Daniel Gramespacher

Herr Lahl, Manche sagen: Mit den Triebwagen der Baureihe 612, die als Fortschritt angekündigt waren, ist seit Mai diesen Jahres alles nochviel schlimmer geworden.

Pauschal kann man das nicht sagen. Die Fahrzeuge sind gegenüber dem Vorgänger 611 deutlich komfortabler ausgestattet. WLAN, Fahrgastinfosysteme und Hublifte waren in den alten Fahrzeugen nicht verbaut. Gleichzeitig steht jetzt eine größere Mehrzweckfläche zur Verfügung. Da die Fahrzeuge schon vorher in Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen unterwegs waren und nirgends größere Qualitätsprobleme vorlagen, gab es keinen Anlass zur Sorge. Tatsache ist aber auch, dass DB Regio in Bayern und Thüringen die Fahrzeuge deutlich zuverlässiger betreibt als in Baden-Württemberg.

Im Sommer sagten Sie, die technischen Probleme am Hochrhein seien bis spätestens Ende September behoben. Mitte Dezember gibt es immer noch Beschwerden. Eine Fehleinschätzung?

Nein. Die Fahrzeugverfügbarkeit bei der BR 612 ist schon besser geworden: In der Tendenz gibt es weniger Minderbehängungen und weniger Ausfälle als im Sommer. Der Patient ist noch nicht über den Berg, aber schon auf dem Wege der Genesung.

Uwe Lahl, Amtschef im Verkehrsministerium Baden-Württemberg.
Uwe Lahl, Amtschef im Verkehrsministerium Baden-Württemberg. | Bild: Cuko, Katy

Welche Möglichkeiten hat das Ministerium, Einfluss zu nehmen?

Wöchentlich berichtet mir die Geschäftsführung von DB Regio Baden-Württemberg direkt über den aktuellen Stand. Dabei kann unbürokratisch und schnell auf aktuelle Probleme reagiert werden. Auf diesem Weg konnten immer wieder Maßnahmen kurzfristig umgesetzt werden, die zu einer Stabilisierung des Verkehrs beigetragen haben. Gleichzeitig befinden wir uns auch im regelmäßigen Austausch mit dem DB-Konzernvorstand. Leider sind Änderungen im Eisenbahnwesen immer nur langsam nachhaltig umsetzbar. Bis Maßnahmen wirken, können schnell Wochen und Monate vergehen. Und als Land haben wir nur begrenzt Einfluss. Hier ist der Bund als Eigentümer der Deutschen Bahn unmittelbar dafür verantwortlich, dass die Infrastruktur zügig ausgebaut wird.

Haben Sie Ihre Möglichkeiten denn ausreichend genutzt?

Ja. Es gibt wohl kaum ein Thema, das beim Landesverkehrsministerium derzeit mehr im Fokus steht als die Qualität im regionalen Schienenverkehr.

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Was hat sich am Hochrhein verbessert, wo sind weiterhin eklatante Mängel?

Hier muss man unterscheiden. Die Gründe für die Qualitätsmängel sind zum einen die Infrastruktur und zum anderen die Fahrzeugverfügbarkeit. Tatsache ist, dass sich Stück für Stück die Verfügbarkeit der Baureihe 612 verbessert. Die Zahl an ungeplanten Werkstattaufenthalten sinkt seit Monaten. Auf Seiten der Fahrzeuge sind wir daher verhalten optimistisch, dass die Zugausfälle weiter zurückgehen. Zur Stabilisierung greifen noch zwei weitere Maßnahmen. Vom 22. Dezember an wird der Pendlerzug um 6.35 Uhr ab Basel wochentags um ein Fahrzeug verstärkt, so dass er immer in Doppeltraktion fahren soll; zudem wird tagsüber eine zusätzliche Dispo-Einheit in Singen stationiert, um kurzfristig auf Störungen am Hochrhein reagieren zu können.

Und wie sieht es mit der Infrastruktur aus?

Leider ist diese in den 2000er Jahren nur minimal ausgebaut worden. Über lange Abschnitte bestehen keine Überleitstellen, um bei Störungen das Gegengleis nutzen zu können. Dies wird sich erst mit der Elektrifizierung der Strecke nachhaltig verbessern. Das Land legt bei diesem Projekt sehr viel Wert darauf, dass die Infrastruktur auch im Störungsfall deutlich flexibler nutzbar ist.

