Dora Schöls/Verena Pichler

Herr Saydam, wie ist die Idee einer muslimischen Kita entstanden?

Die Idee einer sozialen Einrichtung, die muslimische Werte berücksichtigt, habe ich seit Jahren. Ich möchte, dass wir damit Teil der Gemeinschaft von Rheinfelden sind. Zuerst schwebte mir ein muslimisches Pflegeheim vor. Dazu gibt es aber noch kein Vorbild – und ich will nicht bei Null anfangen. Dann bin ich auf die Kita in Mannheim gestoßen. Die ist in Mannheim weiter weg von der Moschee als in Rheinfelden. Übrigens planen wir den Standort nur deshalb dort, weil wir die Kita dort bauen dürfen. Wir haben eigentlich ein anderes Grundstück gekauft, etwas weiter weg von der Moschee. Da dürfen wir aber keine Kita bauen, weil das im Störfallradius einer chemischen Firma liegt. Unabhängig davon schaffen wir damit dringend benötigte Betreuungsplätze und helfen der Kommune erheblich, diesen Bedarf zu bedienen.

Moscheevorsitzender Erdal Saydam spricht im Interview über die Pläne zu einem muslimischen Kindergarten.
Moscheevorsitzender Erdal Saydam spricht im Interview über die Pläne zu einem muslimischen Kindergarten. | Bild: Dora Schöls

Wie ist die Stimmung in der Gemeinde, wollen viele Familien die Kita?

Die Mehrheit der Gemeinde steht hinter der Idee. Wir sind eine Gemeinschaft aus Muslima und Muslimen aus verschiedenen Ländern, der Türkei, vom Balkan, aus Asien, aus Afrika. Einer der Wünsche aus der Gemeinde war, dass wir die Predigten auf Deutsch halten, unserer gemeinsamen Sprache. Seit drei Monaten haben wir einen neuen Imam, der auf Deutsch und Türkisch predigt. Die Umgangssprache im Kindergarten wäre ohne Wenn und Aber Deutsch – das ist das, was uns verbindet. Die muslimische Kultur und die deutsche Sprache.

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Der Gemeinderat will keine muslimische Kita, auch wegen der Ditib. Hat Sie das enttäuscht?

Eigentlich nicht. Als wir die Idee entwickelt haben, habe ich mit Schwierigkeiten gerechnet. Wir sind auf die Fraktionen zugegangen, weil wir völlig transparent sind. Die Botschaft: Stellen Sie Fragen, machen Sie sich ein Bild. Der Bundesverband der Ditib muss Kritik an sich selbst klären, das betrifft uns nicht.

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Können Sie die Vorwürfe gegenüber der Ditib denn nachvollziehen?

Die kann ich zum Teil nachvollziehen, aber bis jetzt habe ich gute Erfahrungen mit der Ditib gemacht. Als ich zum Vorsitzenden gewählt wurde, gab es einen Konflikt mit dem Imam. Ich habe eine Beschwerde eingelegt und der Imam ist dann abgezogen worden. Also vollkommen demokratisch. Die Ditib stellt die Imame und bezahlt diese. Ganz praktisch bekommen wir auch Informationen, wie die Corona-Richtlinien für Moscheen – das ist hilfreich, weil ich als Ehrenamtler auch Unterstützung benötige. Die Imame sind nur für das Geistliche und Religiöse zuständig. Der Vorstand kümmert sich um alles andere in der Gemeinde.

Wegen der Ditib haben manche Sorge, dass es einen politischen Einfluss auf die pädagogischen Inhalte geben könnte.

Es gibt keinen politischen Einfluss auf den Moscheeverein. Unsere Imame werden von der Ditib gestellt, aber eine politische Einflussnahme ist das in der Gemeindearbeit überhaupt nicht. Sprechen Sie doch mal mit unserem neuen Imam. Hier aufgewachsen, mit deutschem Pass.

Das machen wir. Aber zunächst: Welche Rolle soll Religion in der Kita spielen?

Dieselbe wie bei den katholischen und evangelischen Kindergärten. Kinder werden altersgerecht an den muslimischen Glauben herangeführt. Hier geht es um Gemeinschaft und Spiritualität wie auch bei anderen Religionen.

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Manche sagen, eine muslimische Kita widerspricht der Integration.

Wir sind offen für alle, die Umgangssprache ist Deutsch. Sehen Sie, ein Kindergarten prägt. Ich war auch in Deutschland im Kindergarten. Das vermittelt Heimatgefühle, aber der andere Teil meiner Heimat fehlte dort.

Fühlen Sie sich integriert?

Ja. Sehr. Ich lebe hier sehr gerne, ich zahle meine Steuern, ich bringe mich ehrenamtlich im Rahmen der deutschen Gesetze ein. Aber manchmal habe ich doch das Gefühl, wir werden nicht angenommen, sondern nur hingehalten. Ich bin Deutscher, aber ich habe türkische Wurzeln. Beides macht mich aus.

Was würden Sie sich wünschen – von Seiten der Stadt und der Bevölkerung?

Einfach eine offene und faire Zusammenarbeit. Was Jörg Hinderer vom Christlich-Islamischen Verein Hochrhein gegenüber der Zeitung gesagt hat (dass die Gemeinde sich seit Jahren zurückziehe, Anm. d. Red.), finde ich unzutreffend und unfair. Es gab in meiner Amtszeit zwei Veranstaltungen dieses Vereins und ich war bei beiden – was also ist seine Kritik? Wir sind offen und wollen den Kontakt.

Wie ist Ihr Austausch mit der Verwaltung und dem Gemeinderat?

Wir haben einen sehr guten Kontakt zur Stadtverwaltung. Mit den Grünen und der SPD sind erste Gespräche geführt worden. Aber wir müssen vermutlich noch sehr viele Gespräche führen. Von CDU und Freien Wählern gab es leider bislang keinerlei Rückmeldung. Das stelle ich mit Bedauern fest.

Würden Sie die Kita auch gegen den Willen des Gemeinderats bauen?

Wir könnten das vermutlich. Aber wir wollen keinen Rechtsstreit, sondern den Kindergarten in Kooperation mit der Stadtgesellschaft bauen und betreiben. Wenn es hart auf hart kommt, werden wir rechtliche Aspekte prüfen.

Sie geben eine Zusammenarbeit also noch nicht auf?

Nein. Warum auch? In Mannheim hat es sieben Jahre gedauert, von der Idee bis zur Umsetzung – ohne Rechtsstreit. Aber da gab es auch noch nicht so viele Studien und nur wenige Vorbilder. Wir arbeiten nur mit Fakten – und müssen gegen unbegründete Vorurteile ankämpfen. Die Betreiber in Mannheim haben Vorarbeit geleistet, die wir in Rheinfelden verwenden können. Wenn es beschwerlich werden sollte, nehmen wir das auf uns.

Wäre es für Sie eine denkbare Alternative, eine muslimische Gruppe in einen anderen Kindergarten zu integrieren?

Denkbar schon, aber wieso soll uns das verwehrt werden, was katholischen und evangelischen Kindern nicht verwehrt wird? Das ist eine ernst gemeinte Frage – auch an den Gemeinderat. Ich frage zurück: Wäre es denkbar, eine christliche Gruppe im muslimischen Kindergarten zu integrieren? Klare Antwort: Warum nicht? Warum nicht zwei muslimische Gruppen und eine christlich-ökumenische? Das wäre absolutes Neuland.