Seit Beginn des Herbstsemesters bietet die Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Waldshut einen neuen Studiengang an. Die Physician Assistance (PA/Arztassistenz) ist als berufsbegleitendes Aufbaustudium nah an der Praxis orientiert. Konzipiert ist dieses Modul für ausgebildete Fachkräfte aus dem Gesundheitssektor.

Wir sprachen mit einer Studentin, einer Hausärztin, dem Vorsitzenden des ärztlichen Kreisvereins Christoph von Ascheraden und der Kassenärztlichen Vereinigung über die Chancen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung im Landkreis Waldshut.
Langjähriger Medzinier: PA könnten Ärzte entlasten
Christoph von Ascheraden (St. Blasien), Vorsitzender des ärztlichen Kreisvereins Waldshut-Bad Säckingen, hat zwar vor neun Jahren seine Praxis geschlossen, ist aber weiter aktiv in der Vertretung ärztlicher Interessen sowie in der Kinderheilkunde eines Kurheims. Er sieht die PA in einer wichtigen Rolle, um Ärzte künftig zu entlasten.
„In den Praxen sind 30 Prozent nichtärztliche Aufgaben“, macht er deutlich. Hinzu kämen Herausforderungen durch Digitalisierung und die immer schneller Fortschreitende Nutzung künstlicher Intelligenz (KI). „Wir brauchen dringend Fachkräfte, die dafür spezialisiert sind. Physician Assistance könnten Ärzte in der Praxis entlasten.“ Der duale Ansatz entlang der praktischen Tätigkeit sei der richtige Weg.
Einige Aufgaben sollen aber bei Ärzten bleiben
Es gebe allerdings viele Aufgaben, die ausschließlich Ärzten vorbehalten sein sollten, weil die ein hohes Maß an Verantwortung tragen. „Eine PA kann delegierte Aufgaben wahrnehmen, aber keine Aufgaben von Ärzten übernehmen“, macht er deutlich.
Die Haftpflicht der Ärzte sei hier ein großes Thema. Schon heute würden Medizinische Fachangestellte (MFA) wichtige Aufgaben in Praxen übernehmen. Im neuen Berufsbild der PA sieht von Ascheraden indessen keine Konkurrenz zu Ärzten.
„Wichtig wird sein, mögliche Synergien bei der Weiterbildung in beiden Berufen zu nutzen.“ Aufgrund der anhaltenden Probleme in der medizinischen Versorgung sei auf Dauer eine strikte Trennung von Arzt, PA und MFA allerdings nicht zu halten.
So sieht die Praxis eines PA aus
In der Hausarztpraxis von Stefanie Ruch in Wutöschingen ist eine der Studentinnen in den Praxisalltag integriert. Sie arbeitet hier seit 2021 als Gesundheits- und Krankenpflegerin. „Ich habe zuvor in mehreren internistischen Abteilungen in verschiedenen Kliniken gearbeitet“, erzählt sie. Sie wollte sich aber schon immer weiterbilden, vor allem im medizinischen Bereich.
Für sie war es daher „ein großes Glück“, dass Stefanie Ruch sie eingestellte. „Als wäre es Schicksal gewesen, kam eines Tages die Information, dass Waldshut an der FHM den Studiengang Physician Assistance anbietet. „Für uns beide war sehr schnell klar, dass dies für Stefanie Heckel ein großer Wunsch und für mich und meine Praxis eine tolle Option ist, die ich natürlich gerne unterstütze.“
Das Fachwissen und die Kompetenzen, die sie in diesem Studiengang erwerbe, kämen den Patienten und der Praxis zugute. „Sie wird nach dem Studium als Schnittstelle zwischen Patienten und Arzt eingesetzt werden. Sie kann meine Arbeitsbelastung reduzieren, indem sie delegierte Aufgaben übernimmt, die sie unter meiner Verantwortung durchführt.“ Aus diesem Grund steuert die Ärztin auch einen Teil der Studiengebühren bei.
Theorie in der Arztpraxis umsetzen
Stefanie Heckel schätzt den Wechsel von Theorie und Praxis während ihres Studiums: „Theoretisch Gelerntes ist auf diese Weise schnell praktisch umsetzbar.“ Eine große Herausforderung ist für die zweifache Mutter das Zeitmanagement. „Zwischen Beruf, Familie, Ehemann, zwei Kindern und Studium, macht man an einigen Tagen doch einen großen Spagat“, erzählt sie aus ihrem Alltag.
Nach Abschluss ihres Bachelor-Studiums würde sie gerne im ambulanten Bereich tätig bleiben. „Mein Ziel ist es, mehr Verantwortung übernehmen zu dürfen, bei der Diagnostik zu unterstützen und der ärztlichen Seite zu zuarbeiten.“ Weil sie bereits jetzt viel Rückhalt von der Ärztin und dem Team erfährt, sieht sie ihre Zukunft in dieser Hausarztpraxis.
