Luttingen Leise, sehnsuchtsvoll und wehmütig tönte der Klarinettenklang von Weitem ans Ohr. Langsam kam Helmut Eisel spielend durch den Saal der Luttinger Pfarrscheuer in Richtung Bühne. Dann stiegen seine beiden Mitmusiker, der Kontrabassist Stefan Engelmann und der Gitarrist Juan Pablo Gonzalez-Tobón, mit ein, immer schneller im Rhythmus. Mit zwei traditionellen Melodien der Klezmer-Musik, darunter dem munter-fröhlichen „Bukowina Freilach“, eröffneten Helmut Eisel und JEM ihr Konzert bei den Kulturtagen „Fliessende Grenzen“.

Helmut Eisel erwies sich dabei als Geschichtenerzähler im doppelten Sinn. Zum einen musikalisch mit seiner „sprechenden Klarinette“, die er so facettenreich einsetzt und mal ausgelassen tanzen, lachen und juchzen, mal elegisch klagen lässt. Zum anderen erzählt der 70-Jährige in seiner Moderation gern Geschichten aus dem Leben, Episoden, die ihm beim Unterwegssein als Musiker passiert sind und ihn zum Schreiben von Stücken anregen.

Das Programm „KlezFire!“ besteht aus Melodien der osteuropäischen Klezmer-Tradition, Eisels eigenen Stücken sowie Kompositionen weiterer Triomitglieder: ein spannender Mix aus Klezmer und Jazz, der geprägt ist durch Eisels virtuosen und ausdrucksstarken Klarinettenklang, Engelmanns verlässlichen Bass-Groove und Gonzalez‘ nuancenreiches Gitarrenspiel.

In seinem Stück „All I Had Left Was The Taragot“ spielt Eisel auf ein ursprüngliches altes Hirteninstrument an. Mit der weichen, etwas klagenden Melodie erzeugt er eine besondere Stimmung, die ihn an sein Stummfilmkonzert im Filmmuseum Potsdam im Frühling 2024 erinnert. Dieses konnte er nur mit Bassklarinette und Tárogató spielen, weil ihm zuvor seine zwei wichtigsten Klarinetten aus dem Auto gestohlen worden waren.

Nach einer Online-Verkaufsanzeige kamen die Instrumente wieder zurück zu ihm, doch die eigentlichen Diebe seien nie gefunden worden. Seiner Freude über die Wiederkehr der verschwundenen Klarinetten ließ Eisel in dem Stück „The Talking Clarinet Is Back“ freien Lauf. Mit vitalem Rhythmus, übersprudelndem Elan und tänzerischer Spiellaune feiert Eisel mit seinen Mitmusikern die Rückkehr der gestohlenen Schätze. Und die Klarinette hebt zu mitreißendem und ekstatischem Jauchzen an – mit einem bewusst ungewöhnlichen Schlusseffekt.

In anderen eigenen Stücken wie „A Short Freilach“ oder „Yoram‘s Freilach“ greift der versierte Klarinettenvirtuose die traditionellen, lebensfrohen, tänzerischen Stücke des Klezmer-Repertoires auf und führt sie mit ganz eigenem Klang und frischen Interpretationen ins Heute. Lebensfreude und überschwängliche Spiellaune charakterisieren diese Freilach-Stücke, in denen Eisel und seine Mitmusiker alles an Energie, Temperament und Improvisationslust einbringen.

Der neue formidable Gitarrist Gonzalez, der aus Kolumbien stammt und seit einigen Jahren im Saarland lebt, hat ein Stück für die Formation geschrieben: „Tunel“ mit schönen melodischen Einfällen und lateinamerikanischem Touch. Nicht nur die Klarinette, auch die Gitarre lässt hier mit raffinierten, auch kräftigen Akzenten aufhorchen. Auch von dem gestorbenen früheren Gitarristen des Ensembles, Michael Marx, waren an diesem Abend Stücke zu hören, etwa „Jonathan Mausebär“, das er für seinen Enkel geschrieben hat. Ein liebevolles, persönliches Stück, gespielt voller Wärme, gefühlvoll mit weichem Klarinettenton, sattem, warmem Bass und feinsinnigem Gitarrenklang: eine Erinnerung an den geschätzten, unvergessenen Kollegen.