Bonndorf – Rolf Rogg kennt die Situation der Palästinenser wie wenige andere Menschen. Sieben Jahre lang leitete der Entwicklungssoziologe im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) deren Büros in Ramallah sowie Gaza-Stadt. In diesen Tagen kehrte er von seinem Einsatz im Westjordanland zurück.
Obschon seit vier Jahren im Ruhestand, wirkt Rolf Rogg nach wie vor bei international organisierten Aktionen zum Schutz palästinensischer Bauern mit. 2022 begleitete er für die Dauer von drei Monaten Hirten im Süden des Westjordanlandes. „Jeden Tag kam es zu Konfrontationen mit der israelischen Besatzungsarmee, Polizei oder Siedlern“, schildert Rogg die Zustände.
Nun wirkte er in Burin, einem 4000-Seelen-Dorf im nördlichen Teil der Westbank, bei der Olivenernte mit. Das Dorf liegt in einem Talkessel, eingebettet in 1800 Hektar Olivenhaine. Diese befinden sich teilweise an einer viel befahrenen Schnellstraße und sind ringsum von jüdischen Siedlungen umgeben. Seit dem Terrorangriff der Hamas im Oktober vergangenen Jahres haben sich die Konflikte vor Ort massiv verschärft, berichtet Rolf Rogg. Gewaltbereite Siedler und das Militär greifen die Bauern während der Ernte an. Allein die Anwesenheit der internationalen Helfer schützt die Bauern.
15 junge Menschen, allesamt Juden aus den Vereinigten Staaten, Kanada und Großbritannien, wirkten gemeinsam mit dem Bonndorfer als Erntehelfer. „Der palästinensische Bauernverband koordinierte die Arbeitseinsätze. Wir waren in Fünfergruppen im Ernteeinsatz. Meist schlichen wir uns schon morgens um halb sieben in die Olivenhaine, arbeiteten möglichst schnell und leise, um die nahe wohnenden Siedler ja nicht zu wecken. Diese schlafen für gewöhnlich lange, da viele von ihnen keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Siedler werden vom Staat Israel in hohem Maße subventioniert und sogar mit Schusswaffen ausgestattet. Wir arbeiteten täglich bis 17 Uhr und so schnell wie möglich“, beschreibt Rogg den Tagesablauf.
Bei einem Arbeitseinsatz nahe der Schnellstraße erlebten die internationalen Helfer selbst den Versuch eines Übergriffs. „Plötzlich tauchte Militär auf und sagte, wir sollten ‚aus Sicherheitsgründen‘ verschwinden. Einer Frau, die das Ganze filmte, wollten sie die Kamera zerstören. Die Bauern, die sehr vorausschauend agieren, zogen sich mit unserer Gruppe zurück, um eine weitere Konfrontation zu vermeiden. Nur wenig später tauchten weitere Militärfahrzeuge und gewaltbereite Siedler auf.“
Nach getaner Arbeit saßen die Erntearbeiter mit den Bauern und deren Familien beim Tee zusammen. „Die Dorfbewohner leben streng muslimisch, die Hilfsorganisation hingegen ist jüdisch und die meisten der jungen Helfer sind gläubige Juden. Dennoch wurden wir herzlich aufgenommen und oft eingeladen. Die Dorfbewohner versicherten glaubwürdig, dass sie absolut nichts gegen Juden haben. Allerdings könne es nicht sein, dass Zionisten ihnen ihr Land, verbrieftes Eigentum, wegnehmen“, erzählt der Mann weiter.
20 Tonnen Oliven ernteten die Helfer gemeinsam mit den Bauern und deren Familien in diesen drei Wochen. Der Kilopreis liegt bei etwa vier Euro. Das sichert den Bauern wieder ein Jahr wirtschaftliches Überleben. Gleichwohl sind sich alle bewusst, dass die Unterstützung bei der Ernte nur für den Moment hilft. „Es braucht das Interesse der internationalen Gemeinschaft und verlässliche politische Lösungen“, fordert Rolf Rogg. Kaum waren die Helfer weg, wurde der Koordinator der Erntehilfe von Soldaten der israelischen Armee zweimal brutal zusammengeschlagen, im Haus ihres Gastgebers wurden Fenster und Türen demoliert. Offiziell wurde auch dieser Übergriff als Maßnahme gegen Terror begründet.
Einem anderen Bauern nahmen Siedler gemeinsam mit Armeemitgliedern das gesamte Erntematerial im Wert von 5000 Euro weg. Auch seien Olivenhaine abgefackelt oder entwurzelt worden, um den Palästinensern ihre Lebensgrundlage zu entziehen. Mehr als 760 Palästinenser, darunter Minderjährige, wurden seit dem Massaker im Oktober 2023 von Siedlern oder der Armee im Westjordanland erschossen. „Es gibt keine Rechtsinstitution, die das ahndet“, kritisiert Rolf Rogg. Der Entwicklungssoziologe spart auch nicht mit Kritik an deutschen Politikern, die von den Hilfsorganisationen genauestens über die Vorgänge im Westjordanland informiert würden. „Politiker haben Angst, als Antisemiten bezeichnet zu werden. Dabei wissen alle, dass Israel die Westbank annektieren will.“
Die palästinensische Bevölkerung hatte über viele Jahrzehnte hinweg enge Kontakte zur israelischen Bevölkerung. Doch mittlerweile spitzt sich die Situation zu. 1000 Siedler seien aus Brooklyn in die Gegend um Burin gekommen, um dort illegal Land in Besitz zu nehmen. Allabendlich schieße das Militär mit Tränengas um sich. Den Menschen solle das Leben so schwer wie möglich gemacht werden, sagt Rolf Rogg.