Zwei Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Niedergang der Sowjetunion herrschte Aufbruchsstimmung in Deutschland: der Kalte Krieg war vorbei und die Angst vor globalen Konflikten schien besänftigt. Doch der Optimismus wurde schon bald getrübt, als am 17. Februar 1991 nur wenige Wochen vor dem Schmotzigen Donnerstag der Golfkrieg zwischen dem Irak und einer US-geführten Koalition ausbrach.
„Der Weltfrieden scheint gefährdet“, schreibt Werner Mezger, Fasnachtsexperte und Volkskundler, in seinem „Großen Buch der schwäbisch-alemannischen Fasnacht“ über die Fasnacht des Jahres 1991. „Die Hoffnung, die mit der gerade erst erlangten Deutschen Einheit und dem Fall der Eisernen Vorhangs erlangt war, schlug schnell in Betroffenheit um.“
„Bewuste Besinnung als Antwort auf die üblichen Fastnachtsveranstaltungen“
Diese Betroffenheit ergriff auch große Karnevals- und Fastnachtsverbände, welche ihren Mitgliedern „nahelegten, bundesweit auf sämtliche närrische Umzüge zu verzichten“, so Mezger weiter. Närrisches Feiern sei nicht angebracht, während im Golfkrieg Soldaten starben, so die Meinung damals.

Auch bei der Überlinger Narrenzunft schien man nicht genau zu wissen, wie zu verfahren sei. Je näher aber die närrischen Tage rückten, desto mehr wuchs die Ungewissheit. Letztlich sagte der Viererbund, zu dem auch die Überlinger Narrenzunft gehört, als eine der ersten in Deutschland die Veranstaltung der Straßenfastnacht und sämtlicher offiziellen Feierlichkeiten ab: Überlinger Umzüge und das Narrenkonzert fielen aus.
Obwohl das Feiern natürlich nicht verboten war, brach aber unter der Überlinger Bevölkerung nicht so recht närrische Stimmung aus, wie ein SÜDKURIER-Artikel mit dem Titel „Fasnacht? Nein, danke!“ belegt. Darin ist im Rahmen einer Straßenumfrage die Rede von „bewusster Besinnung als Antwort auf die üblichen Fasnachtsveranstaltungen“. Auch Schüler feierten keine Fastnacht, sondern sammelten lieber Spenden für Geflüchtete aus der betroffenen Kriegsregion, wie ein Bild zeigt.

Im ersten Jahr im Narrenrat gleich eine ausgefallen Fastnacht
Überlingens heutiger Narrenvater Thomas Pross war im Jahr 1991 zum ersten Mal im Narrenrat dabei. „Die Bühnenbilder für das Narrenkonzert, die wir in den Weihnachtsferien vorbereitet hatten, waren alle fertig“, erinnert er sich. Doch dann wurden die offizielle Fastnacht abgesagt – „aus weltpolitischen Gründen“, so Pross kritisch in der Nachschau.

Vor Absage der Feierlichkeiten habe ihn der damalige Narrenvater Walter Jaud angerufen. „Er fragte mich, was ich von einem Ausfall der Straßenfastnacht halten würde“, erinnert sich Pross. „Ich fand diesen Gedanken merkwürdig und konnte damals nicht genau sagen, ob das richtig war. Das war dann halt so.“ Die Verantwortlichen des Karnevals hätten das entschieden gehabt und eine „Lawine der Absagen“ sei vom Rheinland ins ganze Land gerollt, so der Narrenvater. „Überlingen war ganz vorn mit dabei.“
Anders als im Jahr der Pandemie, waren aber Treffen und Kontakte erlaubt. Nur die Straßenfastnacht fiel aus. „In den Wirtschaften kam es dennoch zu fastnachtlicher Stimmung“, so Pross. „Da haben die Wirte das ein oder andere Mal den Narrenmarsch aufgelegt.“
Große finanzielle Verluste für Narrenzunft durch kurzfristige Absage
Überlingens Narrenmutter Wolfgang Lechler sagt zu der Absage der Straßenfastnacht in dem Jahr: „Es war emotional ein richtiges Loch für uns. In einer Stadt wie Überlingen fällt es schwer, wenn die Fastnacht einfach so ausfällt. Das war so, als ob man im Dezember das Weihnachtfest absagt.“ Obwohl es keine offiziellen Veranstaltungen gab, seien in Überlingen in der Woche nach dem Schmotzigen Donnerstag trotzdem verkleidete Leute auf der Straße gewesen, berichtet er und prognostiziert: „Das wird es trotz Lockdown auch in diesem Jahr geben.“

Aufgrund der plötzlichen Absage habe die Narrenzunft in jenem Jahr viel Geld in den Sand gesetzt, ergänzt Lechler. „Der Saal sei für das Narrenkonzert reserviert gewesen und tausende Plaketten hatten wir bestellt.“ Aufgrund ausgebliebener Feierlichkeiten kam kein Geld mehr rein.
Welche Lehre sie daraus für die Corona-Pandemie ziehen konnten? „In diesem Jahr haben wir das anders gemacht: Da war ein Ausfall abzusehen und wir haben weniger Plämper bestellt als 1991 und den Saal gar nicht erst vorreserviert.“
Doch die Absage der Straßenfastnacht 1991 und die Lage in der Corona-Pandemie möchte Lechler nicht vergleichen. „Heute geht die Absage offizieller Feierlichkeiten aufgrund gesundheitlichen Risiken in Ordnung, damals war es unverhältnismäßig.“
Fasnachts-Chronist Mandausch ohne bleibende Erinnerungen an 1991
Der Überlinger Narrenbuch-Chronist Fridolin Mandausch hätte die Lage der Fastnacht besser darstellen können als in dem Bild im Narrenbuch: Ein lächelnder Saddam Hussein würgt den verschnupften Überlinger Hänsele und treibt ihm den Schweiß auf die Stirn. Nein, der Gewürgte ist nicht nur der Hänsele, sondern die ganze Welt steckt im Griff des irakischen Diktators.
Ähnlich kritisch wie Lechler sieht auch Mandausch die damalige Absage. Er nennt die Entscheidung aus dem Jahr heute eine „totale Überreaktion“ und sagt: „Ich bin der Meinung, dass die Absage falsch war. Auch in anderen Ländern hat es vor und nach 1991 Kriege gegeben. Das hat die Fastnacht nie gestört.“ Im Rückblick betrachtet, hätte man sich als süddeutsche Fastnacht damals ins Bockshorn jagen lassen, sagt er.

Laut Mandausch habe man damals keine einzige Karbatsche in der Stadt gehört. Ins Narrenbuch schrieb er daher: „Es war sowohl beeindruckend als auch bedrückend, das ansonsten so närrische Volk so normal zu sehen.“ Auch der Narrenbaum sei aus Trauer klein gewesen und wurde für die Symbolik vom mittlerweile bereits verstorbenen Narrenpolizisten Helmut Zimmermann symbolisch gegossen. „Er sollte wieder groß werden“, so der Chronist.
Mandausch sei in dem Jahr zu keiner Fastnachtsfeiern in die Wirtschaften gegangen. „Wir von der Narrenzunft haben uns insgesamt zurückgehalten. Von den Narretei der Fastnacht 1991 sind ihm daher auch keine Bilder im Kopf geblieben, dagegen aber die Bilder vom Golfkrieg.