(Dieser Artikel erschien erstmals im Juni 2021.)
Wer in Not gerät wählt die 112, und Hilfe kommt. Oder doch nicht? Was passiert, wenn Hilfesuchende und Ersthelfer nur das Mobiltelefon parat haben und sich in einem Funkloch befinden? Wenn nur das Schweizer Netz verfügbar ist? So geschehen im Frühjahr 2021 in einem Fall im Lottstetter Ortsteil Nack an der Schweizer Grenze. Wir haben beim Rettungsdienst in Waldshut und der Kantonspolizei Zürich nachgefragt.
Erst über das Festnetz funktioniert es
Der Auslöser für die Diskussion: In einer E-Mail an den SÜDKURIER schildert Ingo Danner, der am Ort des Geschehens wohnt, den Vorfall in Lottstetten-Nack. Ein ältere Frau sei gestürzt und hilflos am Boden gelegen. Passanten hätten Erste Hilfe geleistet und versucht, mit dem Mobiltelefon über die Nummer 112 einen Notruf abzusetzen.
„Der Anruf wurde von der Schweizer Notrufzentrale bei der Kantonspolizei Zürich entgegengenommen“, berichtet Danner. Die Antwort: Man könne in diesem Fall nicht weiterhelfen, auch eine Weiterleitung an die deutsche Rettungsleitstelle sei nicht möglich. Mit den Worten „wenden Sie sich an die deutsche Polizei“ sei der Anruf beendet worden. Schließlich sei über Danners Festnetztelefon Hilfe angefordert worden. In einem späteren Telefonat erklärt er, dass es in Nack nur eine Schweizer Mobilfunkabdeckung gebe.
Rettungsdienst bestätigt den Vorfall
Heiko Zimmermann, Rettungsdienstleiter beim Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Waldshut, bestätigt auf unsere Nachfrage den Vorfall. Es habe keine Lebensgefahr bestanden, und nach seinen Schilderungen habe die Frau schließlich die Mitfahrt im Rettungswagen verweigert. Aber für ihn ist klar: Das darf nicht passieren. Soll heißen: Wenn es um Leben und Tod geht, zählt jede Minute.
So sollte der Ablauf funktionieren
In einem früheren SÜDKURIER-Beitrag über die grenzüberschreitende Rettung hatte Zimmermann erklärt, wie es in der Regel funktioniert: „Wenn man im Schweizer Netz ist und die 112 wählt, landet man in der Schweiz bei der Polizei. Die fragt nach der polizeilichen und medizinischen Lage und verbindet mit der zuständigen deutschen Leitstelle.“
Dieses Vorgehen werde nach wie vor praktiziert. Grundsätzlich sei die Grenze keine Hürde für schnelle Hilfe. In diesem Fall habe der Ablauf aber nicht funktioniert. Deshalb sei die Zeitverzögerung entstanden. Er spricht von einem bedauerlichen Einzelfall. Der Sachverhalt werde von beiden Seiten geprüft.
Gebiet um Lottstetten ist gut versorgt
Das Gebiet um Lottstetten ist laut Zimmermann im Notfall gut versorgt. Hilfe kommt von der Rettungswache in Dettighofen. Der Rettungstransportwagen (RTW) ist mit einem Notarzt besetzt. Sollte kein deutsches Rettungsfahrzeug in der Nähe zur Verfügung stehen, würde in Lottstetten oft Hilfe aus Schaffhausen oder Bülach kommen. In einem akuten Fall hebt der Rettungshubschrauber Rega 1 in Dübendorf ab. In diesem Fall sei die Verfügbarkeit eines deutschen Rettungswagens allerdings gegeben gewesen.
Kantonspolizei Zürich räumt Fehler ein
Offensichtlich lag der Fehler bei der Kantonspolizei Zürich. Medienchef Patrick Céréda räumte auf Nachfrage des SÜDKURIER ein: „Die Hilfestellung und Bewirtschaftung der verschiedenen Notrufe in den Grenzgebieten funktionieren problemlos und finden täglich mehrfach statt.“ In diesem spezifischen Einzelfall sei die Schwierigkeit der telefonischen Abdeckung im Grenzgebiet durch die Kantonspolizei „leider nicht optimal“ beurteilt worden. „Wir bedauern diesen Fehler, werden die Abläufe überprüfen und verbessern, und wir sind froh, dass die Dame Hilfe erhalten hat“, schreibt er abschließend.
So erhält man in beiden Ländern Hilfe bei verschiedenen Notfällen:
Praktikable Lösung – aber nicht optimal
Schweizer und deutscher Rettungsdienst arbeiten im Grenzgebiet Hand in Hand und helfen sich gegenseitig. Die Abläufe für die Alarmierung sind klar geregelt. Auch wenn die 112 über das Schweizer Netz gewählt wird.
Wer in Not gerät, nur ein Mobiltelefon dabei hat, und sich im Netz der Nachbarn befindet, kann also die 112 wählen. Einfach 0049 112 zu wählen, funktioniert laut Zimmermann nicht: „Wir haben es probiert, es geht nicht.“ Es bestünde auch die Möglichkeit direkt die Schweizer Notrufnummer 144 zu wählen. Zimmermann: „Die erste Frage lautet: Wo ist der Notfallort. Ist er auf deutschem Grund und Boden, heißt es: ‚wir verbinden Sie mit der zuständigen integrierten Leitstelle.‘“
Eine Möglichkeit: Die Funklöcher stopfen
Die Lösung ist nach seiner Einschätzung praktikabel, aber nicht optimal. Europaweit gilt die 112, nicht aber in der Schweiz. Das Problem wäre komplett behoben, wenn auch die Schweizer die 112 etablieren würden. Zimmermann: „Die 112 müsste auf die medizinische Seite geroutet werden. Und nicht zur Polizei.“
Eine weitere Option: Wenn die Mobilfunkanbieter alle Funklöcher im Grenzgebiet stopfen, hätte die Diskussion ein Ende. Tatsächlich ist auf der kürzlich von der Bundesnetzagentur veröffentlichten Karte ein weißer Fleck über Nack zu sehen. Keiner der drei großen deutschen Mobilfunkanbieter kann in diesem Bereich ein Signal senden.