Das sagt die Kassenärztliche Vereinigung
Martina Troescher vom Stabsbereich Kommunikation bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, erläutert die Sichtweise der KV. Die ambulante Versorgung stehe aufgrund des Nachwuchs- und Fachkräftemangels unter Druck. Die Rolle von nichtärztlichem Praxispersonal spiele bei der Entlastung der niedergelassenen Ärzte eine immer größere Rolle, so auch die Unterstützung durch Physician Assistants.
Sie böten dem Arzt, wie auch den Nichtärztlichen Praxisassistentinnen (NäPA) eine Möglichkeit, bestimmte Aufgaben zu delegieren. Die PA bekommen medizinische Aufgaben übertragen, der Arzt stelle dabei sicher, dass der Arztassistent aufgrund seiner Qualifikation oder allgemeinen Fähigkeiten und Kenntnisse geeignet ist. Die Haftung und Verantwortung ist geregelt. Verantwortlich ist der Arzt, in dessen Auftrag der PA handelt.
Das Berufsbild des Physician Assistance sei in der ambulanten Versorgung noch relativ neu, so die Sprecherin der KV. Wichtig wäre, dass die Assistenzberufe mehr Wertschätzung erfahren sowie ihre wertvolle Arbeit in der Vergütung ärztlicher Leistungen adäquat berücksichtigt werde, heißt es in der Stellungnahme der KV weiter.
Mit dem Studium leistet die FHM Pionierabeit
Professor Christopher Grieben, an der FHM Waldshut verantwortlich für den Bereich Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement, erläutert Ausbildung und Zukunftschancen der Physician Assistance.

Herr Grieben, wie ist das Lehrprogramm strukturiert, welche Fächer sind besonders wichtig?
Der Bachelorstudiengang Physician Assistance ist als berufsbegleitendes, praxisnahes Aufbaustudium für ausgebildete Fachkräfte aus dem Gesundheitssektor konzipiert. An der Fachhochschule des Mittelstands erwerben die Studenten in drei Jahren ihren akademischen Abschluss, stehen gleichzeitig ihrem Arbeitgeber zur Verfügung und sammeln dabei wertvolle Praxiserfahrung. Besonders spannende Inhalte des Studiums sind die Module „Konservative und operative Medizin“, „Labor- und Funktionsdiagnostik“ sowie „Notfallmanagement und Notfallmedizin“. Sie vermitteln essenzielle medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten, die für den Berufsalltag im Bereich Physician Assistance von entscheidender Bedeutung sind.
Welche Maßnahmen werden ergriffen, um die Qualität der Ausbildung zu gewährleisten?
Professoren und regional verortete Dozenten bringen sowohl umfassende Praxiserfahrung als auch wissenschaftliche Expertise mit. Dazu legen wir großen Wert auf kleine Lerngruppen, die eine intensive und individuelle Betreuung garantieren.
Welche Unterstützungsmöglichkeiten bietet die Hochschule den Studenten?
Als kompetenzorientierte Hochschule qualifizieren wir die Studenten sowohl fachlich als auch persönlich und unternehmerisch. Auf diese Weise ermöglichen wir allen Absolventen, auch in veränderten oder neuartigen Situationen, erfolgversprechende Handlungsstrategien zu entwickeln.
Welche Möglichkeiten haben Absolventen nach Abschluss des Studiums?
Sie können Aufgaben übernehmen, die traditionell Ärzten vorbehalten waren – basierend auf dem Delegationsmodell der Bundesärztekammer. Der Studiengang bereitet sie darauf vor, ärztliche Tätigkeiten unter Anleitung zu übernehmen und eigenständig Patienten zu betreuen. Besonders Krankenhäuser und Medizinische Versorgungszentren (MVZ) setzen auf unsere Absolventen. Auch in ambulanten Praxen und Rehabilitationskliniken sind sie zunehmend gefragt, da sie die Qualität der Patientenversorgung verbessern und effizientere Arbeitsabläufe unterstützen.
Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung des Berufsbildes und der Ausbildung?
Angesichts des zunehmenden Ärztemangels, der alternden Bevölkerung und des steigenden Bedarfs an medizinischer Versorgung wächst der Bedarf an qualifizierten Fachkräften, die Ärzte unterstützen und Aufgaben in der Patientenversorgung übernehmen können. Es ist zu erwarten, dass Physician Assistants künftig eine noch zentralere Rolle in der Gesundheitsversorgung einnehmen werden. Mit diesem neuen Studienangebot gehören wir deutschlandweit zu den Pionieren. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Region davon unmittelbar profitieren wird.