Zu einem unpassenderen Zeitpunkt hätte die schlechte Nachricht kaum kommen können. Am 8. Mai war mit Zoppo der erste Pionier der Waldrapp-Generation 2017 an den Bodensee zurückgekehrt. Er war vor drei Jahren von Hödingen in Richtung Winterquartier in der Südtoskana abgereist. Einen Tag später brachte ihn seine Ziehmutter Anne-Gabriela Schmalstieg, die damals mehrere Monate in der Voliere mit den Tieren verbracht hatte zu einem vorbereiteten Brutplatz bei Goldbach. Inzwischen hat sich ein ganzes Quintett der mitteleuropäischen Ibisvögel mit dem krummen Schnabel hier eingefunden und ist regelmäßig im Naturschutzgebiet Schwarzer Graben westlich von Salem-Weildorf zu beobachten.
Montalcino hat in die Schweiz abgedreht
Nach dem mutigen Zoppo sind nacheinander die Weibchen Bonsi (10. Mai, geb. 2018) und Sky (12. Mai, geb. 2018), dann die Dame Eduardo (18. Mai, geb. 2017) und zuletzt das Weibchen Gringo (11. Juni, geb. 2018) nach einer mehr oder weniger zielstrebigen Reise über die Alpen durch die Schweiz und teilweise Frankreich hier eingetroffen. Nur für einen Tag zu Gast war vor einer Woche Montalcino, die wieder über den See in die Schweiz abgedüst ist. Wer die Tiere nicht mit dem Fernglas oder der Kamera erwischt, der kann mit der App Animal Tracker des Max-Planck-Instituts zumindest ihre Spuren verfolgen.
Ablehnung trotz guten Verlaufs des Projekts
Die Freude des österreichischen Projektleiters Johannes Fritz, damit nach den Flugrouten zu den ersten beiden Brutgebieten tatsächlich eine zweite westlich gelegene Achse nachgewiesen zu haben, ist allerdings getrübt durch eine zweite Absage aus Brüssel, das EU-Life-Projekt weiter zu fördern. Ausgerechnet jetzt, wo der Erfolg der menschengeleiteten Migration zum ehemaligen Brutgebiet am Bodensee sichtbar war, treten die Förderer auf die Bremse. „Seit kurzem wissen wir, dass auch der zweite LIFE-Projektantrag für eine Fortführung des Waldrapp-Wiederansiedlungsprojekts abgelehnt wurde“, schreibt Fritz, dessen Planung von Corona ebenfalls durcheinander gewirbelt wurde. „Ironischer Weise passiert das zu einer Zeit, wo wir uns einen besseren Verlauf des Projektes gar nicht wünschen können.“ Denn nahezu planmäßig sind mehrere Tiere mit einigen Pausen und Irrungen an den Ort ihrer Kinderzeit zurückgekehrt, wo sie vor drei oder zwei Jahren fliegen gelernt hatten. Die verschiedenen Reisebeschränkungen verhinderten allerdings die gewohnte Fortsetzung des Konzepts. Eine künstlicher erster Brutplatz wartete schon auf den Wiesen bei Goldbach. Doch dazu braucht es Betreuungs- und Begleitpersonal.
Mehr als 30 Küken in Burghausen und Kuchl erwartet
In den beiden ersten Brutgebieten Burghausen (Bayern) und Kuchl (Land Salzburg) seien indessen trotz der erheblichen Corona-Einschränkungen beim Management mehr als 30 Küken zu erwarten. „Fünf Brutpaare brüten erstmals in den Nischen des Konglomeratfels in Kuchl“, berichtet Fritz. Neben den bereits eingetroffenen fünf Vögeln der neu gegründeten Überlinger Brutkolonie befanden sich vor wenigen Tagen noch fünf weitere Vögel bereits nördlich der Alpen und möglicherweise auf dem Weg. „Dies übertrifft unsere Erwartungen bei weitem“, betont der Biologe, „und macht uns zum ersten Projekt weltweit, dem es gelungen ist eine Zugvogelart wieder zum Migrieren zu bringen und zwei distinkte Zugtraditionen zu gründen.“
Begründung der Ablehnung für Fritz schwer nachvollziehbar
Life und Natura 2000 seien wohl das größte und erfolgreichste Natur- und Artenschutzprogramm der Gegenwart, räumt Johannes Fritz in seiner Presseinformation ein: „Es ist eine wichtige und zukunftsweisende Initiative der Europäischen Gemeinschaft, davon sind wir nach Umsetzung unseres ersten Life+-Projektes überzeugt.“ Eine kritische und objektive Evaluierung der Anträge sei ein wichtiges Kriterium für den Erfolg, betont Fritz. Die kürzlich erfolgte neuerliche Ablehnung des Antrages aufgrund finanzieller und organisatorischer Kritik sei „aber schwer nachvollziehbar, zumal die Maßnahmen und Ziele des Projektes beide Male positiv bewertet wurden“.
Vorzeitiges Ende des Projekts hätte vermutlich Aussterben zur Folge
Die Überlebenschancen der neu gegründeten Population sind aus Sicht des Biologen gut. „Das Ziel einer selbständig überlebensfähigen europäischen Population ist realistisch, allerdings nur wenn Management und Auswilderung noch über mehrere Jahre fortgesetzt werden.“ Ein vorzeitiges Ende des Projektes zum jetzigen Zeitpunkt würde dagegen mit hoher Wahrscheinlichkeit das neuerliche Aussterben dieser europäischen Population zur Folge haben.
Waldrapp soll wieder fester Bestandteil der Fauna werden
„Deshalb machen wir weiter“, sagt Fritz: „Unser Engagement ist überlebenswichtig für diese bedrohte Art. Wir sind allen Partnern, Sponsoren, Paten, Volontären und Waldrapp-Freunden verpflichtet und hoffen auf deren weitere Unterstützung, um das Projekt vorerst weiter umsetzen zu können.“ Zur längerfristigen Sicherung des Projektes werden sein Team auch zum dritten Mal einen Antrag einreichen, in dem die Kritik der Experten noch umfassender berücksichtigt werde. „Der Waldrapp sollte die Chance bekommen, wieder ein fester Bestandteil der europäischen Fauna zu werden. Grund zur Hoffnung bleibt unser Motto.“