100 Tage im Amt zu sein – gemeinhin ist das ein Anlass, innezuhalten und eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen. Stimmt der Kurs? Wo sollte nachjustiert werden? Wie geht es weiter?
Wenn Wolf Morlock am Samstag, 9. Juli 2022, die 100 Tage als Sparkassen-Vorstand vollmacht, kann er auf diese Fragen nur bedingt Antwort geben. Denn die turbulenten Zeiten, die Folgen internationaler Konflikte, der Pandemie, die allgemeine Verunsicherung in der Bevölkerung und nicht zuletzt die konstanten Veränderungen innerhalb des Bankenwesens – all das bringt viele Herausforderungen mit sich, die sich noch nicht vollständig absehen lassen, und zugleich werden Prognosen auch immer schwerer zu treffen. Aber es gibt auch viele Lichtblicke, wie er im Gespräch darstellt.
Was den Menschen derzeit besonders zu schaffen macht
Generell beurteilt Morlock die aktuelle Lage so: „Im Ist-Zustand sind die Konsequenzen all der Krisen, die wir derzeit haben, noch nicht so sichtbar.“ Auch die Corona-Jahre hätten die meisten Firmen größtenteils ohne dauerhafte Schäden überstanden.

Das große Problem seien aber die vielen Unwägbarkeiten, so der Sparkassen-Vorstand: „Aus vielen Gesprächen ist eine zunehmende Unsicherheit erkennbar, was die Zukunft bringen wird.“
Preissteigerungen in vielen Bereichen des täglichen Lebens, hohe Energiekosten, fehlende Verfügbarkeit von Materialien, die sehr schnell gestiegenen Zinsen – all das seien die Themen, die Angst machen, denn die Folgen kämen immer stärker bei den Menschen an.
„Dazu kommt auch nach meiner Wahrnehmung das Entsetzen darüber, dass in unserer heutigen Zeit so etwas wie der fürchterliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine überhaupt noch möglich ist“, so Morlock. Auch er selbst sei von den Ereignissen tief betroffen.
Generell sei feststellbar, dass viele Menschen in der Region damit rechnen, dass sich der wirtschaftliche Spielraum deutlich einengen wird, auch wenn dies bei den meisten wohl noch gar nicht so deutlich spürbar sei.
Allerdings: „Man muss wohl sagen, dass diese Sorge nicht unberechtigt ist und dass wir uns auf gewisse Veränderungen einstellen müssen. Denn der Staat kann die Auswirkungen nicht auf Dauer abfedern“, so Morlock weiter. Besonders betroffen seien aller Voraussicht nach gerade jene, die ohnehin schon sehr knapp kalkulieren.
Unsicherheit könnte zum stetigen Begleiter werden
Zumindest bei den meisten sei es noch keine konkrete Notlage. „Wir werden vielleicht auch damit zu leben lernen müssen, dass viele Dinge nicht mehr gewiss und unumstößlich sind“, sagt Morlock. Am wichtigsten sei es, in dieser Situation Zuversicht und Optimismus nicht zu verlieren.
Das Vertrackte an der derzeitigen Situation sei nämlich, dass nicht einmal Experten seriöse Prognosen abgeben könnten, wie sich alles in den nächsten Monaten weiter entwickle. Denn vermutlich sei in den vergangenen Jahrzehnten nie eine solche Bandbreite höchst gegensätzlicher Szenarien vorstellbar gewesen.
Die drängendsten Fragen
Kommt es infolge des Ukraine-Krieges zum Abbruch der Gasversorgung, oder findet sich eine andere Lösung? Kommt Corona im Herbst mit Wucht zurück oder haben die Maßnahmen eine dauerhafte Wirkung? Funktioniert die Transformation der Industrie in geplanter Weise?
Das seien wohl Kernfragen, die die weitere Entwicklung bestimmen und entscheidend dafür sein werden, wie heftig die Folgen all der Krisen und Konflikte uns alle betreffen werden, sagt Wolf Morlock.
Grenznähe zur Schweiz bringt Vorteile
Aber bei allen Unwägbarkeiten könnte der Hochrhein-Region gerade die Grenznähe zu besonderem Vorteil gereichen: „Die Nähe zur Schweiz bringt uns ja bereits unter normalen Umständen sehr viele Vorzüge. Die Leute haben ein ganz anderes Einkommensniveau als in anderen Teilen des Landes“, so Morlock. In vielfacher Hinsicht profitierten beide Seiten aber auch ökonomisch, gesellschaftlich und kulturell voneinander.
