Hotzenwald – Wer je schon eine Reise nach Rumänien und gar ins westrumänische Banat mit dem Alemannendorf Saderlach unternommen hat, dem sind Mais, Paradeiser, Palatschinken und Paprika-Würste mit einem Glas Wein oder einem Gläschen Zuika etwas sehr Vertrautes. Die flirrende Sonne über den geometrisch angelegten Dörfern, die Familiennamen an den Hausgiebeln, eine stattliche Dorfkirche – in den Städten wie Arad oder Temeswar prächtige Jugendstil-Häuser, an denen oft nicht nur der Putz abbröckelt.
Im 18. Jahrhundert warb Maria Theresia vor allem treue katholische Siedler an, um das von den Türken befreite Banatim heutigen Ungarn, Rumänien und Serbien zu besiedeln. Die Bereitschaft zur Umsiedlung war oft der Not geschuldet, doch im Banat waren die Verhältnisse nicht besser als daheim. Ein Sonderfall stellt die Verbannung der aufrührerischen Salpeterer im Jahre 1755 aus dem Hotzenwald dar. 27 Hauptanführer wurden samt Familien, insgesamt 112 Personen, gewaltsam ins Banat gebracht und dort auf mehrere Dörfer verteilt.
Sigrid Katharina Eismann, Jahrgang 1964, ist in Freidorf in der Nähe von Temeswar aufgewachsen und eine direkte Nachfahrin einer dieser verbannten Hotzenwälder Familien. Die verbannten Jehles und Ebners gehören zu ihren Vorfahren. Sie besuchte, ebenso wie vor ihr die spätere Nobelpreisträgerin Herta Müller, das Nikolaus-Lenau-Lyzeum. Doch ihre jeweils literarisch verarbeitete Entwicklung könnte nicht unterschiedlicher sein, denn als Katharina 16 wurde, ging der Wunsch der Familie nach Ausreise in Erfüllung. Die Ceausescu-Diktatur brachte es gegen satte Devisenzahlungen mit sich, dass die Donauschwaben ihr Bündel wieder packten und das korrupte und heruntergewirtschaftete Land Richtung Deutschland verließen.
Wie bei vielen Banatern gewinnt auch bei Katharina Eismann die Frage nach der (gezwungenermaßen verlorenen) Heimat an Bedeutung. Und hier bittet sie in das Raumschiff, das eine fast 300-jährige Geschichte durchschwebt und eine Verbindung über Generationen herstellt sowie ein unsichtbares aber fühlbares Band vom Banat und den Ufern der Donau und der Bega zur neuen Heimat am Main knüpft. Erinnerungsfetzen aus der Kindheit, verdichtet im wahrsten Sinne des Wortes schon im Gedichtband „Reise durch die Heimat“ werden nun in den einzelnen Kapiteln des Paprikaraumschiffs in poetischer Form ausformuliert.
Es sind sprachverliebte Sinneseindrücke, die Katharina Eismann mit ihren ungewöhnlichen Sprachbildern in den einzelnen Romankapiteln plastisch und damit umfassend erlebbar werden lässt: „Die Sommerküche schwitzt und die öligen Wände. Harziges Juniparfüm, gefüllte Weinblätter in Kapernsoße auf dem Tisch. Das zarte Weinrebengefilde vergeht auf der Zunge. ‚Kaper‘ (Dill) das Banaterra-Gewürz, schießt aus rissiger Erde…. Aufgequollene Nudeln tanzen in der Milchsuppe wie flockige Kätzchen… Die Milchpatsche stürzt auf die Blechteller. Kein Aufruhr im Topf. Flockige Milchkätzchen flutschen durch unsere eisige Magenkammer.“
Leser tauchen in die Region ein
Diese sind weit davon entfernt, in eine Art Heimwehmelancholie zu verfallen – im Gegenteil, sie öffnen die Augen für eine Region, die lange hinter dem Eisernen Vorhang versteckt war und nun mit der Europäischen Kulturhauptstadt Temeswar 2023 Anreiz zur Entdeckung bietet – samt rumpelnden Straßenbahnen („Dschanga“) als „zitronengelben Zitaten“ und deren Haltestellen. „Da, wo die Zuckerfabrik früher stand ist ‚Ost-Jamaika‘ die Endstation der Dreier. Nach einem Nickerchen bricht die Dschanga aus Ost-Jamaika wieder auf in Richtung Nacht und Stadt. Mit den hageren Schichtarbeiterinnen aus der Zigarettenfabrik schlendert und rumpelt sie über die Schienen. Retour wird sie die letzten Josefstädter Kraken und Krakeeler bringen; Basardeutsch mit Josefstädter Färbung und Dschanga-Assonanzen holpern um die Wette.“ Ein Glossar erschließt die Banater Hintergründe.
Der Text kreist in der Kinderwelt der Banater Dörfer und ebenso in der Erwachsenenwelt in Deutschland, aber letztlich ständig um die Frage der Identität. Fazit: Ein atemberaubendes Buch, denn das Paprikaraumschiff wechselt unablässig Zeit und Ort. Und verbindet damit eine Einladung zum langsam lesen, damit die Worte ihre ganze Sinnlichkeit entfalten können.