Nach und nach fahren immer mehr Autos auf den Parkplatz beim Auto-Waschpark Top Car im ehemaligen Lonza-Gelände. Es sind ältere Automodelle, doch man sieht, dass an ihnen herumgeschraubt wurde: Sie liegen tiefer oder sind mit Stickern versehen – nach einem lauten Motor horcht man allerdings vergeblich.
Es ist ein regnerischer Mittwoch-Nachmittag, die meisten hier kommen von der Arbeit: Elektriker, Kfz-Mechaniker, Maschinenbau-Studenten, auch ein Postbote. Sie zünden sich Zigaretten an, öffnen Dosen mit Energy Drinks, der penetrant süße Duft steigt sofort in die Nase.
Es sind junge Männer, bärtig und in Hoodies – auf einem steht „Tuning is not a crime“, „Tuning ist kein Verbrechen“. Die neun Jungs kennen sich aus der Szene, mancher hat seine Freundin mitgebracht. Der Besitzer des Waschparks hat den Tunern erlaubt, sich regelmäßig auf dem Parkplatz zu treffen. „So lang wir den Betrieb nicht stören, dürfen wir hier auch einen Grill aufstellen und es uns gemütlich machen“, sagt Oliver.
Der 18-Jährige kommt aus Ühlingen. Selber hat er noch keinen Führerschein, aber eine Instagram-Seite, die sich der Tuning-Szene in der Region widmet. Er hat das Treffen zwischen den Tunern aus dem Kreisgebiet und dem SÜDKURIER arrangiert. Sie hoffen, durch einen Bericht in der Zeitung mehr Verständnis für ihr Hobby zu schaffen – vor allem bei den Leuten, die etwas zu sagen haben. Denn erst kürzlich musste eine geplante Zusammenkunft der Szene beim McDonald‘s-Parkplatz im Gewerbegebiet Kaitle abgesagt werden.
Schwarze Schafe in der Tuning-Szene
Zuletzt war die Tuning-Szene ordentlich unter die Räder geraten. Zu groß wurde der Andrang zu den inoffiziellen Treffen der Autoliebhaber im Bodenseeraum. Der Begriff Tuning wurde mit negativen Konnotation aufgeladen: heulende Motoren, Lärmbelästigungen in Wohngebieten, Straßenrennen, Geschwindigkeitsüberschreitungen und Burnouts, also rauchende Reifen.

Wer der Gruppe zuhört, die sich beim Top Car trifft, erhält den Eindruck, dass die Tuner den selben Feind haben wie die Menschen, die wegen der Tuning-Szene besorgt sind. „Die Leute, die andauernd Burnouts machen und driften, wollen wir auch nicht bei uns. Wir wollen einen ruhigen Abend ohne Krawall und Stress“, sagt Erik. Der 27-Jährige aus Erzingen ist schon länger Mitglied der Szene. Er beobachtet, dass die unangenehm auffälligen Autos oft aus der Schweiz kommen. „Hier prahlen sie mit ihren Autos und eskalieren, weil die Strafen in der Schweiz viel höher sind als bei uns. Aber wegen denen stehen wir oft als Idioten da“, findet er.
Denn eigentlich seien die Tuning-Treffen harmlos: Camping-Stühle stehen vor den Autos, man tauscht sich aus. Es sind inoffizielle Treffen, bei denen Gleichgesinnte zusammenkommen, die ihre Leidenschaft teilen. So entsteht bei den Treffen ein Netzwerk an Autoliebhabern, Erik spricht sogar von einer Gemeinschaft, einer Familie. Aber nicht nur die menschliche Ebene steht im Mittelpunkt, „sonst könnten wir uns ja alle zuhause treffen – auch wenn das ein großes Wohnzimmer sein müsste“, so Erik.
