Dieser Fall könnte grundsätzliche Bedeutung bekommen. Er betrifft die Frage, ob Gemeinderäte auf eigenes Risiko handeln, wenn sie einen Rechtsstreit gegen die Gemeinde oder gegen eine Entscheidung des Gemeinderats anzetteln.
Im konkreten Fall geht es um einen Antrag der Überlinger Stadträte Kristin Müller-Hausser und Dirk Diestel (BÜB+) vor dem Verwaltungsgericht, mit dem sie juristisch gegen eine Umbesetzung von Gemeinderatsausschüssen vorgegangen sind. Die Umbesetzung war vom Gemeinderat beschlossen worden, nachdem die BÜB+ ihren Fraktionsstatus in der laufenden Amtsperiode verloren hatte.
Eilantrag vom Verwaltungsgericht abgewiesen
Müller-Hausser und Diestel beklagten, dass die BÜB+ in gewissen Ausschüssen nicht mehr vertreten ist. Sie legten einen Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht ein, dieser wurde abgewiesen. Daraufhin strengten sie vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim ein Eilverfahren an, scheiterten aber auch hierbei. Das Hauptsacheverfahren ist noch offen.
BÜB+ stützt sich auf ein Grundsatzurteil des VGH
Nun sieht sich die BÜB+ mit Gerichts- und Anwaltskosten in Höhe von 8061 Euro konfrontiert. Darin enthalten sind ihre eigenen Anwaltsgebühren, Gerichtskosten, aber auch die Rechtsanwaltskosten der Stadt, die nun sie tragen sollen. So wie die Stadt die Allgemeinheit bemühe und niemand in der Verwaltung aus der Privatschatulle einen Anwalt zahle, sei es nur rechtens, dass auch sie nicht auf persönliches Risiko hin handeln. Sie argumentieren, dass ihr gemeinderätliches Handeln stets dem Wohle der Stadt diene, ergo müsse die Stadt, also die Allgemeinheit, die Kosten tragen. Sie berufen sich dabei auf ein Urteil des VGH Mannheim von 2017, Aktenzeichen 1S 542/17.
OB: Gericht „mutwillig“ bemüht
Die Stadtverwaltung stützt sich auch auf das gleiche Urteil wie die BÜB+, interpretiert es aber anders. In dem von Oberbürgermeister Jan Zeitler unterschriebenen Ablehnungsbescheid wird den Räten zwar zugute gehalten, dass laut Rechtsprechung interne Streitigkeiten letztlich der Organträger (Stadt) tragen müsse. Aber nur, „sofern die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens geboten war, also nicht mutwillig aus sachfremden Gründen in Gang gesetzt wurde“. Ein vernünftiger Grund sei nicht erkennbar, findet Zeitler, da der Verlust des Fraktionsstatus „unweigerlich“ zu einer Veränderung der Gemeinderatsausschüsse geführt habe.
Aus Sicht Zeitlers nicht dem Allgemeinwohl gedient
Die BÜB+ habe die gerichtlichen Schritte nicht im Allgemeinwohl, sondern lediglich im eigenen politischen Interesse eingeleitet, so die Argumentation der Stadt. OB Zeitler betont in seinem Schreiben an die BÜB+, dass es nur um beratende Ausschüsse und nicht um beschließende Ausschüsse gehe.
„Wir haben ausschließlich im Interesse der Bürger, der Wähler und damit im Interesse der Gemeinde gehandelt.“Kristin Müller-Hausser und Dirk Diestel
Müller-Hausser und Diestel kündigten Widerspruch gegen Zeitlers Bescheid an. „Selbstverständlich war die Einleitung der Klage und einstweiliger Rechtsschutz geboten, sie war nicht sachfremd“, lautet ihre Auffassung. „Wir haben ausschließlich im Interesse der Bürger, der Wähler und damit im Interesse der Gemeinde gehandelt.“ In dem besagten VGH-Urteil von 2017 ist von einer „wehrfähigen Innenrechtsposition“ die Rede, die die beiden Räte nun für sich in Anspruch nehmen.
Sichtweise des Staatsrechtlers an der Uni Konstanz
Hans Christian Röhl, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Konstanz, bestätigte auf SÜDKURIER-Anfrage im Grundsatz: Klagen von Gemeinderäten gegen den Gemeinderat oder den Bürgermeister seien möglich, die Gemeinde müsse die Kosten tragen, wenn die Gemeinderäte hiermit ihre Rechte im Rat verteidigen.
Ohne auf die konkrete Auseinandersetzung zwischen BÜB+ und Stadt Überlingen einzugehen, teilte Röhl mit: „Gemeinderäte handeln für die Gemeinde nicht als Privatpersonen, sondern als Teile des Organs Gemeinderat. Daher hat grundsätzlich die Gemeinde die Verfahrenskosten zu tragen, auch wenn es sich um einen Prozess gegen den Gemeinderat handelt.“
Ohne den konkreten Fall abschließend bewerten zu können, so Röhl, betrachtet er es nicht von vornherein als „sachfremd“, wenn ein Gemeinderat gegen eine Neubesetzung von Gremien klagt und keine andere Abhilfe möglich ist. Ob nun die Verwaltung oder die BÜB+ Recht haben, könne man aber erst beantworten, so Professor Röhl, „wenn man den Sachverhalt gründlich aufgearbeitet hat, wie es ein Gericht tun würde, und sich anschließend intensiv mit der dazu ergangenen Rechtsprechung auseinandersetzt“.
Sofern die BÜB+-Räte planen, die Kostenerstattung gerichtlich durchzusetzen, wird vor den nächsten Gemeinderatswahlen vermutlich keine Entscheidung mehr fallen. Abgesehen davon, dass dann noch nicht geklärt ist, wer die Kosten für die Klärung der Kostenfrage trägt.