Ein kurzer Blick ins Überlinger Telefonbuch genügt, um gleich drei potenzielle Opfer zu finden. Sie heißen Ingeborg, Gisela oder Erna. Ihre Namen waren Mitte der 1930er Jahre gebräuchlich, die Frauen dürften also um die 80 oder 90 Jahre alt sein. Ihr Name steht alleine im Telefonbuch, was darauf hindeutet, dass niemand mit ihnen in der Wohnung lebt. Alt und alleinstehend – damit passen sie genau in das Raster von falschen Polizisten.

Prozess am Landgericht

Ab Freitag stehen drei mutmaßliche Täter vor dem Landgericht in Konstanz. Ihnen wird vorgeworfen, in mehreren Fällen, die sich unter anderem im westlichen Bodenseekreis zugetragen haben sollen, vorwiegend ältere Menschen übers Ohr gehauen zu haben, und zwar immer mit der Masche vom falschen Polizisten.

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Eigentlich dürfte ihre Masche bekannt sein, so oft wie vor ihr gewarnt wird. Dennoch gelingt es den Tätern in immer mehr Fällen eine immer höhere Beute einzustecken. Wir gingen der Frage nach, wie das passieren kann, und wie man alte Leute aktiver schützt. Denn die Informationskampagnen der Polizei reichen für sich genommen in vielen Fällen nicht.

Oliver Hoffmann, stellvertretender Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Umweltkriminalität beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg.
Oliver Hoffmann, stellvertretender Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Umweltkriminalität beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg. | Bild: Landeskriminalamt Baden-Württemberg

„Falsche Polizisten“: Dieser Begriff steht für eine bekannte Betrugsmasche, in der vorwiegend ältere Menschen um Hab und Gut gebracht werden. Die Täter gaukeln ihnen am Telefon vor, ihr Vermögen sei in Gefahr, es könnte bald gestohlen werden. Als „Polizisten“ würden sie ihnen helfen und das Geld in Sicherheit bringen. Dass dem nicht so ist, fällt den Opfern oft erst auf, wenn sie ihr Geld oder ihren Schmuck, zum Beispiel in einer Plastiktüte verpackt, zur Abholung vor die Haustüre gestellt haben. Mit dieser Masche ergaunerten die Täter alleine in Baden-Württemberg im Jahr 2019 eine Summe von rund 14 Millionen Euro. Darin enthalten sind alle über das Telefon eingefädelten Betrugsfälle, wobei die Masche vom falschen Polizisten laut Landeskriminalamt (LKA) für die Täter die höchste Beute verspricht.

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Wie Oliver Hoffmann, stellvertretender Leiter der Abteilung für Wirtschafts- und Umweltkriminalität LKA Baden-Württemberg sagt, gab es in den Jahren 2018 landesweit 10 237 Fälle von Telefonbetrug, und 2019 nahezu doppelt so viele, nämlich 20 382. In vielen Fällen bleibe es beim Betrugsversuch, weil die potenziellen Opfer die Masche (er)kennen und gleich den Telefonhörer auflegen. Alarmierend sei aber, dass die Zahl vollendeter Taten überproportional zunimmt. Sprich: Die Täter versuchen es immer öfter und kommen auch immer öfter zum Ziel. 2018 landeten sie in Baden-Württemberg 700 Coups, 2019 bereits 2500. Die Schadenssumme, so Hoffmann, stieg im gleichen Zeitraum von 11 auf 14 Millionen Euro jährlich.

Hält dieser bedenkliche Trend an? Wie Oliver Hoffmann im Gespräch mit dem SÜDKURIER sagte, könne für das Jahr 2020 keine Entwarnung gegeben werden. „Die Zahlen stabilisieren sich auf hohem Niveau. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass die Schadenssumme auch 2020 noch einmal deutlich steigen wird.“

Christian Sellerbeck, Rechtsanwalt und Berufsbetreuer: „Man kann Menschen im hohen Alter aktiv davor schützen, dass sie von ...
Christian Sellerbeck, Rechtsanwalt und Berufsbetreuer: „Man kann Menschen im hohen Alter aktiv davor schützen, dass sie von Betrügern ausgenommen werden, und dass sie trotzdem ein selbstbestimmtes Leben führen können.“ | Bild: FWV/ÜfA