Es ist auch die Technik, die fasziniert. Paul erzählt, dass er sich, seit er denken kann, für Autos interessiert. Der 23-Jährige hat die klassische Entwicklung eines Tuners durchgemacht: Auf Facebook postete er in seiner Jugend noch Fotos seines Mofas, später waren es Auto-Bilder. Wie viele Tuner will er eben nicht nur in seiner Garage alleine an seinem Auto rumschrauben, sondern seine Fortschritte dann auch bei Treffen präsentieren. „Man holt sich Inspiration bei anderen getunten Autos und hilft sich gegenseitig, wenn man Probleme hat“, sagt Paul.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Tuner lieben nicht nur den Look ihrer Autos und Freundschaften mit Gleichgesinnten – auch das schnelle Fahren hat es ihnen angetan. Allerdings, das wird betont, keine Straßenrennen auf stark befahrenen Straßen. „Wer schnell fahren will, geht auf die Autobahn oder auf die Rennstrecke. Grade in der Innenstadt will man ja sogar eher langsam fahren, um gesehen zu werden“, sagt Erik.
Frustration in der Tuning-Szene
Dennoch: Manche Tuner könnten sich mit dem Auffallen um jeden Preis nicht zurückhalten. „Wegen solchen Leuten haben wir einen schlechten Ruf und können uns nirgends mehr treffen. Jeder Platz, den wir finden, wird uns weggenommen“, erzählt Oliver. So wechseln die Freunde von Parkplatz zu Parkplatz: vom E-Center zur Realschule in Tiengen zum McDonald‘s.
Seit der Asphalt auf dem Parkdeck beim Natura Wohnpark, der viel Platz bieten würde, von Drift-Spuren vernarbt ist, wurde auch dort ein Verbot ausgesprochen. „Obwohl das niemand von uns war, haben wir den Besitzern angeboten, den kompletten Platz zu reinigen. Aber die Gespräche sind im Sande verlaufen“, erzählt Erik.
Die Tuner spüren die Frustration in der Szene, spätestens seit die Stadt Singen eine Allgemeinverfügung erlassen hat, die Tuning-Treffen quasi verbietet. Es ist ein bisschen, als wenn alle Fußballfans Stadion-Verbot für die Ausschreitungen von Hooligans bekommen. „Wir brauchen einfach einen Platz für uns, damit wir unter uns sein können und auch Anwohner nicht gestört werden“, findet Oliver.
Der Rest der Truppe stimmt zu: Ohne offiziellen Rahmen ist mittlerweile keine Lösung mehr zu finden. „Für jede Sportart gibt es einen Platz. Wir haben Fußballfelder, Tennishallen, Bowlingbahnen und Golfplätze in der Region. Manche interessieren sich für Fußball, wir interessieren uns halt für Autos“, sagt Erik. Doch so ein Platz müsste sich erst finden und bestenfalls pachten lassen. Die Tuner könnten den Platz absperren, hätten das Hausrecht, um die Leute rauszuschmeißen, die unangenehm auffallen. „Jeder von uns würde dafür Eintritt zahlen“, sagt Paul.
Rund 400 Tuner-Fahrzeuge im Kreis Waldshut
Solche offiziellen Tuner-Treffen gibt es bereits, doch diese sind oft weit weg und finden nur vereinzelt statt. Doch die Szene ist auch am Hochrhein präsent und sie wird nicht kleiner. Im Landkreis seien sicher mehr als 400 Fahrzeuge den Tunern zuzurechnen, schätzt die Truppe. Mit zunehmendem Dichtestress in Allgemeinverfügungen zieht es auch die Szenemitglieder aus dem Bodenseeraum nach Waldshut-Tiengen.
„Man kann die Tuner nicht hin und her schieben. In jedem Dorf gibt es mittlerweile Tuner, die Leute treffen sich trotzdem. Wir hoffen einfach, dass man uns Tunern eine Chance gibt, uns zu beweisen“, sagt Oliver. Die Aussicht, tatsächlich auf einem Parkplatz, der groß genug ist für die Bedürfnisse der Tuner, die Erlaubnis für die Treffen zu erhalten, schätzt die Truppe dennoch in Anbetracht des schlechten Rufs der Szene als gering ein.
Nach dem Treffen schickt Oliver noch Videos von den Treffen, die zeigen sollen, wie harmlos es eigentlich zugeht. Zu einem schreibt er: „Natürlich driften wir auch.“ Zu sehen ist ein kleines ferngesteuertes Auto, das zwischen einem McDonald‘s-Becher und einer Wasserflasche auf dem Parkplatz des Fast-Food-Restaurants driftet.