Am 15. Mai 1945, also genau vor 75 Jahren, wurde die Bevölkerung des Jestetter Zipfels aus ihrer Heimat vertrieben. Gerade mal zwölf Stunden hatten die Menschen in der Nacht vom 14. auf dem 15. Mai Zeit, ihre Habseligkeiten zusammenzupacken und auf Wagen, sofern vorhanden, zu verladen. Da alle motorisierten Fahrzeuge von den französischen Besatzern konfisziert worden waren, blieben nur Zugtiere oder Menschenkraft, um das Hab und Gut befördern zu können. Da auch alle Fotoapparate abgegeben werden mussten, gibt es leider keine Bilder dieser Deportation, die die Jestetter ohne Gewissheit auf Wiederkehr in den Schwarzwald führte.
Mehr Glück hatten die Jestetter Bürger mit schweizerischem Pass. Diese durften in der Heimat bleiben, die Einreise in die Schweiz war ihnen jedoch verwehrt. Davon betroffen waren rund 20 Familien, darunter die Familie von Hermann Gehring (1905 bis 1981) und seine Frau Rosa, der bis zu seinem Tod als prägende Figur der Jestetter Fasnacht mit seiner selbst gebauten Drehorgel und dem Bau von Fasnachtswagen gewirkt hat.
Tochter Elvira Sperling, geboren 1944, erinnert sich freilich nicht mehr an die damaligen Geschehnisse, die allerdings lange Jahre ein bestimmendes Thema im Jestetter Zipfel waren und es noch heute sind. „Mein Vater arbeitete als Werkzeugmacher bei der SIG, doch plötzlich mussten wir zwei landwirtschaftliche Betriebe im Homberg versorgen, da die Eigentümer deportiert worden waren“, erzählt Elvira Sperling. Die Fahne, die damals vor dem elterlichen Haus hing, hat Elvira Sperling all die Jahre in einer Schublade verwahrt und wie einen Schatz gehütet.
Es muss eine eigentümliche Situation im Dorf gewesen sein, mit all den verlassenen Häusern und streunenden Haustieren, die nicht mitgenommen werden konnten. „Wir mussten eine schweizerische Fahne aufhängen, damit die Franzosen wussten, wo die Schweizer wohnten“, weiß sie weiter zu berichten. Dennoch wurden offenbar auch die Häuser dieser Familien durchsucht.
Nach der Rückkehr der deutschen Jestetter war das Verhältnis zwischen Heimkehrern und zu Hause gebliebenen offenbar recht ambivalent. Einerseits gab es Vorwürfe, dass „die Schweizer“ alles gestohlen hätten, auf der anderen Seite wurden die Jestetter in der Nachkriegszeit durch die Nachbargemeinden aus der Schweiz mit Hilfsgütern versorgt.