Maria Vaassen

Im Mai vorigen Jahres wurde eine 77-jährige Frau aus Uhldingen-Mühlhofen Opfer eines Telefonbetrugs. Nach dem Anruf eines Mannes, der sich als Polizeibeamter des Reviers Friedrichshafen ausgab, händigte sie Betrügern Bargeld und Schmuck im Wert von 174 550 Euro aus (wir berichteten). Die Täter wurden zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt. Der Fall wirft vor allem die Frage auf, wie es passieren konnte, auf eine so plumpe Art des Betrugsversuchs hereinzufallen. Die SÜDKURIER-Redaktion hakte nach.

Betrüger verwickelt Rentnerin psychologisch geschickt in ein Gespräch

Kurz vor der „Tagesschau“ klingelte an jenem Abend im Mai das Telefon der Rentnerin aus Uhldingen. Ein angeblicher Polizist berichtete von einer rumänischen Einbrecherbande, die derzeit in ihrem Wohngebiet in Mühlhofen ihr Unwesen treibe. Der Mann am Telefon verwickelte die Rentnerin psychologisch geschickt in ein Gespräch. Mit der Frage „Sie haben doch bestimmt auch Bargeld oder Schmuck im Haus?“ gelang es dem Anrufer, die 77-Jährige dazu zu bringen, ihm ihren gesamten Tresorinhalt aufzuzählen. Dann bot er an, einen Kollegen vorbeizuschicken, der alles in einen gesicherten Raum bringen würde, bis die Gefahr vorüber sei.

Telefonsoftware gaukelt Notrufnummer 110 vor

Auf seine Anweisung hin packte die Frau Geld, Schmuck und Goldbarren in eine Reisetasche. Diese stellte sie noch in der Nacht vor ihre Haustüre, so wie der Anrufer es von ihr gefordert hatte. Der Betrüger hatte aufgrund einer Manipulation mittels einer speziellen Telefonsoftware unter der offiziellen Notrufnummer 110 angerufen. Im Laufe eines mehr als zweistündigen Telefonats setzte er die Rentnerin so unter Druck, dass sie überhaupt keine Gelegenheit hatte, die Situation zu hinterfragen. „Mein Verstand war wie ausgeschaltet, ich habe alles gemacht, was er sagte“, berichtete die ruinierte Seniorin vor dem Amtsgericht Konstanz in einem Prozess gegen drei Abholer, welche in die Betrugsmasche verstrickt waren. Gegen 1 Uhr nachts holten die drei Männer aus Göppingen die Tasche vor ihrer Haustür ab. Wie berichtet, sind alle drei inzwischen verurteilt worden, der 23-jährige Haupttäter zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft.

Täter haben es ganz bewusst auf ältere Menschen abgesehen

Wie der 77-jährigen ging es im vorigen Jahr zahlreichen, meist betagten Geschädigten in der Bundesrepublik und in der Schweiz. Ähnliche Fälle wurden bereits vor dem Amtsgericht Tettnang und dem Landgericht Ravensburg verhandelt. Im Fall der Frau aus Mühlhofen hatte die Friedrichshafener Polizei die Täter nur knapp verfehlt. Die Kantonspolizei Zürich war der Gruppierung bereits per Handyüberwachung auf der Spur gewesen und hatte den deutschen Kollegen einen Hinweis auf den geplanten Coup in Uhldingen gegeben. Doch als die echten Beamten am nächsten Tag bei der 77-Jährigen eintrafen, war die gut gefüllte Reisetasche längst weg. Wie die Hintermänner der Abholer genau vorgegangen waren, um ausgerechnet die 77-Jährige als geeignetes Objekt herauszufinden, ist der Staatsanwaltschaft Konstanz im konkreten Fall noch nicht bekannt. Aus früheren Fällen wisse man aber, dass die Täter ihre potenziellen Opfer meist mithilfe von Google Earth und durch Telefonbuchrecherchen auswählen. Dabei werde gezielt nach einzelnen Teilnehmerinnen mit altmodischen Vornamen gesucht, was auf ältere, alleinstehende Frauen rückschließen lässt.

Angeklagte geben sich als Unschuldslämmer aus

Die drei vom Amtsgericht Konstanz verurteilten Abholer gaben sich vor Gericht ahnungslos. Sie behaupteten – wie bereits etliche ihrer Kollegen zuvor – nichts von einem Betrug gewusst zu haben, sondern nur für einen ihnen angeblich unbekannten Transport von kriminellen Landsleuten missbraucht worden zu sein. Der 23-Jährige, der den Auftrag entgegengenommen hatte, berichtete, im Gefängnis habe ein Mithäftling ihn gefragt: „Du auch falscher Polizist?“ Dann habe man zusammen ein Video gesehen, in dem über den Telefonbetrug mit falschen Polizisten berichtet wurde. In dem Video sei auch der Mann zu Wort gekommen, den er als seinen Auftraggeber „Murat“ wieder erkannt haben will. Eigene Recherchen ergaben, dass es sich dabei um einen Beitrag von „Spiegel TV“ handelt, der in der Türkei aufgenommen wurde. Darin plaudert ein Murat C. locker über den großen Erfolg der Betrugsmasche in Deutschland. Wenn der Anrufer Begriffe aus der Polizeisprache anwende, sei es ganz einfach, alte Frauen hereinzulegen, denn die seien eben „naiv“, meint er in dem TV-Beitrag.

Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft dauern an

Auch dem Anrufer, der die 77-Jährige aus Mühlhofen in gutem Deutsch und mit Polizeijargon hereingelegt hat, ist die Staatsanwaltschaft Konstanz bereits auf der Spur. Derzeit werde in diesem Zusammenhang gegen zwei Männer ermittelt, von denen einer bereits namentlich bekannt sei, erklärte die zuständige Staatsanwältin. In ähnlich gelagerten Fällen handelte es sich häufig um deutschstämmige Türken, die von Izmir oder Antalya aus agieren. Dreh- und Angelpunkt war zunächst ein von der Türkei aus in Bremen betriebenes Call-Center.

Drahtzieher fühlen sich im Ausland sicher

Vor Gericht landen, wie so oft in der professionell organisierten Bandenkriminalität, meist nur die Handlanger. Die Drahtzieher wiegen sich in der Türkei in Sicherheit. Aufgrund der langen Ermittlungsdauer in der Türkei komme man an sie nicht wirklich heran, bedauerte die Staatsanwältin. Warum die 77-Jährige ihr gesamtes bewegliches Vermögen in ihrem Tresor aufbewahrte, ist nicht bekannt.

Das könnte Sie auch interessieren
Das könnte Sie auch interessieren
Das könnte Sie auch interessieren