Der Zeitplan steht: Zum Schuljahr 2026/27 soll der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsbetreuungsplatz an baden-württembergischen Grundschulen in Kraft treten. Wie diese Vorgaben umgesetzt werden sollen, sei allerdings nicht klar, denn es mangle den Städten und Gemeinden noch immer an brauchbaren Informationen, wie Tobias Gantert darstellt.
Als Bürgermeister von Ühlingen-Birkendorf ist er sehr direkt mit diesem Dilemma konfrontiert, als Vorsitzender des Kreisverbands der Bürgermeister im Landkreis Waldshut weiß er, dass es seinen Amtskollegen genauso geht. Von der Politik in Bund und Land fordern sie vor allem pragmatische und bedarfsorientierte Vorgaben, sonst sei das Fiasko vorprogrammiert.
Was hat es mit der Ganztagsbetreuung auf sich?
Im Grunde ist die Vorgabe, die das baden-württembergische Kultusministerium ausgegeben hat, recht einfach: „Jedes Kind hat von Klasse eins bis Klasse vier einen Anspruch auf eine ganztägige Betreuung an fünf Werktagen im Umfang von acht Stunden.“
Die Regelung basiert auf dem Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter, das vor genau drei Jahren beschlossen wurde und ab dem Schuljahr 2026/27 stufenweise, beginnend ab Klasse 1, umgesetzt werden soll. Diese Betreuungszeit gilt auch für die Zeit der Schulferien. Lediglich vier Wochen pro Jahr sollen die Betreuungsangebote schließen können.
Das Ganze beinhaltet die Verpflichtung für die Gemeinden, die Angebote zu schaffen, denn sie ist mit einem Rechtsanspruch verbunden. Eine Verpflichtung für Eltern, die Angebote zu nutzen, gibt es nicht.
Der daraus resultierende Zeitdruck ist ein Problem, das Kommunen landauf, landab mit den Vorgaben haben. Ein weiteres sind die bislang eher schwammig gehaltenen inhaltlichen Angaben zur Art und Weise, wie die Betreuung aussehen soll. Das Kultusministerium spricht vom „Anspruch eines Kindes auf Förderung in einer Tageseinrichtung“. Und: „Das können ein Hort oder andere Betreuungsangebote sein.“
Fast unlösbare Herausforderungen für Städte und Gemeinden

„Die meisten Kommunen in der Region haben Schwierigkeiten, die Rechtsansprüche in Sachen Ganztagsbetreuung in der Kita erfüllen, da werden sie schon mit dem nächsten Rechtsanspruch konfrontiert“, fasst Tobias Gantert die ganze Sache aus Sicht der Städte und Gemeinden im Landkreis Waldshut zusammen.
Denn so gesellschaftlich gewollt und wünschenswert derartige Angebote seien – sie stellen diejenigen, die für die Umsetzung der von Bund und Land gefassten Richtlinien vor immense Herausforderungen. Das Grundproblem: „Viele Fragen sind im Moment noch unbeantwortet, viele Faktoren unbekannt, obwohl das alles in nicht ganz zwei Jahren in Betrieb sein soll“, sagt Gantert.
Wie das realistisch vonstattengehen soll? Das sei die Kernfrage, die sich gerade alle seine Amtskollegen in der Region wie auch landesweit stellen, sagt Gantert.
Finanzierung und Personalgewinnung ungeklärt
Die Unklarheiten bestünden auf breiter Front. Eindeutig seien weder die räumlichen Anforderungen, die die Kommunen erfüllen müssen, noch sei die Finanzierung für etwaige Bauvorhaben geklärt. Der Fördertopf des Landes ist mit 380 Millionen Euro bestückt. Aber: „Es ist absehbar, dass das viel zu wenig Geld für viel zu viele Projekte sein wird“, so Gantert.
Und dabei seien Betriebskosten und dergleichen noch gar nicht mitgerechnet. Erst recht stelle die Personalfrage die Kommunen im Landkreis vor große Herausforderungen: „Wir wissen jetzt noch nicht, welche pädagogischen Ansprüche erfüllt werden sollen, oder inwiefern Vereine oder andere Stellen involviert werden können.“ Klar sei indes, dass „Unmengen an Personal“ benötigt werden, da auch die Ferienzeiten abgedeckt werden müssen, so Gantert.
Es sei also zu erwarten, dass wie bei den Kindergartenerzieherinnen ein engagierter Konkurrenzkampf zwischen den Gemeinden ausbrechen werde. Denn der Markt für Betreuungskräfte sei quasi leer gefegt, schildert Gantert.
Bedarfsfrage ist noch nicht geklärt
Und dann sei auch gar nicht klar, wie groß eigentlich der Bedarf der Ganztagsbetreuung an fünf Tagen pro Woche eigentlich sei. „Legt man unsere Erfahrungen mit der Kita-Betreuung zugrunde, besteht vor allem Nachfrage an tageweisen Angeboten“, verweist Gantert auf den Bedarf in seiner Gemeinde Ühlingen-Birkendorf. Die verlängerte Öffnungszeiten mit sieben Stunden täglich an zwei bis drei Tagen seien die am stärksten nachgefragte Variante.
Dass sich dies mit Übergang in die Schule grundlegend verändern könnte, halte er für wenig wahrscheinlich: „So lange aber der Bedarf nicht klar ist, brauchen wir auch gar nicht an den Bau von neuen Räumen zu denken.“ Und noch nicht berücksichtigt sei ohnehin, wie mit variierenden Bedarfen umgegangen werden solle.
Voraussetzungen in den Kommunen sehr unterschiedlich
In diesem Punkt gleiche die Bürgermeisterkonferenz im Landkreis aktuell eher einer „Selbsthilfegruppe“, als dass ein fundierter Austausch möglich sei: „Die Bürgermeister wie auch die Schulleiter werden derzeit vollkommen im Regen stehen gelassen.“
Die Voraussetzungen in den Gemeinden seien aktuell sehr unterschiedlich. In vielen Gemeinden gebe es bereits ein Betreuungsangebot für Grundschulkinder. In Waldshut-Tiengen sind darin auch bereits Ferienzeiten eingeschlossen. Einen Rechtsanspruch gibt es derzeit aber noch nicht. Aber da noch nicht klar sei, was von den bestehenden Strukturen übernommen werden kann, seien die Herausforderungen für alle gleich, so Gantert.
Solange wesentliche Rahmenbedingungen nicht geklärt sei, könne nämlich kein neues oder erweitertes Angebot geschaffen werden. Denn unabhängig vom derzeitigen Stand des Angebots, bedürfe es überall zusätzlicher räumlicher Kapazitäten, und es werde überall weiteres Personal benötigt. Und: „Kooperationen sind in der Regel aufgrund von Entfernungen und der Schulbezirkszuordnung für Grundschulen nicht so einfach zu bewerkstelligen.“
Hier sehen die Bürgermeister auch die Abgeordneten im Landtag und Bundestag in der Pflicht, für Klarheit zu sorgen. „Wir vor Ort können diese Fülle von Problemen und Unklarheiten nicht lösen“, so Gantert. Vielmehr müssten die Akteure in der Region einräumen, dass Stand jetzt die Umsetzung des Rechtsanspruchs nicht zu schaffen sei.