Das Urteil im viel beachteten Prozess um den verstorbenen Säugling aus Bad Säckingen in Waldshut ist gefallen. Der 32-jährige Vater wird freigesprochen und für die U-Haft auf Kosten der Staatskasse entschädigt.
Urteil folgt weitgehend Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung
Am Ende war das Urteil keine Überraschung mehr. Der 32 Jahre alte Angeklagte, dem vorgeworfen wurde, Ende Mai sein damals sechs Wochen altes Baby getötet zu haben, hat das Gerichtsgebäude in Waldshut am Dienstag als freier Mann verlassen.
Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen folgte mit diesem Urteil den gleichlautenden Plädoyers von Verteidiger und Staatsanwalt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse; für seine Zeit in Untersuchungshaft von Anfang Juni bis jetzt erhält der Mann eine Entschädigung. Mit diesen beiden finanziellen Entscheidungen entsprach das Gericht nicht den Wünschen des Staatsanwaltes. Er wollte den Mann weder entschädigen, noch die Verfahrenskosten dem Staat aufbürden.
Zur Urteilsverkündung wurde der Angeklagte bereits ohne die Fußfesseln in den Gerichtssaal geführt, die ihn zu den vorangegangenen Sitzungen stets angelegt worden waren.
Tötungsdelikt unstrittig, Schuldfrage bleibt ungeklärt
Martin Hauser, der Vorsitzende des Schwurgerichts, machte in seiner Urteilsbegründung deutlich, dass es der Kammer nicht möglich war, die Gewaltanwendung, die letztlich zum Tod des Babys führte, tatsächlich dem Angeklagten zuzuschreiben. „Es kann nur eines der beiden Elternteile gewesen sein, wir wissen aber nicht, wer“, sagte Hauser, der wenig später bekannte: „Wir sind im Zustand der Ratlosigkeit.“
Deshalb müsse das Gericht zugunsten des Angeklagten annehmen, dass es die Kindsmutter war. Doch auch ihr könne es nicht nachgewiesen werden.
Dabei, so der Richter weiter, sei es aus Sicht der Kammer unstrittig, dass es ein Tötungsdelikt gewesen sei. Denn ohne die künstliche Beatmung im Uni-Kinderspital beider Basel wäre das kleine Mädchen bereits am 31. Mai gestorben.
Opfer war großer Gewalt ausgesetzt
Was zuvor – mutmaßlich in der Wohnung der Familie in Bad Säckingen – geschehen war, lasse sich nicht zweifelsfrei erklären. Unstrittig sei, dass das Kind einer heftigen Drehbewegung am Oberarm und einer ganz massiven Kraftausübung auf den Oberkörper ausgesetzt gewesen sei.
Am wahrscheinlichsten sei, dass das Kind geschoben oder geworfen wurde und dabei mit dem Kopf auf eine weiche Unterlage prallte, wodurch sich der Kopf zur Brust einrollen konnte und der Rumpf nach vorne geschoben wurde. Das habe dann letztlich zur Überdehnung und zum Bruch der Wirbelsäule geführt.
Plädoyers am Vormittag: Staatsanwalt und Verteiger fordern Freispruch
Erwartungsgemäß haben Staatsanwalt und Strafverteidiger unterschiedliche Blicke auf die Geschehnisse am frühen Abend des 31. Mai in einer Wohnung in Bad Säckingen. In der juristischen Einschätzung aber decken sie sich.
Übereinstimmend haben Staatsanwalt und Verteidiger einen Freispruch für den 32-jährigen Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags seiner sechs Wochen alten Tochter gefordert. Dabei hat die Beweisaufnahme aus Sicht von Oberstaatsanwalt Christian Lorenz unzweifelhaft ergeben, dass die Verletzungen, die letztlich zum Tod des Babys geführt hatten, absichtlich herbeigeführt worden waren.
Verteidiger Jens Janssen hingegen beschrieb gleich mehrere Unfallszenarien, die ebenfalls mit der von den Gerichtsmedizinern angeführten massiven und schnellen Gewalteinwirkung auf den Körper des Babys in Einklang gebracht werden könnten. Auch führte er Indizien an, die dafür sprechen, dass diese Gewalt von der Kindsmutter ausgeübt wurde.
„Pure Grausamkeit“
„Pure Grausamkeit ist dem Kind widerfahren“, interpretierte der Oberstaatsanwalt die Schilderung der Gerichtsmediziner, nach denen sowohl die einige Zeit vor dem 31. Mai aufgetretenen Beinbrüche des Mädchens als auch die Verletzungen, die letztlich zu dessen Tod führten, Folge ganz massiver Gewalteinwendungen sein müssen. „Das Verletzungsbild ist nicht mit einer Fehlreaktion zu erklären; es ist nur noch grausam“, sagte Lorenz.
