In der Gemeinderatssitzung am vergangenen Montag wurde darüber berichtet, dass man im Zuge des Neubaus einer Kindertagesstätte auf dem Campusgelände überraschend auf Fundamente eines ehemaligen Bauernhofs gestoßen sei.
Pädagoge mit revolutionären Ideen
Tatsächlich zeigt ein Blick in die Archive, dass an dieser Stelle schon vor 120 Jahren pädagogische Konzepte umgesetzt wurden, denn genau hier befand sich eine „Anstalt für natürliche Erziehung“. Gründer und Leiter dieser Anstalt war der 1858 in Freiburg i.Br. geborene Alfred Klingele. Über ihn hat der Rheinfelder Historiker Wolfgang Bocks ausführlich geforscht und die Ergebnisse in verschiedenen Aufsätzen publiziert.
Nach Säckingen kam Klingele im Jahr 1892. Da er keine Lust mehr hatte, im väterlichen Geschäft „Plunder an Weibsbilder“ zu verkaufen, veräußerte er die Textilhandlung in Freiburg und kaufte sich in Säckingen ein Grundstück „Auf der Flüh“. Dort errichtete er ein Wohnhaus mit Ökonomiegebäuden, wo er seine Vorstellungen einer freiheitlichen, natürlichen Erziehung umsetzen wollte.
Arbeiten im Jahreslauf der Natur
Im Mittelpunkt seines Konzeptes stand die Arbeit in der Landwirtschaft, die einer „einseitigen Verstandesbildung“ entgegenwirken sollte. Praktische landwirtschaftliche Arbeiten im Jahreslauf der Natur sollte es den Kindern ermöglichen, durch selbstständiges Tun und eigene Erfahrungen auf natürliche Weise zu lernen.
Damit trug Klingele nicht nur seiner Überzeugung Rechnung, dass die Landwirtschaft – und nicht etwa die Industrie – das Fundament der deutschen Volkswirtschaft sei, sondern wollte den Kindern auch eine Grundlage schaffen, auf die sie auf ihrem späteren Lebensweg immer wieder zurückgreifen konnten.
Kinder aus allen sozialen Schichten
Etwa 20 Waisenkinder, alles Knaben, zogen bald in die neue Erziehungsanstalt ein, wobei es Klingele wichtig war, Kinder aus unterschiedlichen sozialen Schichten aufzunehmen, um Klassengegensätze abzubauen. Sie trugen ärmellose Gewänder aus Flachs, die bis unter die Knie reichten und bei Ausflügen mit einem Ledergürtel zusammengehalten wurden.
Konzept ruft auch Skeptiker auf den Plan
Ohne Zweifel erregte die Gruppe Aufsehen, wenn sie irgendwo auftauchte, wurde von Schaulustigen umringt und fotografiert. In der Stadt Freiburg waren Klingele und seine Schützlinge unerwünscht, ein Besuch in Basel hingegen führte zu mehreren Artikeln in der internationalen Presse.
Selbstverständlich rief eine solch außergewöhnliche und für damalige Verhältnisse recht freiheitliche Erziehungsmethode auch Skeptiker auf den Plan. Doch die Untersuchung, die der Bezirksarzt aufgrund einer Anzeige durchführte, gab zu keinerlei Beanstandungen Anlass.
Pionier einer neuen Energiepolitik
Die Interessen Alfred Klingeles gingen aber weit über den Bereich der Pädagogik hinaus. Seine besondere Aufmerksamkeit erregten die seit den 1890er Jahren am Hochrhein entstehenden Flusskraftwerke zur Stromerzeugung.
Sein energischer Kampf gegen eine Monopolisierung, gegen eine Ausbeutung der Wasserkräfte durch private Elektrokonzerne, führte zu einer regelrechten Volksbewegung, dessen Wortführer er wurde. In Vorträgen und Schriften forderte er, dass die Gewinne aus den öffentlichen Gewässern der Allgemeinheit zugutekommen müssten und verlangte eine staatliche Energiepolitik mit Beteiligung des Parlaments.
Anfeindungen führen zum Wegzug
Zwar konnte er 1906 erste Erfolge erzielen, denn erstmals griff nun der Staat bei der Konzessionierung des Kraftwerks Augst-Wyhlen regulierend ein, doch der Preis den er persönlich dafür zahlen musste, war sehr hoch. Die Anfeindungen hatten solche Ausmaße angenommen, dass er 1909 sein Anwesen in Säckingen verkaufte und nach Ingolstadt zog. Später war er u.a. Backofenfabrikant, Kohlenhändler und Betreiber einer Dampfwäscherei und Plätterei.
Der Bauernhof in Säckingen diente noch lange Zeit der Landwirtschaft. Er wurde später an die Stadt Säckingen verkauft und 1977 abgebrochen, um Platz für den Bau des Spitals zu machen.