Das Handy könnte platzen, das Tempo in der Hosentasche Feuer fangen. Ich solle bloß keinen Synthetikpullover anziehen, denn er könnte die stählerne Kapsel in Brand stecken.

Die Sicherheitsinstruktionen hören sich gruselig an. Wir tauchen ab in 18 Meter Tiefe, in eine fremde Welt, in der die Physik außer Kraft gesetzt wird – und dennoch bleiben wir auf dem Trockenen.

Tiefenrausch in einem sicheren Umfeld

Im Keller des Helios-Spitals in Überlingen steht eine Art U-Boot, in dem Tauchgänge simuliert werden. Zum einen therapiert man darin Taucherkrankheiten. Zum anderen führt man Tauchern vor Augen, zu welchem Blödsinn sie fähig sind, wenn sie in einen Tiefenrausch verfallen.

Hermann Spiegel, Abteilungsleiter im BTSV.
Hermann Spiegel, Abteilungsleiter im BTSV. | Bild: Hilser, Stefan

Hermann Spiegel begleitet die Fahrt in den gefühlten Abgrund. Er ist beim Badischen Tauchsportverband (BTSV) zuständig für den Betrieb der Druckkammer. In der zehn Tonnen schweren Röhre kann ein Druck erzeugt werden, wie er in 40 Metern Wassertiefe herrscht. Der Sauerstoffgehalt ist darin so hoch, dass ein kleiner Funke reicht, um die Luft in Brand zu stecken.

Dr. Bernd Witter, Deutsche Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin.
Dr. Bernd Witter, Deutsche Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin. | Bild: Hilser, Stefan

Dr. Bernd Witter, Oberarzt in der Anästhesie am Helios-Spital, der bei Tauchunfällen mit der Kammer therapiert: „Wenn die Druckkammer explodiert, hat das die Kraft einer Fliegerbombe. Unser Westflügel steht dann nicht mehr.“ Doch Spiegel beruhigt: Neulich war erst wieder TÜV-Termin. Die Luken des Stahlkoloss‘ sind also dicht.

Tessen von Glasow, Druckkammerbediener.
Tessen von Glasow, Druckkammerbediener. | Bild: Hilser, Stefan

Außerhalb der Druckkammer bedient Tessen von Glasow die Geräte, Ventile und Überwachungskameras. Er ist ebenfalls Mitglied beim BTSV. Er lässt Druckluft in die Röhre zischen und erzeugt damit einen Druck, den auch Taucher spüren, wenn sie in die Tiefe sinken.

Problemanfällig ist das Trommelfell

Spiegel fordert dazu auf, die Schuhe auszuziehen. Denn Luftpolster in den Schuhen könnten platzen. Überall da, wo auf unserem Tauchgang unterschiedliche Druckverhältnisse aufeinandertreffen, könnte es problematisch werden: in den Ohren beispielsweise.

Die ersten Meter, warnt Hermann Spiegel, sind am kritischsten. Er fordert dazu auf, sofort mit dem Druckausgleich zu starten, weil sich in dieser Phase das Trommelfell nach innen wölbt. Beide kämpfen wir dagegen an, bevor es schmerzhaft würde. Nase zuhalten und pusten. Oder die Nackenmuskulatur spannen. Oder mit dem Kiefer malen. Oder alles zeitgleich. Das sieht aus, wie wenn wir schlechte Tischmanieren hätten.

Tauchen im Trockenen Video: Stefan Hilser

Die Lufttemperatur steigt beim Abtauchen

Beim Abtauchen wird Luft komprimiert. Dadurch wird sie heiß. Aha: Zur Aufregung kommen jetzt auch noch Hitzewallungen. Doch die Fahrt geht immer weiter.

Die Tauchdruckkammer des BTSV steht in Überlingen an einem strategisch günstigen Ort: Hier werden Unfälle aus dem Bodensee behandelt, aber auch Taucher aus anderen Seen in der Schweiz, zum Beispiel aus dem Zürichsee. Verglichen mit der Vielzahl an Tauchern wird die Druckkammer nur sehr selten benötigt. Vielleicht fünf Mal im Jahr. Dann aber sind die ehrenamtlichen Helfer des BTSV sofort zur Stelle, sowie das medizinische Personal des Helios-Spitals.

Hermann Spiegel und Stefan Hilser in der Druckkammer, sie stehen unter einem Druck von bis zu 2,8 Bar und machen hier den Druckausgleich.
Hermann Spiegel und Stefan Hilser in der Druckkammer, sie stehen unter einem Druck von bis zu 2,8 Bar und machen hier den Druckausgleich. | Bild: Julia Stapel

Geschätzte 80.000 Tauchgänge im Überlinger See

Es gibt keine Statistik, doch schätzen Taucher und Wasserschutzpolizei, dass im Überlinger See, dem laut Spiegel schönsten Revier im Bodensee, jährlich etwa 80.000 Tauchgänge unternommen werden. Hier fällt der See rasch in die Tiefe – für Taucher ist das ein berauschendes, aber auch gefährliches Erlebnis.