Aktuell sei zu beobachten, dass sich die Folgen der Krisen sehr unterschiedlich auf beiden Seiten bemerkbar machten – gerade wenn es um Preisentwicklung und Inflation gehe. Die Schweiz sei hier momentan bessergestellt als die deutsche Seite.
Ein wichtiger Aspekt könnte auch die weitere Entwicklung des Franken-Kurses sein. „Aktuell ist er sehr stark. Wenn es so bleibt, haben wir durchaus die Chance, stabiler durch die jetzigen Krisenzeiten zu kommen als andere Regionen“, sagt Morlock.
Aber wie in vielen Bereichen gelte eben: Eine Gewähr kann niemand geben. Denn niemand könne abschätzen, inwiefern sich die gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Risiken auf das zwischenstaatliche Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz auswirken, oder welche Faktoren erst noch hinzukommen.
Finanzwirtschaft in konstantem Entwicklungsprozess
Aber unabhängig von den problematischen Rahmenbedingungen: Das Bankgeschäft hat sich in den vergangenen Jahren sehr grundlegend verändert – und diese Entwicklung geht immer weiter.
Digitalisierung, Änderungen bei gesetzlichen Vorgaben und Regulierung – all das sind Aspekte, die einen regelrechten Veränderungsdruck erzeugen, sagt Wolf Morlock. Denn mithin ändere sich mit wachsenden Möglichkeiten auch die Haltung der Kundschaft: „Als Dienstleister müssen, aber vielmehr, wollen wir uns auf das einstellen, was unser Kunde wünscht.“
Das sei sehr unterschiedlich und hänge in der Regel von individuellen Bedürfnissen oder der aktuellen Lebenssituation der Kunden ab. Aber ein leistungsfähiges Online- und Handybanking werde heute als Standard beinahe schon vorausgesetzt.
Gleichzeitig gebe es aber auch einen hohen Bedarf an qualifizierter Beratung für die verschiedensten Bereiche – in Zeiten von Niedrigzinsen freilich auch mit Blick auf Investitionen. Auch um ein entsprechendes Angebot komme ein Finanzdienstleister wie die Sparkasse Hochrhein also nicht herum, so Morlock.
Derzeit kein Schließungsszenario für Filialen
Auf welchem Wege Kunden heutzutage die Leistungen einfordern, die sie wünschen, ist sehr unterschiedlich. Die persönliche Beratung in der Filiale hat da längst noch nicht ausgedient, wenngleich häufig auch ein Trend zu anderen Angeboten erkennbar sei, so Morlock.
Es sei aber natürlich mit einem erheblichen Aufwand verbunden, ein Filialnetz in einer solchen Fläche zu betreiben: „Ob wir das auch in der Zukunft in vollem Umfang aufrecht erhalten können, kann ich Ihnen heute nicht sagen. Was ich sagen kann ist, dass wir derzeit keinen konkreten Plan für eine Reduzierung haben.“
Letztlich werde die Entwicklung des Kundenverhaltens in Zusammenspiel mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen den Weg weisen. Dabei sei aber auch zu berücksichtigen, inwiefern sich in Zukunft überhaupt noch genügend Mitarbeiter für kleinere Filialen finden lassen.
Wie fällt die generelle Bilanz aus?
„Die Aufgabe, eine Sparkasse führen zu dürfen, begeistert mich. Und toll ist auch, dass ich das Zusammenarbeit mit einem sehr kompetenten Führungsteam, tollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und gemeinsam mit meinem Kollegen David Gerstner machen darf.“ So lautet Wolf Morlocks zufriedene Zwischenbilanz.
Der Zusammenarbeit mit seinem Vize würde er eine „eine glatte Eins“ geben, betont Morlock. Das liege nicht zuletzt an den großen Übereinstimmungen mit Blick auf die Ausrichtung, aber auch die Werte, die beiden wichtig seien.
Unterm Strich sei er nach den ersten fast 100 Tagen vor allem dankbar, diese Aufgabe ausüben zu dürfen. Und mit Blick auf die Rahmenbedingungen: Nach 39 Jahren in der Finanzbranche davon über 20 Jahre im Geschäftsbankenbereich mit immer unterschiedlichen Aufgaben und immer wieder anderen Rahmenbedingungen „muss schon viel passieren, dass mich etwas wirklich grundlegend überrascht“, hält der Sparkassen-Chef fest.