Wer muss nun was tun, damit sich die Situation für die Fahrgäste verbessert?

In erster Linie muss DB Regio ihre Hausaufgaben machen. Die Baureihe 612 verkehrt in anderen Bundesländern stabil und zuverlässig, also muss das auch in Baden-Württemberg möglich sein. Parallel erhoffen wir uns durch die zusätzliche Dispo-Einheit in Singen und die Kapazitätsausweitung am Morgen eine weitere Stabilisierung. Im neuen Jahr werden wir den Nutzen auswerten und gemeinsam das Betriebskonzept weiterentwickeln. Perspektivisch ist vorgesehen, die Dispo-Einheit ständig mit einem Lokführer zu besetzen. Der wird dies nicht ehrenamtlich tun, aber das ist uns die Sache wert.

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Warum wurden die BR 612 nicht besser geprüft, bevor sie in Betrieb gingen, zumal Experten offenbar gewarnt hatten?

Die Fahrzeuge verkehrten in anderen Bundesländern relativ problemlos. Dass Fahrzeuge mit Neigetechnik störanfälliger sind als konventionelle, ist bekannt und wurde durch eine größere Reserve in der Ausschreibung berücksichtigt. Nicht absehbar waren die massiven Versäumnisse von DB Regio beim Redesign der Fahrzeuge. Zuerst hat sich beim Umbau die Zulassung immer weiter verzögert. Monatelang standen die Fahrzeuge vor der Werkstatt in Kassel. Standschäden waren die Folge. Die Auslieferung verzögerte sich wieder. Trotz der Generalüberholung in Kassel waren die Fahrzeuge im Betrieb erheblich störanfälliger als beispielsweise die Fahrzeuge in Bayern und Thüringen. Erst eine zweite Rollkur bringt jetzt langsam Stabilität zurück.

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Als Kritik laut wurde, hieß es, es gebe keine anderen Züge. Inzwischen ist auch von Alternativen die Rede. Was stimmt?

Momentan gibt es keine Fahrzeuge mit Neigetechnik als Alternative. Kein Fahrzeughersteller ist aktuell in der Lage, eine Nachfolgebaureihe herzustellen. Die Fahrzeuge der BR 612 verkehren im Verkehrsvertrag Netz 5 „Donau-Ostalb“, der noch bis Dezember 2026 läuft. Wir bestehen grundsätzlich darauf, dass DB Regio diesen Vertrag auch einhält.

Wie sähen Alternativen aus?

Wir prüfen derzeit einen entspannteren Fahrplan für den IRE Ulm-Basel. Der Clou wird sein, die Fahrtzeiten so zu strecken, dass sie auch ohne Neigetechnik gehalten werden können. Bei Verspätungen kann der Lokführer die Neigetechnik aber wieder einschalten, um die Verspätung aufzuholen. Das Ganze wird nicht ohne Nebeneffekte möglich sein, Nahverkehrsgesellschaft und DB

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Regio haben hier noch Hausaufgaben zu erledigen. Daher kann ich noch nicht konkreter werden.

Deutlich verbessern wird sich die Situation erst mit der Elektrifizierung. Im Sommer sagten Sie, diese komme vielleicht vor 2025. Was sagen Sie heute?

Für den Terminplan ist nicht in erster Linie das Ministerium zuständig, weil wir weder planen noch bauen. Wir sind in engem Austausch mit allen Partnern, können aber derzeit noch nichts Genaues sagen. Unser aller Ziel ist es aber, dass die Hochrheinstrecke möglichst rasch ausgebaut und elektrifiziert wird. Und noch eines: Hätte es die seit Jahren der Bundesregierung angehörende SPD-Bundestagsabgeordnete, die seit einiger Zeit das Land kritisiert, hinbekommen, dass die Hochrheinbahn in den Bundesverkehrswegeplan kommt, wären wir heute weiter und die Kommunen müssten nicht mit ihrem Geld den Ausbau bundeseigener Schienenwege mitfinanzieren. Mit diesem Geld könnte man besser kommunale Aufgaben vor Ort bezahlen.