Herr Brüstle, in Ihrem Lebenslauf finden sich allerhand Stationen, aber keine Pfarrstelle.
(lacht): Das stimmt, als Pfarrer bin ich ein Greenhorn. Abgesehen von den fünf Vikarsjahren, also den Lehrlingsjahren, habe ich immer Sonderaufgaben übernommen, war im Schuldienst tätig und viel in der Glaubens- und Lebensbegleitung. Ein typischer Pfarrer bin ich wirklich nicht.
Dennoch werden Sie mit 47 Jahren nun einer. Wie kommt‘s dazu?
Normalerweise sollen wir alle zehn Jahre die Stelle wechseln. Ich war schon im elften Jahr als Spiritual im Erzbischöflichen Priesterseminar tätig und somit längst überfällig.
Das heißt, Sie haben sich Rheinfelden gar nicht selbst ausgesucht, sondern wurden versetzt?
Oh doch. Es waren mehrere Pfarrstellen offen und je mehr ich mich mit Rheinfelden beschäftigt habe, desto mehr wuchs mein Interesse. Zumal ich als Kind ab und an mit meinen Eltern hier war. Ich habe vor der Entscheidung zwei, drei Tage in der Stadt verbracht – inkognito auf der Pirsch sozusagen (lacht). Dann habe ich mich umgehört, was man so über Rheinfelden erzählt.
Und das wäre?
Rheinfelden weist eine hohe Diversität auf, ganz unterschiedliche Menschen leben und arbeiten hier. Die Homepage der Seelsorgeeinheit, aber auch die Aushänge in den Kirchen haben mir gezeigt, dass hier überdurchschnittlich innovativ gearbeitet wird, das hat mich total angesprochen. Aber ganz wichtig war mir, dass ich ein Votum vom Gemeindeteam und dem Pfarrgemeinderat bekomme. Also folgten noch Gespräche, die sehr gut verlaufen sind und mir ein gutes Gefühl geben. Die Chemie hat sofort gestimmt.
Die Seelsorgeeinheit umfasst sieben Pfarrgemeinden, acht Kitas, Gemeindehäuser – das alles müssen Sie auch managen.
Das stimmt, die Verantwortung ist groß. Aber ich habe vor, Aufgaben mit dem Team zu teilen, Ressorts für die unterschiedlichen Bereiche zu bilden. Klar, die Fäden laufen bei mir zusammen – da ich einen kaufmännischen Hintergrund habe, traue ich mir das zu.
Wie – gehört das zum Studium der Theologie?
Nein, aber meine Eltern wollten, dass ich nach dem Realschulabschluss erstmal ‚was G‘scheits lerne‘(lacht). Das haben übrigens auch meine Geschwister zu mir gesagt. Ich wäre der erste aus der Familie gewesen, der studiert. Deshalb habe ich zunächst eine Ausbildung zum Bürokaufmann absolviert. Aber mit dem Gedanken, Pfarrer zu werden, habe ich immer gespielt und wurde auch von meiner damaligen Kirchengemeinde ermutigt.
Ein großer Schritt, der auch Auswirkungen aufs Private hat.
Sicher, ich höre gerade bei jüngeren Menschen, die vor dieser Entscheidung stehen, häufig Bedenken. Kann ich ein Seelsorger sein? Will ich meinen Glauben zum Beruf machen und damit auch in der Öffentlichkeit stehen? Kann ich ehelos leben?
Sie haben alle diese Fragen für sich mit Ja beantwortet.
Ja. Ehelos leben heißt ja beispielsweise nicht beziehungslos. Und ich bin ein Beziehungstyp. Ich umgebe mich gerne mit Menschen, gehe gerne essen, ins Kino. Ich brauche den Austausch. Wobei ich leider feststelle, dass man als Pfarrer auf einer Party schnell zum Stimmungskiller wird.
Warum das?
Wenn die Gespräche auf die Institution Kirche kommen, wird es häufig ernst, etwa wegen der Missbrauchsskandale oder auch dem verschwenderischen Umgang mit Geld in einigen Bistümern.
Um Finanzen geht es auch bei der Gemeindereform Pastoral 2030. Es sollen größere Einheiten gebildet werden, auch Kirchen oder Gemeindehäuser kommen auf den Prüfstand. Viele Mitglieder sind verunsichert, was die Zukunft angeht.
Das ist richtig, und die Veränderungen werden teilweise schmerzlich werden. Das Gemeindeleben, wie man es jahrzehntelang kannte, ist vorbei. Ich habe keine Lösung im Gepäck, aber ich bin doch zuversichtlich, dass wir in Rheinfelden einen Weg finden, dass es funktioniert.
Woher nehmen Sie die Zuversicht?
In Rheinfelden, so glaube ich, gibt es viele Menschen, die mitsorgen. Das zeigen mir Hinweise auf Besuchsdienste für ältere oder kranke Menschen, aber auch das Engagement während der Corona-Krise. Ich bin auch keiner, der einen Leitungsstil von oben her pflegt. Ich möchte kollegial arbeiten und möglichst viele Stimmen hören.
Bestimmt auch die Stimmen Ihrer Kollegen aus den anderen Kirchengemeinden. Haben Sie schon Antrittsbesuche gemacht?
Noch nicht, aber ich werde die evangelische, altkatholische und muslimische Gemeinde natürlich besuchen. Ich denke, wir haben bestimmt gemeinsame Anliegen.
Ab wann kann man Sie denn in einem Gottesdienst erleben?
Schon ab dieser Woche. Es wird noch eine offizielle Investitur durch den Dekan geben. Aber sobald der Umzugswagen vorm Pfarrhaus steht, bin ich da (lacht).