Wir leben in einer Welt mit multiplen Krisen. Globale Phänomene haben Auswirkungen hier vor Ort. Stichwort Gas- und Energiepreise. Das beschäftigt viele Menschen. Wie können Sie als OB diesen Sorgen der Überlinger begegnen? Können Sie überhaupt irgendetwas tun?
Der Oberbürgermeister von Überlingen ist – im Wechsel mit dem OB von Friedrichshafen – auch Aufsichtsratsvorsitzender des Stadtwerks am See. Wir haben die Aufgabe, das Stadtwerk als lokalen Versorger gut durch eine schwierige Zeit zu bringen. Für unsere Bürgerschaft sind die Energiepreise ein großes Thema. Ziel ist es, das Unternehmen so aufzustellen, dass es nicht in die Gefahr von wirtschaftlichen Schwierigkeiten gerät und den Versorgungsauftrag zuverlässig erfüllen kann. Ob wir am Ende eine Entlastung für die Verbraucher schaffen können, prüfen wir ständig.

Die Energieversorgung ist das eine. Gibt es andere Bereiche, wo Sie den Überlingern beistehen können, auf menschlicher Ebene, zur Bewältigung allgemeiner Krisen?
Als Kommune befinden wir uns seit geraumer Zeit in einem permanenten Krisenbewältigungsmodus. Die Bewältigung der Flüchtlingsunterbringung ist ein Dauerthema, das uns sehr fordert. Wir haben auch die Tafeln im Blick. Bezogen auf die weltpolitische Situation ist man als Kommunalpolitiker mit seinen Einflussmöglichkeiten leider eingeschränkt. Aber wir versuchen, durch Stabilität ein Umfeld zu schaffen, das es den Menschen ermöglicht, in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld relativ sorgenfrei zu sein. Dass das schwierig ist, merken wir jeden Tag.
In Ihrer Weihnachtsbotschaft an die Bürger beschreiben Sie 2022 als ein Jahr, in dem die Pandemie ausklingt, aber weitere Krisen sich überlagern. Wir gut hat Überlingen diese multiplen Krisen bisher bewältigt?
Überlingen ist sehr gut durch die vergangenen drei Jahre gekommen. Es gelingt uns immer noch, der Unterbringungsverpflichtung für Flüchtlinge gegenüber dem Landkreis nachzukommen. Wir sind unter pandemischen Gesichtspunkten mit wirklich guten Lösungen durch die Krisen gekommen, ich denke da an die Umsetzung der Corona-Verordnungen und an die gemeinsamen Impfaktionen mit dem Helios-Spital. Wir können mit großer Dankbarkeit auf die Bewältigung der Corona-Krise in Überlingen blicken. Auch wenn dies ein höheres Maß an Belastungen für die Bürgerschaft und die Stadtverwaltung brachte. Die ursprünglich städtischen Aufgaben sind ja weiterhin zu bearbeiten. Die städtische Entwicklung darf nicht Halt machen, sonst entwickelt sich die Stadt nicht so zukunftsorientiert, wie wir uns das wünschen. Ich bin sehr stolz darauf, dass unsere Belegschaft das in den letzten drei Jahren so gut bewältigt hat. Auch dank einer engagierten und sich einbringenden Bürgerschaft.

Wie hat sich Ihre tägliche Arbeitsbelastung dadurch verändert? Haben Sie schlaflose Nächte oder Überstunden gebuckelt?
Als Wahlbeamter hat man einen regelmäßigen Wochenablauf von sechs bis sieben Tagen, das ist nur schwer vorstellbar. Krisenmodus heißt immer, dass es zusätzliche Gremienarbeit gibt. Der Stab für außergewöhnliche Ereignisse tagte phasenweise drei Mal pro Woche, inzwischen noch einmal pro Woche. Nehmen Sie das Beispiel Beschaffung von Flüchtlingsunterkünften. Wir haben über 70 externe Objekte angemietet, weil wir keine eigenen Kapazitäten haben. Zum Vergleich: 2018 waren es nur 28 Objekte. Oder schauen Sie auf die Funktion im Stadtwerk. Sie wird intensiver. Ich bekomme monatlich einen Risikobericht der Geschäftsführung, um einschätzen zu können, wie gut wir aufgestellt sind, um durch die Krise zu kommen. Das kam alles hinzu, war sehr herausfordernd und führt auch zu schlaflosen Nächten.
Überlingen ist in der Pandemie immer wieder ein Ort für Demonstrationen. Welches Gefühl gibt es Ihnen, wenn Überlingen im Zusammenhang mit Querdenker- und Corona-Demonstrationen auf der Landkarte erscheint. Überlingen steht damit nicht nur für die Landesgartenschau, sondern regelmäßig auch für diese Bewegung.
Da möchte ich zunächst die Rolle der Stadtverwaltung hervorheben. Wir sind Ordnungsbehörde, die Veranstaltungen werden bei uns angemeldet, mit notwendigen Auflagen belegt und bestenfalls genehmigt. Das ist ein Bestandteil der grundgesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit. Ich besuche diese Veranstaltungen nicht. Es gibt mir aber ein gutes Gefühl, in einem Staat zu leben, in dem jeder seine Meinung auf Basis einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung kund tun darf. Wenn man die Aufgabe ernst nimmt und die entsprechenden Rahmenbedingungen setzt, hat man mit diesen Veranstaltungen kaum Probleme. Inhaltlich will ich sie gar nicht bewerten, denke aber nicht, dass Überlingen hier so heraussticht, dass wir uns von anderen Städten abheben. Wir gehen professionell damit um.