Profi-Tipps von einem Berufsbetreuer

Christian Sellerbeck ist Rechtsanwalt, arbeitet als Berufsbetreuer, und er lehrt an der Hochschule in Weingarten unter anderem Betreuungsrecht. Er sagt: „Man kann Menschen im hohen Alter aktiv davor schützen, dass sie von Betrügern ausgenommen werden, und dass sie trotzdem ein selbstbestimmtes Leben führen können.“ Wenn Aufklärungsmaßnahmen der Polizei nicht mehr greifen, weil Vergesslichkeit oder Demenz Einzug halten, gibt es mehrere Möglichkeiten, den betreffenden Personen zu helfen. Je nach Einsichtsfähigkeit und Gesundheitszustand gibt es verschiedene Eskalationsstufen.

LKA-Ermittler: Größtes Risiko für Täter vor Ort

„Komisch“ findet Oliver Hoffmann, der Ermittler des Landeskriminalamtes schon, dass immer wieder jemand auf die Betrüger hereinfällt. Er weist allerdings auf den hohen Druck hin, den die Täter auf ihre Opfer ausüben. Manche riefen 50, 60 oder 70 Mal an, so dass der eine oder andere sich einfach nicht mehr anders zu helfen weiß als nachzugeben.

Einfallstor für die Betrüger ist vor allem der eigentlich lobenswerte Umstand, dass der Polizei gegenüber hohes Vertrauen herrscht. Die echte Polizei möchte natürlich auch, dass an diesem Vertrauen nicht gekratzt wird, und entwickelt schon aus Eigenschutz einen hohen Ermittlungsdruck.

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Es sei aber schwierig, an die Hintermänner heranzukommen. Sie säßen oftmals in so genannten „Callcentern“ in der Türkei, von wo aus sie mit falsch eingespielten Rufnummern den Kontakt zu ihren Opfern aufnehmen. In Deutschland seien „Keiler“ oder „Logistiker“ unterwegs, die jene anwerben, die wiederum die „Abholer“ vor Ort beauftragen. Die Abholer sind die, die die Beute beim Opfer abholen und dafür eine vergleichsweise kleine Provision erhalten. Während die Hintermänner Millionen scheffeln, lassen sich die Abholer mit ein paar hundert bis 1000 Euro abspeisen, tragen zugleich aber das größte Risiko verhaftet und zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt zu werden.

Prozess gegen Keiler und Abholer

Beim Prozess, der am Freitag in Konstanz beginnt, sitzen Abholer und Keiler auf der Anklagebank, nicht aber die Hintermänner aus den Callcentern. Den Bandenchefs könne man kaum habhaft werden, weil die Zusammenarbeit mit der Polizei in Staaten wie der Türkei nicht immer klappt. Hoffmann: „Man beachte die politisch teils schwierigen Verhältnisse. Da wird Kärrnerarbeit auf höchstem diplomatischem Parkett geleistet.“

Wichtig: Richtig auflegen

Die Polizei ermittelt und beugt vor. Bloß: Ihre Aufklärungskampagnen erreichen nicht jedes potenzielle Opfer. Der LKA-Ermittler appelliert deshalb an die jüngeren, auf ihre (Groß-)Eltern zu achten und mit ihnen immer wieder zu besprechen, was zu tun ist, wenn komische Anrufe kommen. Die oberste Regel laut Hoffmann lautet: Den Telefonhörer sofort auflegen – und dann die Polizei unter 110 anrufen. Bei abgehörten Telefonaten habe man schon Fälle erlebt, bei denen die Betrüger ihre Opfer dazu ermuterten, die 110 zu wählen und sich nach der Richtigkeit zu erkundigen. Dann sei das Telefonat in Wahrheit gar nicht unterbrochen worden, das Opfer landete also wieder beim Betrüger, der ihm vorgaukelte, dass er bei der richtigen Polizei sei und alles seine beste Ordnung habe. Was also tun? Den Hörer ganz bewusst auflegen und am besten zuerst jemanden anrufen, dessen Stimme man kennt.

Und wie verhindert man, dass man überhaupt angerufen wird? Laut Hoffmann werden die meisten Opfer ganz einfach aus dem Telefonbuch gefischt. Wer Ingeborg, Gisela oder Erna heißt, lässt am besten den Eintrag im Telefonbuch ändern, und heißt fortan nur noch I., G. oder E.