Tauchunfälle passieren dann, wenn die Sportler zu schnell auftauchen. Wenn sie die sogenannten Dekompressionsphasen missachten, kann es zu verschiedensten Symptomen kommen, zu Hautreizungen, Lähmungen, Nervenschädigungen.

Therapie für Taucher in 18 Metern Tiefe

Die Therapie in der Druckkammer verläuft in Zyklen von jeweils zwei Stunden, teils vier Mal in Folge. Ärzte und Betreuer können die Druckkammer über eine Schleuse erreichen. Wie Bernd Witter erklärte, werden die Patienten auf eine simulierte Tiefe von 18 Metern gesetzt. Der Druck liegt hier bei 2,8 bar, also fast dreimal so viel wie auf Meereshöhe.

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Sauerstoff in dieser Dosis sonst toxisch

Die Patienten atmen über eine Maske komprimierten, reinen Sauerstoff ein. Sie erhalten somit eine Dosis, die unter normalen Bedingungen toxisch wäre. Dabei werde das Gehirn der Patienten so mit Sauerstoff vollgepumpt, dass sie 15 Minuten lang ohne Hirnschädigungen überleben könnten. Dr. Witter: „Der Trick ist es nicht, den Stickstoff klein zu drücken. Vielmehr waschen mir mit dem Sauerstoff den Stickstoff aus dem Körper aus.“

Unsere Probefahrt endet in 18 Metern Tiefe

Auch unser Tauchgang mit Hermann Spiegel führt in 18 Meter. Nach rund vier Minuten kommen wir hier an. Doch was ist das? Ich spreche so wie Micky Maus. Spiegel erklärt: „Ihre Stimmbänder stehen so unter Druck, dass die Tonhöhe steigt.“ Gleichzeitig wird die Luft so dick, dass das Atmen schwerer fällt. „Man sieht es Ihnen an, Sie müssen beim Atmen mehr Arbeit leisten“, kommentierte Tessen von Glasow, der weiterhin die Situation von außen überwacht, über Videokameras, Bullaugen und Mikrophon mit uns verbunden ist.

Alles in Ordnung: SÜDKURIER-Reporter Stefan Hilser in der Druckkammer am Helios-Spital in Überlingen, die dem BTSV gehört.
Alles in Ordnung: SÜDKURIER-Reporter Stefan Hilser in der Druckkammer am Helios-Spital in Überlingen, die dem BTSV gehört. | Bild: Julia Stapel

Wann setzt der Tiefenrausch ein?

Jetzt aber die Frage, was passieren würde, wenn wir weiter in die Tiefe glitten? Hermann Spiegel begleitet Seminare in 40 Meter Tiefe, wo die Gefahr eines Tiefenrauschs extrem groß ist. Sie beginnt schon bei 20 bis 25 Metern.

„Der im Blut gelöste Stickstoff verändert das zentrale Nervensystem und bremst es aus, ähnlich wie Alkohol“, erklärt Hermann Spiegel. So steigt die Risikobereitschaft der Taucher, ihre Stimmung ist gelöst. „Man redet mehr, macht Witze, mit unseren Mickymausstimmen singen wir. Da herrscht eine gelöste Stimmung.“

Einfachste Aufgaben nicht lösbar

Den Teilnehmern im Tiefenrausch werden dann einfache Aufgaben gestellt. 8 + 4 – 5? Sieben wäre richtig – die Teilnehmer jedoch schreiben die absurdesten Ergebnisse auf Zettel, die ihnen anschließend präsentiert werden. Wer das selbst einmal erlebt hat, kann bewusster auf seinen Tauchpartner achten und erkennen, wenn jemand in der Tiefe Mist baut. Tessen von Glasow: „Manchmal muss man seinen Tauchbuddy dann bewusst anfassen und nach oben ziehen.“

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Auch unser Abenteuer in der Tiefe endet. Fertig zum anblasen, würde es in einem U-Boot heißen. Die Stimmbänder entspannen sich, so auch die Luft, die jetzt stark auskühlt. In der Druckkammer bildet sich Nebel, mich friert – womit sich diese Trockenübung noch ein bisschen echter anfühlt.

Hintergrund zur Recherche: Für die Fahrt in der Druckkammer in bis zu 18 Metern Tiefe war eine erfolgreiche Tauchtauglichkeitsprüfung nötig, in der Herz- und Lungenfunktion überprüft wurden. Eine Fahrt in größere Tiefen wurde dem Autor nicht gestattet. Hier lässt der BTSV nur Teilnehmer mit einem Tauchschein und Erfahrungen als Taucher in entsprechenden Tiefen zu.