnellen Rennradfahrer bis zum Fünfjährigen auf seinem Kinderrad, von der vielköpfigen Familie bis zum Senior auf dem Pedelec. Wie viele Radler auf der Strecke täglich unterwegs sind, ist nicht bekannt: Es gibt keine Zählung oder Statistik. Spätestens seit dem Sommer 2020 jedoch hat die Zahl der Radler auf dem Bodenseeradweg rasant zugenommen; eine Folge der Corona-Pandemie und der zunehmenden Begeisterung von Jung und Alt am E-Bike.

Familien mit Kindern haben es schwer auf dem Bodenseeradweg. Die Jüngsten lernen noch, ihr Zweirad unter Kontrolle zu halten. Für sie ...
Familien mit Kindern haben es schwer auf dem Bodenseeradweg. Die Jüngsten lernen noch, ihr Zweirad unter Kontrolle zu halten. Für sie sind rücksichtslose Fahrer ein besonderes Problem. | Bild: Michael Schnurr

Während ältere Radler oft erst lernen müssen, die antriebsstarken Elektrofahrräder zu beherrschen, fallen junge Radler häufig durch zu schnelles Fahren auf. Und wiederum andere versuchen, auf den engen Wegen nebeneinander zu fahren, auch wenn Radler ihnen entgegen kommen. So herrscht in der Urlaubszeit an sonnigen Tagen oft Wild West auf dem Bodenseeradweg, weil mancher vom Recht des Stärkeren Gebrauch macht.

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Polizei sieht deutlichen Handlungsbedarf aufgrund der Unfallzahlen

Darauf nimmt das Polizeipräsidium Ravensburg in seinem jüngsten Sicherheitsbericht Bezug und schreibt über die Zunahme von Radler-Unfällen: „Neben präventiven Ansätzen – gerade bei Senioren, die dank der Unterstützung durch den Elektromotor wieder verstärkt mit dem ‚Fahrrad‘ unterwegs sind – ist hier die Einhaltung der Verkehrsregeln durch die Rad- und Pedelecfahrer zu überwachen.“ Die Polizei sieht deutlichen Handlungsbedarf, denn: „Der Bodenseekreis und der Landkreis Ravensburg liegen landesweit jeweils im ersten Viertel der Häufigkeit von Verkehrsunfällen, an denen Fahrradfahrer oder Pedelecs beteiligt sind.“

Zahl der Radunfälle und der Schwerverletzten auf der Strecke gestiegen

477 Radunfälle zählte die Behörde im Jahr 2020 im Bodenseekreis (425 im Jahr 2019). Er belegt damit Platz 9 im Ranking von Baden-Württemberg. Allerdings kann die Polizei keine exakten Zahlen für den Bodensee-Radweg vorlegen. Auf Bitte des SÜDKURIER hat sie gleichwohl eine ungefähre Zahl, eine grobe Eingrenzung auf den Bodensee-Radweg ermittelt: Demnach registrierte sie dort 131 Unfälle im Jahr 2020 und 107 im Jahr 2019 mit 20 Schwerverletzten (2020) und 13 Schwerverletzten (2019).

Immer wieder ein neuralgischer Punkt: In Sipplingen führt das Radnetz Bodensee über den engen Parkplatz West. Die Radler müssen sich ...
Immer wieder ein neuralgischer Punkt: In Sipplingen führt das Radnetz Bodensee über den engen Parkplatz West. Die Radler müssen sich durch die rangierenden Autos hindurch manövrieren. | Bild: Michael Schnurr

Signifikant ist die Zahl der an Unfällen beteiligten Radfahrer in der Altersgruppe von 51 bis 70 Jahren im Bodenseekreis: Sie beträgt gut 40 Prozent. Die Polizei legt deshalb auch bei ihren präventiven Maßnahmen ein besonderes Augenmerk auf diese Altersgruppe. Sie kündigte gegenüber dem SÜDKURIER für den Sommer sporadische Schwerpunktkontrollen an neuralgischen Punkten und Strecken auf dem Bodenseeradweg an, außerdem den Einsatz von Fahrradstreifen auf diesen Strecken.

Viele neuralgische Punkte auf acht Kilometern zwischen Bodman und Überlingen

Vor allem der acht Kilometer lange Radweg zwischen Bodman-Ludwigshafen und Überlingen ist mit solchen neuralgischen Punkten gespickt. Das beginnt mit dem oben beschriebenen Tunnel an der Grenze zwischen dem Landkreis Konstanz und dem Bodenseekreis an der B 31-alt und geht weiter mit dem Streckenverlauf des Radweges durch Sipplingen. Der an der Seestraße (B 31-alt) zwischen Bahnhof und Ortsausgang rechtsseitig auf der Straße geführte Radstreifen existiert noch nicht lange und wird neuerdings durch ein Tempo-30-Gebot unterstützt.

