Kaum ist in den Schulalltag wieder etwas Normalität zurückgekehrt, stehen schon wieder die Sommerferien an. Normal werden diese in diesem Jahr aber nicht – weder für die Schüler, die in den vergangenen Monaten fast ausschließlich zuhause geblieben sind, noch für Lehrer und Schulleiter. Neu in diesen Sommerferien sind die „Lernbrücken„, die dabei helfen sollen, nach den Corona-Monaten den Anschluss nicht zu verpassen. Ob das gut ist, ob das hilft, ob die Ferien nicht nur zur Erholung da sind? Die Meinungen gehen stark auseinander.
Realschule Überlingen: „Wir sind dabei“
Für Karin Broszat ist die Lernbrücke die „richtige Entscheidung“. Die Schulleiterin der Realschule Überlingen findet es wichtig, dass das Land für die Sommerferien aktiv geworden ist. Sie berichtet, dass die Bereitschaft von vier bis fünf Lehrern, die individuelle Förderung zu übernehmen, da sei. Spontan hätten diese sofort gesagt: „Wir sind dabei.“
Die Schwierigkeit liege nun an der kurzfristigen Umsetzung, der Teufel liege da im Detail. „Die Organisation ist aktuell eine extreme Herausforderung, weil viele andere Dinge wie zum Beispiel die Organisation der Zeugnisse parallel laufen müssen“, sagt Broszat.
Große Fragen nach den Sommerferien
Was die Ferien betrifft, erklärt Broszat trotz der „Corona-Pause“ in den vergangenen Monaten: „Die Schule bietet außer den Lernbrücken nichts an. Ferien sind Ferien.“ Im kommenden Schuljahr stehen dann, wie Broszat erklärt, drei große Punkte auf der Agenda: Erstens: Was muss, und auch was nicht, inhaltlich nachgeholt werden – vor allem in den Fächern Mathematik und Fremdsprachen? Zweitens: Wie müssen wir technisch ausgestattet sein für das neue Schuljahr? Drittens: Welche Fortbildungsangebote wird es für die Lehrer geben? Generell, so die Schulleiterin, müsse man starten und dann schauen, was zu tun ist: „Als Schule werden wir uns besinnen.“
Bildungszentrum Salem: Die Infrastruktur fehlt
Die Lernbrücke ist für Bettina Schappeler ein denkbares Modell, um auf die Benachteiligung von Schülern zu reagieren. Die Schulleiterin der Salemer Gemeinschaftsschule sieht aber eine Problematik darin, innerhalb von zwei Wochen in einem zentral gesteuerten Programm auf individuelle Lernlücken gezielt und nachhaltig einzugehen. Als problematisches Beispiel nennt sie den Unterricht mit einem fremden Lehrer an einem fremden Schulstandort.
Für das Programm hätten sich in Salem durchaus Schüler angemeldet. Sie hoffe, dass die Motivation auch am 31. August noch vorhanden ist. Für die Umsetzung gebe es noch offene Punkte: Lehrerkapazität, Schulstandorte, Bustransfer, Lernerfolg, Verantwortung vor Ort. „In den Ferien ist eben kein Regelbetrieb, es fehlt also auch die Infrastruktur.“
Bisher schon individuell in den Ferien gelernt
Die Ferien sollen nun – wie immer in Salem – in besonderen Fällen oder bei dringendem Bedarf für individuelles Arbeiten zuhause genutzt werden. Dafür würden die Lehrer Material zur Wiederholung zur Verfügung stellen. „Unsere hauseigene Lernplattform Salem Connected dient hier als Kommunikationsort“, so Schappeler. Schüler ohne digitale Möglichkeit würden das Lernpaket in Papierform mit nach Hause bekommen. „Wir haben auch bereits begonnen, rund 30 Schüler mit PC‘s auszustatten.“
Nach den Ferien hofft die Schulleiterin auf Regelbetrieb: Die personelle Situation lasse dies in Salem zu. Schappeler schätzt die Stärkung der Rolle von Jahrgangsstufenteams, die in Salem bereits in das Schulkonzept gehören. Jahrespläne und Stoffverteilungspläne würden eng miteinander abgesprochen und verzahnt. Zudem würden Übergabegespräche stattfinden, sodass die Lehrer gut anknüpfen können. Das erste Lern-Entwicklungsgespräch finde im November statt. In den Orientierungsstufen fünf und sechs seien Förderstunden eingerichtet worden. Außerdem soll in der zehnten Klasse den Hauptfächern mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Droste-Hülshoff-Gymnasium Meersburg: Gut für Schüler mit gravierenden Lücken
Die Lernbrücke ist laut Philipp Strack, Schulleiter des Meersburger Gymnasiums, für die Schüler gedacht, die sich mit mehreren Baustellen, sprich mit gravierenden Lücken herumschlagen müssen „Dafür macht es meiner Einschätzung nach Sinn.“ Eine Herausforderung sei die Organisation in kürzester Zeit, vor allem auch hinsichtlich des zu akquirierenden Personals.
Die Lehrkräfte werden zudem Übergabegespräche führen und hinsichtlich des Lehrplans eng abstimmen. „Es wird in den Ferien keine sonstigen, von der Schule organisierten Nachhilfen geben“, erklärt Strack.
