Stef Manzini und Sebastian Küster

Frau Broszat, werden Sie als Rektorin nach dem öffentlichen Gerichtstermin auf diesen Fall von sexuellem Missbrauch an ihrer Schule angesprochen?

Da unsere Realschule in der öffentlichen Verhandlung genannt wurde, werde ich als Rektorin natürlich auf diesen Fall des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen angesprochen. Fraglos macht das, was an unserer Schule passiert ist, uns alle sehr betroffen. Wir werden mit dem Thema aber offensiv umgehen, denn nur so kann – auch zum Schutz des Opfers – dem sprichwörtlich tausendzüngigen Gerücht entgegengewirkt werden.

Wann und wie haben sie, beziehungsweise das Lehrkollegium, Kenntnis über diese Tat erhalten und was ist dann von Seiten der Schule aus passiert?

Zunächst einmal ist es so, dass wir, wenn wir bei Schülern und Schülerinnen Veränderungen in Verhalten und Aussehen feststellen, sie darauf ansprechen. In diesem Fall dauerte es lange, bis sich die Schülerin uns eröffnet hat. Von dieser Minute an stand primär der Schutz des Mädchens im Vordergrund und die Untersuchungen begannen. Kripo, Staatsanwaltschaft und das Regierungspräsidium nahmen ihre Aufgaben wahr und ermittelten. Bis zur juristischen Klärung war Verschwiegenheit das Gebot. Das Kollegium ging mit dieser Situation verantwortungsvoll und sensibel um. Nun ist öffentlich eine Verurteilung ergangen. Der betroffenen Schülerin und ihren Eltern wünschen wir, dass sie diese Ereignisse irgendwann überwunden haben werden. Wir sind alle noch sehr schockiert. 

Wie sehen ganz konkret ihre nächsten Schritte für die Zukunft zum Thema Prävention aus?

Wir wollen nicht nachlassen, unsere Schutzbefohlenen zu stärken – ob mit Präventionsangeboten oder im Unterricht. Außerdem wollen wir mehr denn je unseren Blick schärfen, Schüler zu schützen und Missstände früh zu erkennen. Dabei nehmen wir stets auch professionelle Hilfe in Anspruch, wie zum Beispiel die der Beratungsstelle "Morgenrot" in Überlingen, mit der wir sehr gute Erfahrungen gemacht haben.

Gibt es vom Regierungspräsidium, beziehungsweise von der Schulbehörde eine Art Handlungsleitfaden, wie Sie als Schule nach diesem Fall weiter damit umgehen sollen?

Das Kultusministerium hat unter dem Titel "Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen" eine Handreichung zur Prävention und Intervention an Schulen aufgelegt, die umfassend informiert und Orientierung gibt. Hier finden sich vielfältige Anregungen für den Unterricht und das Schulleben, etwa was die Sprache im Unterricht oder die Zusammenarbeit der Lehrkräfte mit den Eltern angeht.

 

Der Fall

Wegen des Missbrauchs einer 14-jährigen Schülerin in 23 Fällen ist ein 51-jähriger Lehrer der Realschule Überlingen im August vom Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Laut Staatsanwaltschaft hatte der Angeklagte die schulischen Probleme der Schülerin ausgenutzt und während der Nachhilfestunden ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Kurz nach Vollendung des 14. Lebensjahres der Schülerin sei es in einem Zeitraum von acht Wochen zu mehreren sexuellen Handlungen im Klassenzimmer und auf einem Hochsitz gekommen. Die Schülerin habe sich den sexuellen Handlungen deshalb hingegeben, weil sie sich vom Angeklagten verstanden gefühlt und dieser ihr auch von konkreten Suizidabsichten berichtet habe. Nachdem der Verurteilte Mitte November seinen Einspruch zurückgezogen hatte, ist das Urteil nun rechtskräftig.

 

 

Wie verhindert man sexuellen Missbrauch an Schulen?

Nachdem der Fall des sexuellen Missbrauchs an einer Schülerin bekannt wurde, beschäftigen sich nun die Überlinger Schulen mit künftigen Präventionsmaßnahmen. Die Polizei, die Beratungsstelle "Morgenrot" und Manuela Dirolf, Kriminalbeamtin und Buchautorin, geben Tipps, wie zu reagieren ist, wenn Personen im eigenen Umfeld von sexuellem Missbrauch betroffen sind.