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Warum die Tempobegrenzung 200 Meter vor dem Ortsende aufgehoben wird und die Radler die viel befahrene Seestraße deshalb bei Tempo 50 nach links auf die Fortsetzung des Bodenseeradwegs überqueren müssen, kann der zukünftige Hauptamtsleiter Sipplingens, Florian Pfitscher, nur vermuten: „Die innerörtliche Temporeduzierung steht nach meiner Information im Zusammenhang mit dem Lärmaktionsplan und wurde nicht aufgrund des Radfahrschutzstreifens initiiert.“

Zu zweit nebeneinander und mit Fahrradanhänger: Wenn hier ein Radfahrer im Tunnel bei Süßenmühle entgegenkommt, wird es für ihn eng.
Zu zweit nebeneinander und mit Fahrradanhänger: Wenn hier ein Radfahrer im Tunnel bei Süßenmühle entgegenkommt, wird es für ihn eng. | Bild: Michael Schnurr

Stadt Überlingen sieht keinen Handlungsbedarf

Rückfragen des SÜDKURIER bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde dazu blieben unbeantwortet. Auch zu den weiteren neuralgischen Punkten ist nichts zu erfahren, zum engen Radstreifen zwischen Süßenmühle und Goldbach sowie den Tunnel bei Süßenmühle. Die Pressestelle der Stadt Überlingen erklärt sich erst ab der Abzweigung Goldbach für den Radweg zuständig und sieht keinen Handlungsbedarf: „Unebenheiten auf dem Abschnitt, für den die Stadt Überlingen verantwortlich ist, sind uns nicht bekannt“, heißt es. Den Hinweis, dass auf der Strecke mittlerweile an mehreren Stellen das Wurzelwerk den Asphalt empor drückt, kommentiert die Stadt nicht.

Eigentlich sollen die Radfahrer aus Richtung Überlingen in Brünnensbach auf der rechts eingezeichneten Radspur bis zur Kreuzung fahren ...
Eigentlich sollen die Radfahrer aus Richtung Überlingen in Brünnensbach auf der rechts eingezeichneten Radspur bis zur Kreuzung fahren und dann abbiegen. Kaum ein Radler hält sich daran, da die Situation zu unübersichtlich ist. | Bild: Michael Schnurr
„Einige dieser Stellen sind schwierig zu lösen, aber das Problem ist, dass sich auch um die lösbaren Problem niemand wirklich kümmert.“
Bernhard Glatthaar, ADFC

Den Allgemeinen Deutsche Fahrradclub (ADFC) beschäftigt seit Jahren die Kreuzung in Brünnensbach/Goldbach, wo die Radler, aus Überlingen kommend, durch den fließenden Verkehr auf die gegenüberliegende Seite auf den Radweg wechseln müssen. Bernhard Glatthaar vom ADFC schreibt, auch mit Bezug auf andere neuralgische Punkte: „Einige dieser Stellen sind schwierig zu lösen, aber das Problem ist, dass sich auch um die lösbaren Problem niemand wirklich kümmert.“

In Brünnensbach mündet die Straße Goldbach in die Kreisstraße ein: Radler aus Richtung Überlingen müssen auf der Kreisstraße nach links ...
In Brünnensbach mündet die Straße Goldbach in die Kreisstraße ein: Radler aus Richtung Überlingen müssen auf der Kreisstraße nach links hinüber zum Radweg wechseln und dabei gleichzeitig auf entgegenkommende Radler achten, die hier vom engen Radweg auf die Straße ohne Radspur abgedrängt werden. | Bild: Michael Schnurr

Landratsamt zum Brünnensbach: „Zeitplan und Kosten sind hier noch offen“

Das bestätigt letztlich auch Robert Schwarz, Pressesprecher im Landratsamt Bodenseekreis, bezogen auf Brünnensbach: „Durch eine Fahrbahneinengung, eine partielle Aufweitung des bestehenden Radweges und eine Bordsteinabsenkung in Brünnensbach soll die Querungssituation verbessert werden.“ Allerdings: „Zeitplan und Kosten sind hier noch offen.“ Dieser Zustand besteht seit Jahren.

ADFC sieht Problem im Dickicht der Zuständigkeiten

Der ADFC sieht das Grundproblem im Dickicht der Zuständigkeiten von Ämtern und Behörden und schreibt: „Wo die größten Infrastrukturprobleme des Bodenseeradwegs auf deutscher Seite vorhanden sind, (sollte) eine verantwortliche Stelle (mit) weitergehende Kompetenzen als heute“ geschaffen werden. „Der Bodenseeradweg (muss) endlich Chefsache werden (Landrat und Bürgermeister).“

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