Nach den Ferien immer noch keine Chormusik
Im neuen Schuljahr werde schwerpunktmäßig Präsenzunterricht im Klassenverband und eingeschränkte Zusatzangebote wie Hausaufgabenbetreuung angeboten. „Das tut vor allem den Musikern bei einer Schule mit Musikprofil weh, weil es kein jahrgangsübergreifenden Chor geben kann“, so Strack. Außerdem erwarten die Schüler vereinheitlichte Tools für den Fernunterricht und Leihgeräte aus dem Sofort-Ausstattungsprogramm.
Die Bücher werden am Schuljahresende prinzipiell zurückgegeben. „Für die Fremdsprachen und zum Teil auch für Deutschbücher erwerben wir gerade Lizenzen für die E-Book-Nutzung“, berichtet der Schulleiter. Andere Bücher können auf Wunsch für die Ferien ausgeliehen werden.
Sommertalschule Meersburg: Kein Kollege hat sich angemeldet
Bei den Lehrern sei für die Lernbrücke keine Bereitschaft mehr da. Kein einziger Kollege habe sich bei Tanja Fäßler für das Lernprogramm in den Ferien angemeldet: „In den Oster- und Pfingstferien waren die Lehrer ständig in der Notbetreuung aktiv. Sie haben auch das Recht auf ihren Urlaub“, erklärt die Schulleiterin. Generell zweifelt sie das Lernprogramm an: „Ich glaube nicht, dass es der richtige Weg ist. Ich hätte eine zusätzliche Förderung im neuen Schuljahr besser gefunden.“
Schulamt muss gegebenenfalls anordnen
Fäßler ist überzeugt, dass zusätzliche Stunden neben dem Alltag gut untergebracht hätten werden können. „In meinen Augen hätte man da gezielter arbeiten können“, sagt sie. Weil nun keine Bereitschaft ihrer Lehrer da sei, müsse das Schulamt als Organisator abklären, ob in Meersburg die Lernbrücke angeboten wird. „Das weiß ich nicht“, sagt Fäßler.
In den Sommerferien gibt es ansonsten keine zusätzlichen Angebote. „Die Lehrer haben die Einzel- und Notbetreuung in den vergangenen Monaten sehr gut gemacht“. Jetzt hoffe man einfach, dass ab September wieder täglicher Unterricht stattfinden kann, der alle Fächer abdecke. „Das normale Programm, das wünschen wir uns natürlich.“ In der Planung müsse man sich aber auf drei Szenarien einstellen: Präsenz- oder Fernunterricht sowie das rollierende System. „Das ist eine enorme Herausforderung“, so die Schulleiterin.
Gemeinschaftsschule Überlingen: Interesse bei Eltern und Lehrkräften
„Es geht gerade hoch her im Endspurt eines besonderen Schuljahres„, berichtet Jürgen Mattmann, Schulleiter der Gemeinschaftsschule. „Lernberichte werden geschrieben, Zeugnisse erstellt, mündliche Prüfungen und Konferenzen laufen noch.“ Gleichzeitig erreiche die Schule aber beinahe täglich neue Aufgaben und Hinweise, die für das neue Schuljahr berücksichtigt werden müssen. Für Mattmann und seine Lehrer bedeute dies: Hochsaison.
Die Grundidee der Lernbrücke ist seiner Meinung nach angemessen und wertvoll. Die Vorbereitung und Umsetzung sei allerdings eine komplexe Herausforderung. „Der Erfolg wird sich zeigen“, so der Schulleiter. Es gebe konträre Haltungen, aber es bestehe durchaus Interesse bei Eltern und Lehrkräften. „Es gibt bei uns Anmeldungen“, berichtet Mattmann.
Erwünscht: Eine „ordentliche Pause“
In den Ferien benötigen die Schüler und Lehrer aus seiner Sicht jetzt dringend „eine ordentliche Pause. Bei uns wird es keine sonstigen Angebote geben. Wir alle hoffen, dass sich unsere Schüler wieder auf regelmäßigen und durchgehenden Präsenzunterricht freuen können.“
Gymnasium Überlingen: Im Rahmen der Kapazitäten
Im Rahmen der Kapazitäten beteiligt sich das Gymnasium an der Lernbrücke – in den Fächern Deutsch und Mathematik sowie in stark reduzierter Weise in Englisch. „Wir bieten in den letzten beiden Ferienwochen voraussichtlich eine Lerngruppe mit maximal 16 Schülerinnen und Schülern an“, so Hans Weber.
Dabei möchte das Gymnasium Schülern, die in den letzten Monaten signifikant schlechter zurechtgekommen sind und deshalb gravierende Defizite in den Basiskompetenzen aufweisen, die Gelegenheit geben, gezielt an Lernschwierigkeiten zu arbeiten. Die Schule bemühe sich, interessierten Schülern einen Platz zu ermöglichen.
Im nächsten Schuljahr: Defizite aufarbeiten
Unabhängig von der Lernbrücke würden im neuen Schuljahr vornehmlich in den Hauptfächern Defizite aus dem jetzigen Schuljahr nachgearbeitet. „Diese Phase wird etwa bis zu den Herbstferien dauern“, berichtet Weber. Während des gesamten Schuljahres würden aber gegebenenfalls weiterhin Themen vertieft oder nachgearbeitet. Außerdem werde es in Deutsch, Mathematik und den modernen Fremdsprachen Unterstützungsangebote zusätzlich zum Fachunterricht in einzelnen Jahrgangsstufen geben.