Der Herbst ist da, in Garten-, Bau und Supermärkten liegt wieder Vogelfutter in den Regalen. „Spätestens jetzt ist der richtige Zeitpunkt, mit dem Füttern zu beginnen“, sagt Ornithologe Peter Berthold. „Wer erst zwei Wochen vor Weihnachten daran denkt, ist definitiv zu spät“, so der Professor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Radolfzell. Denn die Vögel müssten eine neue Futterstelle erst kennenlernen und akzeptieren. „Die Leute sind dann oft enttäuscht, weil keine Vögel kommen, und stellen das Füttern wieder ein“, weiß Berthold.

„Auf vielen Äckern kriecht kaum noch ein Regenwurm.“
Peter Berthold

Berthold geht noch einen Schritt weiter. Rund um sein Häuschen in Billafingen, wo er ein wahres Vogelparadies geschaffen hat, füttert er das ganze Jahr über, mit Meisenknödeln, Sonnenblumenkernen oder auch mal Mehlwürmern. Bertholds Erkenntnis: Praktisch die gesamte Vogelwelt leidet Hunger – und zwar das ganze Jahr über. Es gebe immer weniger Insekten – „minus 80 Prozent in den vergangenen 30 Jahren“ – und „auf vielen Äckern kriecht kaum noch ein Regenwurm“.

Bis zu 100 Meisenknödel täglich in Bertholds Garten

„Vor allem zwischen März und August brauchen Vögel enorm viel Energie“, erläutert Berthold: Im Morgengrauen singen, balzen, Konkurrenten vertreiben, Nest bauen, Futter für die Jungen suchen. „Die müssen dann unendlich viel fliegen“, so Berthold. „Und dafür brauchen sie Sprit – in dem Fall Fett.“ Das belegt auch Bertholds Erfahrung im eigenen Garten. Dort verfüttert er um Ostern herum manchmal 100 Meisenknödel am Tag, um Weihnachten sind es gerade mal drei bis fünf.

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Doch wie füttert man Vögel eigentlich richtig? Darüber sind sich Vogelkundler längst nicht einig. Die meisten Zug- und Singvögel sind schließlich Insektenfresser. Und die erreiche man mit dem üblichen Körnerfutter nicht, heißt es etwa vom Nabu Baden-Württemberg. Dies komme vielmehr Meisen oder Spatzen zugute, die nicht bedroht seien. Gefährdete Arten dagegen, etwa Rotkehlchen, Zaunkönig, Schwalben oder Grauschnäpper – allesamt Insektenfresser –, erreiche man so nicht.

Expertenstreit zum Für und Wider des Fütterns

Zudem bestehe im Sommer eine erhöhte Infektionsgefahr durch verkotete Futterstellen, so die offizielle Nabu-Meinung. Hierauf wird etwa das Grünfinkensterben zurückgeführt. Und während der Jungvogelzeit solle man lieber ganz auf Körner, Fettfutter oder getrocknete Insekten verzichten, da die Jungen an den Brocken sterben könnten.

„Eigentlich können wir gar nicht genug füttern.“
Peter Berthold

Berthold entgegnet den Kritikern vom Nabu: „Die Altvögel sind schlau. Sie nehmen das Fett für sich und geben die Insekten den Jungen.“ Er hat darüber auch ein Buch geschrieben: „Vögel füttern, aber richtig“. Für den Ornithologen geht es zudem immer weniger um einzelne Arten, sondern das Überleben der Vogelwelt insgesamt. „Etwa die Hälfte unserer Brutvögel steht mittlerweile auf der Roten Liste“, so der Forscher. Und viele Arten nähmen dramatisch ab, ob Stare, Haus- oder Feldsperlinge. „Irgendwann wird dann auch die Kohlmeise auf der Liste stehen.“ Daher „können wir eigentlich gar nicht genug füttern“.

Hartmut Walters Vogelhaus mit Futtersilo: aus Kunststoff zwar, aber eine hygienische Lösung.
Hartmut Walters Vogelhaus mit Futtersilo: aus Kunststoff zwar, aber eine hygienische Lösung. | Bild: Jürgen Baltes

Sogar der Nabu-Vorsitzende füttert ganzjährig

Und wie sieht der Überlinger Nabu-Vorsitzende Hartmut Walter das Ganze? „Ich füttere mittlerweile auch das ganze Jahr über“, sagt der Vogelexperte. Doch der Schwerpunkt liegt für ihn auf dem Winter. An seinem eigenen Vogelhaus bewundert er dann oft Grünfinken, Sperlinge, Kohlmeisen, Sumpfmeisen, Blaumeisen oder auch Buchfinken. Auch Walter ist klar, dass durch Körner- und Fettfutter viele bedrohte Arten kaum erreicht werden, ob Grasmücken, Garten- oder Hausrotschwänze. Für ihn sind das private Füttern und wirklicher Artenschutz aber „zwei paar Schuhe“. Letzterer erfordere wieder mehr Vielfalt auf den Äckern, weniger Pestizide, angepasste Mähtermine oder auch das Belassen von Stoppelfeldern nach der Ernte. Der Nabu kauft sogar selbst Land, um es zu renaturieren.

Vogelfutter und -Häuschen selber machen

Peter Berthold beim Beringen von Vögeln. Im Bild ein Eichelhäher.
Peter Berthold beim Beringen von Vögeln. Im Bild ein Eichelhäher. | Bild: Gabriele Mohr

Ein wichtiger Aspekt des privaten Fütterns sei dagegen „die Freude am Füttern, die die Vogelwelt stärker ins Bewusstsein der Menschen bringt“, so Walter. Schließlich seien Vögel „wichtige Bioindikatoren, die zeigen, wie es um unsere Umwelt wirklich steht“. Wobei jeder auch im Kleinen mehr Lebensraum für Vögel, Insekten und sonstige Kleintiere schaffen könne. Denn dass die Lösung nicht mehr Meisenknödel in ansonsten toten Vorgärten sind, darüber sind sich die Experten einig.

Auch in kleinen Gärten kann man viel zum Überleben beitragen

Bertholds und Walters Gärten etwa stehen voller samenbildender Kräuter. Und selbstverständlich bleiben die Samenstände von Sonnenblumen, Malven, Nachtkerzen oder Disteln stehen. Sie dienen zur Blühzeit Insekten, anschließend bedienen sich Vögel an den Samen. Auch einheimische Sträucher, ob Weißdorn, Schlehe, Holunder oder die Vogelbeere, bieten reichlich Nahrung. Hinzu kommen Verstecke und Rückzugsorte für die Vögel in immergrünen Pflanzen, ein Insektenhotel oder etwas Totholz. „Selbst in einem kleinen Garten können wir erstaunlich viel tun“, sagt Walter.