Seit März saß er in der forensischen Abteilung des Zentrums für Psychiatrie. Seitdem kam es in der Altstadt von Überlingen zu keinen nächtlichen Angriffen auf Autos mehr. Zumindest nicht in der Vielzahl, die es zuvor gegeben hat. Sie sollen auf das Konto eines 45-jährigen Mannes gehen, bei dem ein psychiatrischer Gutachter paranoide Schizophrenie diagnostizierte. Obwohl der Prozess gegen ihn noch läuft, ließ das Landgericht den 45-Jährigen mittlerweile frei.

Der 45-jährige Mann aus Überlingen soll zwischen Januar 2022 und seiner Festnahme im März dieses Jahres 75 Autos beschädigt haben, indem er sie zerkratzte, mit Flüssigkleber besprühte oder ihre Schlösser verstopfte. Auf das Konto des Mannes sollen noch weitere Taten gehen, Beleidigung und versuchte Körperverletzung.

Zum Schutz der Allgemeinheit wurde er weggesperrt

Nach seiner Festnahme im März wurde er zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Taten in das ZfP Reichenau gebracht. Am Landgericht Konstanz lief am 20. September der Prozess gegen ihn an. Ziel der Anklagebehörde ist es, ihn dauerhaft – bis zu einer erfolgreichen psychiatrischen Behandlung – in der Forensik unterzubringen.

Doch bereits am Ende des ersten Verhandlungstages ließ die dritte Strafkammer des Landgerichts Konstanz den 45-Jährigen frei. Die Anordnung zur vorläufigen Unterbringung wurde aufgehoben. Damit konnte er, der in Zusammenhang mit dem Namen „Hans“ bekannt geworden ist, den Gerichtssaal als freier Mann verlassen.

Noch keine Aussage über seine mögliche Täterschaft

Der Prozess wird fortgesetzt. Es ist unklar, ob im Urteil eine Unterbringung angeordnet wird. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hält es das Gericht für „unverhältnismäßig“, ihn weiter festzuhalten. Auch mit Blick auf die Schwere der Tat – immerhin handelt es sich nur um Sachbeschädigungen. Eine Aussage, ob das Gericht den Mann für den Täter hält, ist mit der Freilassung noch nicht getroffen.

Die Kammer begründet ihren Schritt damit, dass gegen den Mann bereits eine Anordnung zur Unterbringung besteht. Das hört sich paradox an. Aber tatsächlich wurde der Mann im Jahr 2020 für eine Serie von zerkratzten Autos, die er gestanden hat, zur Unterbringung in der Psychiatrie verurteilt – allerdings zur Bewährung.

Gutachter erwartet vom 45-Jährigen weitere Taten

Wie ging es nach dem ersten Prozess weiter? Nach jetziger Feststellung des psychiatrischen Gutachters habe der 45-Jährige die ihm auferlegten Therapien und Behandlungen nie ernsthaft begonnen. Er leide, unverändert zum Stand von 2020, weiterhin unter einer paranoiden Schizophrenie. Es sei also durchaus zu erwarten, so der Gutachter, dass der 45-Jährige bald wieder Autos im Wahn zerkratzt, wenn er auf freien Fuß käme.

Rechtsanwalt David Schneider-Addae-Mensah verteidigt den 45-Jährigen. Er sieht sich in der Freilassung seines Mandanten bestätigt.
Rechtsanwalt David Schneider-Addae-Mensah verteidigt den 45-Jährigen. Er sieht sich in der Freilassung seines Mandanten bestätigt. | Bild: Hilser, Stefan

Schutz der Öffentlichkeit zählt in diesem Fall weniger

Der Schutz der Öffentlichkeit, beziehungsweise ihrer Autos, wiegt für das Gericht nun aber weniger stark als die individuellen Freiheitsrechte des 45-Jährigen. Laut einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs wäre eine doppelte Unterbringung illegal. Bei einem Strafverfahren können Einzelstrafen summiert werden. Im Unterbringungsverfahren, so erklärte es Presserichterin Mirja Poenig, gehe es dagegen ausschließlich um die Therapierbarkeit des Angeklagten.

Nachdem das Landgericht bereits 2020 feststellte, dass der Mann eine Therapie benötigt, könne die Staatsanwaltschaft nun beantragen, dass diese Entscheidung vollstreckt wird. Sprich: Dass die Bewährung widerrufen wird. Ihn „vorsorglich“ im zweiten Verfahren so lange zu sichern, bis möglicherweise die Entscheidung aus dem ersten Verfahren umgesetzt wird, sei jedenfalls nicht gestattet, erklärte Poenig.

Das könnte Sie auch interessieren

Staatsanwalt verzichtet auf Beschwerde gegen Freilassung

Die Staatsanwaltschaft werde im aktuellen Verfahren keine Beschwerde einlegen, sagte Pressestaatsanwalt Andras Mathy. Im Gegensatz dazu hatte die Staatsanwaltschaft vorläufig per Beschwerde eine Freilassung des Verdächtigen Robert S. verhindert, der im Fall des Tötungsdelikt an Jasmin M. in Untersuchungshaft sitzt. Mathy zum Fall des mutmaßlichen Autokratzers: „Wir versprechen uns mehr Erfolg, wenn wir im alten Verfahren versuchen zu erreichen, dass er möglichst schnell wieder ins ZfP kommt.“ Deshalb habe die Staatsanwaltschaft mittlerweile eine Aussetzung der Bewährung beantragt, beziehungsweise einen Sicherungshaftbefehl.

Rechtsanwalt David Schneider-Addae-Mensah, der Verteidiger des 45-Jährigen, war von der Freilassung überrascht, sieht sich aber bestätigt. Er sei mit einem Haftprüfungsantrag vor dem Landgericht im Juni abgeblitzt, nun aber habe das Gericht „eine Kehrtwende“ hingelegt. Sein Mandant habe noch am Abend seine Sachen im ZfP gepackt und sei dann zurück nach Überlingen gefahren.