Die Landwirte auf dem Hotzenwald sind besorgt und teils auch frustriert, nachdem sich innerhalb kürzester Zeit ein weiterer Angriff auf eine Kuh ereignet hat. Am 1. Juni war in Herrischried ein Rind von einem Tier angefallen und heftig verletzt worden – mutmaßlich von einem Wolf, wie zunächst angenommen wurde.
Doch das baden-württembergische Umweltministerium winkt jetzt ab: Weitere Untersuchungen hätte keine Hinweise auf einen Wolf ergeben, wird in einer Pressemitteilung informiert.
Das Ergebnis verwundert freilich nicht: Denn das Umweltministerium hatte bereits nach dem Angriff auf die Kuh mitgeteilt, dass eine genetische Untersuchung auf Grund von Wundreinigung und Desinfektion durch den Tierarzt nicht mehr möglich sei. Die Spurenlage war somit wohl äußerst dürftig für einen Nachweis.

Landwirte wollen der Entwarnung nicht glauben
Auch Landwirte wollen der Entwarnung durch das Ministerium nicht so recht Glauben schenken. Bernhard Schleicher, Stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbandes Säckingen des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbandes (BLHV), geht weiter davon aus, dass es sich um ein Wolf handelt.
Das ist für ihn aus zwei Gründen die plausibelste Erklärung: Zum einen wegen der tellergroßen, gerissenen Wunden, zum anderen wegen des nachgewiesenen Wolfsrisses am 23. April auf dem benachbarten Dachsberg.
Welches Tier kann einer Kuh tellergroße Wunden zufügen?
Der Mutterkuh in Herrischried sind große Wunden im Genitalbereich zugefügt worden. Die zehnjährige Kuh erhole sich zwar langsam wieder, sagte der betroffene Landwirt Alexander Matt. Er und sein Vater Ewald Matt führen die Landwirtschaft im Nebenerwerb. Aber die Kuh werde kein Kalb mehr austragen könne, meint Matt.
Eine Entschädigung wird es nicht geben, da ein Wolfsangriff nicht zweifelsfrei nachgewiesen wurde. Aber welches Tier hätte sonst die Kuh so heftig verletzten können? Eine Hund, wie Pressesprecher Matthias Schmidt vom Umweltministerium gegenüber dem SÜDKURIER vermutet? Das halten Alexander Matt und Bernhard Schleicher im Gespräch mit dem SÜDKURIER jedoch für unwahrscheinlich.
Das passiert, wenn Bauern resignieren und aufhören
Die Bauern auf dem Hotzenwald seien beunruhigt, berichten Matt und Schleicher. Unter den Landwirten seien diese heftigen Bissattacken natürlich Gesprächsthema. „Vielen sagen, wenn das weitergeht, dann höre ich auf“, berichtet Schleicher. Und was das bedeutet, erklärt Alexander Matt: Weniger Bauern, weniger Landschaftsoffenhaltung – „schlussendlich werden nur noch die Gunstlagen bewirtschaftet, der Rest verwildert“.
Ohne Freilauf auf der Weide kein Bio-Rind
Die Krux an der Sache ist folgende: Viele Landwirte der Region setzen heute auf Bio-Weiderind und sind Mitglieder der Erzeugergemeinschaft. Kommt die Kuh jedoch zum Schutz vor dem Wolf in den Stall, ist Schluss mit dem Bio-Weiderind-Siegel, erklärt Alexander Matt, lässt man sie aber draußen, muss ein Wolfsschutzzaun her.
Der Auf- und Abbau im Frühjahr und Herbst sei ein immenser Mehraufwand für Landwirte, die sich ohnehin schon von unzähligen Verordnungen gegängelt fühlen, wie Schleicher berichtet.

Alexander Matt hat seine Rinder nach dem Angriff am 1. Juni zunächst nachts in den Stall gebracht. Diese Woche kommen sie auf eine andere Weide. Und dort wird er einen provisorischen Wolfszaun anbringen.
Er hat vier Litzen statt üblicherweise zwei montiert, also stromführende Drähte. Dies soll jetzt erst mal als Sofortmaßnahme helfen. Matt hat 40 Rinder und bewirtschaftet 40 Hektar. Inwieweit er weiter gegen den Wolf aufrüste, werde sich zeigen.
Naiv-romantische Vorstellung vom Kuscheltier „Wolf“
Die beiden Landwirte schütteln den Kopf angesichts der Haltung gegenüber dem Wolf. Da sei doch vielfach eine naiv-romantische Vorstellung verbreitet, meinen die beiden. Schleicher: „Aber der Wolf ist kein Kuscheltier“. Der Staat lasse das Raubtier gewähren, der Bauer müsse die Zeche zahlen.
Umweltministerium: Lassen die Landwirte nicht alleine
Dem widerspricht Matthias Schmidt vom Umweltministerium in Stuttgart. Die Landwirte würden nicht alleine gelassen. Es gebe vielfältige Hilfen des Landes. Der Wolf sei zu keiner Zeit aktiv angesiedelt worden, er sei in den vergangenen Jahren einfach zugezogen und habe sich auf natürlich Weise hier angesiedelt.

Das Land habe darauf reagiert, in den Fördergebieten Wolfsprävention würden Schutzmaßnahmen deshalb gefördert, so Schmidt. Wo ein Wolf gesichtet sei, empfehle das Ministerium allen Landwirten, entsprechende Zäune aufzustellen. Er weiß, dass das Thema sehr emotional diskutiert werde, sagte Schmidt.
3959 Wolfsangriffe in einem Jahr
Der Wolf war nach seiner Ausrottung fast 200 Jahre nicht mehr Bestandteil des heimischen Waldes. Nach der Wiedervereinigung und dem Fall der Mauer wanderte er aus Osteuropa in den 90er Jahren wieder ein. Fest steht, dass das Raubtier seit seiner Wiederansiedlung großen Schaden angerichtet hat.
Die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes hat alleine für das Jahr 2020 deutschlandweit 3959 Wolfsübergriffe mit getöteten oder verletzten Beutetiere dokumentiert.
Doch was ist der Nutzen des Wolfes, der seine strenge Unterschutzstellung begründet? Matthias Schmidt erklärt es so: Er sei nun wieder natürlicher Bestandteil der heimischen Artenvielfalt, die Natur verändere sich und der Wolf habe als Spitzenpredator (Räuber ganz oben in der Nahrungskette) die natürliche Funktion, die Natur im Gleichgewicht zu halten.