  • Die Wiestorschule hat einen Präventionsplan für Gewalt und sexuelle Gewalt angefertigt. "Wir arbeiten gerade mit unserer neuen Schulsozialarbeiterin daran, die Schwerpunkte zu setzen", sagt Jürgen Mattmann, Schulleiter der Überlinger Gesamtschule. Die Wiestorschule kooperiere zudem mit externen Referenten – etwa von der Polizei –, die über sexuellen Missbrauch aufklären und für das Thema sensibilisieren. Spezielle Schulungen für Lehrer fanden jedoch nicht statt: "Seit ich an der Schule bin, gab es keine Lehrerfortbildungen, die über das Verhalten bei sexuellem Missbrauch aufklären", erklärt Mattmann. Das sei bislang nicht notwendig gewesen. Der Schulleiter wolle in Zukunft weiter an dem Thema Prävention arbeiten.
  • Am Gymnasium Überlingen sind derzeit keine Schulungen für Lehrer geplant, die sich mit Prävention von sexuellem Missbrauch beschäftigen. "Wir machen auch keine Vorträge für Schüler zu dem Thema", sagt Willi Rinderer, stellvertretender Leiter des Gymnasiums. Die Schule habe zwar große Präventionsprogramme zum Thema Gewalt und Sucht, ein spezielles Programm gegen sexuellen Missbrauch gäbe es bislang aber nicht. Es stünden aber eine Sozialarbeiterin und eine Beratungslehrerin an der Seite der Schulleitung. "Wir haben ein umfangreiches Beratungsangebot", erklärt Rinderer. Nach dem Fall an der Realschule hat das Gymnasium nun vor, sich bei den zuständigen Behörden über offizielle Handlungsvorgaben zu informieren. Diese fehlen laut Rinderer bislang gänzlich.
  • Die Organisation "Morgenrot" ist für die Beratung der Opfer sexuellen Missbrauchs zuständig. "Jeder kann zu uns kommen und mit uns mögliche Vermutungen und Vorwürfe besprechen", sagt die Leiterin der Organisation, Iris Gerster. Wichtig für Betroffene: Laut Gerster ist die Organisation nicht dazu verpflichtet, die möglichen Vorwürfe und Vermutungen der Polizei zu melden. Das sei für die Arbeit eine Grundvoraussetzung, weil die Hemmschwelle für betroffene Personen dadurch niedrig bleibe. Darüber hinaus setzt sich "Morgenrot" auch für die Prävention von sexuellem Missbrauch an Schulen ein. Die Aufklärung von Multiplikatoren, also beispielsweise Lehrer oder Schulsozialarbeiter, stehe dabei im Fokus. "Wir halten zum Beispiel Vorträge und arbeiten eng mit den Schulsozialarbeitern zusammen", sagt Gerster. Die Schulen seien jedoch in der Verantwortung, sich bei Bedarf an die Organisation zu wenden. "Wir sprechen uns dann über mögliche Termine mit den Schulen ab. Regelmäßig verpflichtende Vorträge gibt es nicht", erklärt sie.
  • Die Polizei bietet derzeit flächendeckend in der Klassenstufe 4 Elternabende zum Thema "Schulwegtraining" an. Auch würden auf Nachfrage zentrale Veranstaltungen mit erweiterten Schwerpunkten angeboten, teilte Hauptkommissar Thomas Straub vom Polizeipräsidium Konstanz mit. "Missbrauch verhindern" heißt die bundesweite Kampagne der polizeilichen Kriminalprävention, zu der eine 54-seitige Broschüre gleichen Titels erschienen ist. Unter www.polizei-beratung.de kann sie im Internet heruntergeladen werden. In Zusammenarbeit von Polizei und Weissem Ring finden sich unter anderem "Fünf Schritte zum Schutz" oder ein Leitfaden "Von der Anzeige bis zur Gerichtsverhandlung" und ein Verzeichnis von Beratungsstellen. Obwohl in der nahen Vergangenheit viel Aufklärung geleistet worden wäre, fühlten sich die meisten Menschen bei diesem Thema dennoch unsicher, so das Vorwort der Broschüre, deren Inhalt genau diese Aufklärung leisten möchte.
  • Manuela Dirolf, Kriminalbeamtin und Buchautorin von "Nein! Ich will das nicht", einem Buch zu sexuellem Missbrauch, veranstaltete auch schon an Überlinger Schulen sogenannte Selbstbehauptungskurse. Die Initiative dazu ging jeweils vom Elternbeirat aus und wurde von der Schulleitung begrüßt. Dirolf rät Betroffenen von sexuellem Missbrauch, sich so schnell wie möglich an eine Vertrauensperson zu wenden und von dem Vorfall zu berichten. Ganz ausdrücklich, ohne Rücksicht auf die Person zu nehmen, die den sexuellen Missbrauch betreibt. Dass in den meisten Fällen bestehende Vertrauensverhältnis zwischen Opfer und Täter ist ihrer Meinung nach die Grundlage, diese Taten vielfach zu verschweigen. "Genau das macht es so schwierig", so die Kriminalbeamtin.