Sprachlos mache allerdings, „dass man hier gegen eine Mauer des Schweigens prallt; ich sehe hier niemanden, keine Nebenklage, kein Interesse an Aufklärung.“ Um die entstandene Grausamkeit anschaulich zu machen, zitierte Lorenz aus einem Brief der leitenden Ärztin der Intensiv-Abteilung im Uni-Kinderspital beider Basel ans Jugendamt. Demnach würde das Kind lebenslang gelähmt bleiben, es müsse lebenslang künstlich beatmet werden und die Verdauung wäre lebenslang erschwert.
Die Frage aber sei, ob der Angeklagte dafür verantwortlich gemacht werden könne, sagte Lorenz. Und da zitierte der Oberstaatsanwalt den griechischen Philosophen Sokrates: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.
Eltern schweigen
Die Eltern hätten wohl einen Pakt des Schweigens geschlossen. Beide wüssten, was geschehen sei und sagen es nicht. Dass sich das Kind verschluckt habe und deshalb geschüttelt wurde, sei „eine Erklärung, die nicht passt“. Wie später auch der Verteidiger, betonte der Oberstaatsanwalt mehrfach, dass es das Recht der Eltern sei, die Aussage zu verweigern. Dies führe aber dazu, dass dem Angeklagten die Tat nicht nachzuweisen sei. Er müsse freigesprochen und der Haftbefehl müsse aufgehoben werden.
Allerdings solle er keine Haftentschädigung erhalten. Der Angeklagte habe versucht, mit einer „erfundenen Story“ vom tatsächlichen Tatverlauf abzulenken. Dafür sehe das Gesetz keine Entschädigung vor.
Abschließend zeigte sich Lorenz „nachhaltig beeindruckt“ von der Fürsorge und den Bemühungen im Uni-Kinderspital beider Basel um das Kind. „Weil das Schicksal dieses Kindes niemanden loslassen kann“, sei das Resümee dieser Verhandlung ein bitteres, meinte er.
Verteidiger führt Unfallgeschehen an
Diese Einschätzung liegt nicht weit entfernt von jener des Strafverteidigers. Der aber betonte auch, dass das grobe, massive Einwirken auf den Babykörper nicht zwingend absichtlich und vorsätzlich ausgeübt worden sein musste. So schloss er nicht aus, dass das Baby irgendjemandem vom Wickeltisch gefallen sei und sich die Beine beim Versuch gebrochen habe, es an den Beinen aufzufangen. „Es kommt vor, dass ein Kind vom Wickeltisch fällt“, sagte er, ohne näher auf diesen Fall einzugehen, der sich einige Zeit vor dem 31. Mai ereignet haben muss.
Janssens Folgerung daraus aber übertrug er auf die Geschehnisse an jenem Tag: „Es gibt Möglichkeiten, dass es sich um einen Unfall handelt.“ Die schweren Halswirbelverletzungen habe sich das Baby auch zuziehen können, als jemand nach einem ungeschickten Stolperer versucht habe, es zu packen und zu halten. Nicht ausgeschlossen sei auch, dass eines der Elternteile geschubst worden sei und „dadurch die Kette in Gang gekommen sei“.
Für diese Version würde eine Sprachnachricht auf dem Handy der Kindsmutter sprechen. „Für den Schubser können wir nicht den Ärzten die Schuld geben; reden wir keinen Scheiß daher“, hatte die Kindsmutter wenige Tage nach dem 31. Mai am Telefon zu einer Freundin gesagt.
Nicht widerlegen, so Jansen weiter, lasse sich auch die These eines fehlerhaften Rettungsversuchs. Schließlich würden beide Elternteile übereinstimmend von einem Atemstillstand des Babys reden. Solch ein Atemstillstand, so sagte die Rechtsmedizinerin vor Gericht, komme bei Säuglingen häufig vor.
Nach kurzer Zeit nehme das Baby die Atmung dann wieder auf. Denkbar, so der Anwalt, sei, dass die völlig verzweifelten Eltern zu Hause und/oder auf der Fahrt ins Krankenhaus im Schweizer Rheinfelden alles unternommen haben, um die Atmung ihrer Tochter wieder in Gang zu setzen.
War es doch die Mutter?
Sollte das Gericht die Tat einem der beiden Elternteile zuordnen wollen, dann, so der Rat des Anwalts, solle es wieder in die Beweisaufnahme eintreten und dabei an einen Satz des ermittelnden Polizeibeamten denken: „Es gibt nichts, was die Täterschaft der Frau ausschließt“.
Und so listete Janssen eine Reihe von Indizien auf, welche dafür sprechen, dass die massive Gewalt von der Kindsmutter ausgeübt worden sein könnte. „Das Schlimmste, was einem Menschen passieren konnte, ist diesem Menschen passiert“, sagte Janssen schließlich noch über seinen Mandanten.
Kommen die Plädoyers überraschend?
Nein, bereits am Montag hatte die Verteidigung darüber informiert, auf Freispruch zu plädieren. Zuletzt hatte sich im Prozess aufgrund von Zeugenaussagen eine mögliche Wende abgezeichnet.